Sechs Jahre lang thronte James Camerons "Avatar" unangefochten an der Spitze der erfolgreichsten Filme aller Zeiten, bis er – wenig überraschend – Anfang 2016 mit "Star Wars: The Force Awakens" vom beliebtesten Kino-Franchise der Welt verdrängt wurde. Für gewöhnlich erfolgt in solchen Fällen ein Vergleich des entthronten Rekordhalters mit seinem Bezwinger. Ältere Semester werden sich vielleicht an das Entsetzen erinnern, als "Titanic" 1998 doppelt so viel wie Spielbergs "Jurassic Park" einspielte, was größtenteils den in Scharen ins Kino laufenden weiblichen Teenies geschuldet war. "Jurassic Park" wiederum hatte 1993 einen anderen Spielberg-Film, nämlich "E.T." abgelöst.

Selbst wer nie einen dieser Filme gesehen hat, ist mit ihren ikonischen Figuren, einzelnen Szenen oder Dialogen daraus vertraut. Jeder kennt die Dialogzeile: "E.T. nach Hause telefonieren!", oder hat zumindest auf Youtube den ersten Angriff des T-Rex in "Jurassic Park" gesehen, oder kennt jene Szene, in der Leonardo DiCaprio am Bug der "Titanic" stehend "Ich bin der König der Welt!" in die Welt hinausschreit. Von den in die Popkultur eingeflossenen Dialogen oder Handlungselementen aus dem "Star Wars"-Universum ganz zu schweigen.

Avatar-Blues

Doch warum ist "Avatar" nicht ins kulturelle Gedächtnis eingeflossen? Dass berühmte Filme im Laufe der Jahrzehnte in Vergessenheit geraten können, ist nicht weiter ungewöhnlich. Doch ein Film, der erste wenige Jahre alt ist und eine damals kaum für möglich gehaltene Summe einspielte? Dabei hatte "Avatar" während seiner Spielzeit Millionen Kinobesucher begeistert und bei einigen sogar für Depressionen, den "Avatar-Blues", gesorgt, da ihnen die Realität plötzlich triste und grau vorkam, verglichen mit Pandora.

Aber ein paar Jahre später ist James Camerons Megaerfolg aus dem Gedächtnis der meisten Menschen verschwunden, als wären sie mit dem Neuralisator aus "Man in Black" geblitzdingst worden. Obwohl mindestens drei Fortsetzungen geplant sind, die nach hinten verschoben wurden, äußerte kaum jemand Bedauern darüber. Keine Myriaden an dreisten rip-offs folgten, kaum ein Kind oder Erwachsener verkleidete sich im Fasching oder bei einer Convention als Na'vi, "Avatar"-Spielzeug muss man mit der Lupe suchen, und gibt man bei "Amazon" den Begriff "Avatar" ein, muss man sich durch die gleichnamige Anime-Serie und ähnliches wühlen, bis man auf James Camerons Film stößt. Ja, es gibt auch Fan-Shirts und ein Computerspiel, aber ganz ehrlich: Wann haben Sie zuletzt jemanden über das "Avatar"-Computerspiel reden gehört? Oder Leute mit "Pandora"-T-Shirts herumlaufen sehen? Und wer kennt noch irgendein Filmzitat aus dem Film?

"Der mit dem Wolf tanzt" im SF-Gewand?

"Avatar" erreichte als sensationell getrickster 3D-Streifen die Menschen – nachhaltigen Eindruck hinterließ er jedoch keinen. Das ist umso merkwürdiger, da James Cameron kein Mann fürs Kleine und Dezente ist. Jeder kennt die ikonischen One-Liner aus den ersten beiden "Terminator"-Filmen, oder "Game over, Mann!" aus "Aliens – die Rückkehr". Der Erfolg von "Titanic" ist legendär, ebenso wie die mal mehr, mal weniger gelungenen Parodien darauf. Selbst über seinen einzigen Misserfolg an den Kinokassen, "The Abyss", wird hinsichtlich des Showdowns darüber gestritten, ob dieser dem Film angemessen ist oder ihm jegliche Spannung nahm und eher an Steven Spielberg, denn an James Cameron erinnerte. Bloß bei "Avatar" herrscht Schweigen.

Gewiss: Die allzu simple Story mag ihren Teil beigetragen haben. Edle Ureinwohner gegen böse weiße Kolonisten – das kennen wir aus zig anderen Filmen. Der "Twist", dass diese Ureinwohner auf einem anderen Planeten leben, reißt die müde Story auch nicht heraus. Viel wurde über die fast gänzlich am Computer entstandene Welt von "Pandora" geschrieben und geredet – nur: Was nützt der aufregendstes Hintergrund, wenn der Vordergrund blass und uninteressant erscheint? Die Schuld daran alleine an Hauptdarsteller Sam Worthington festzumachen wäre zu einfach. Auch wenn es bemerkenswert ist, dass ein in zahlreichen erfolgreichen Blockbustern wie "Avatar", "Kampf der Titanen" oder "Terminator: Die Erlösung" in der Hauptrolle besetzter Darsteller es trotz alledem nicht zum Superstar geschafft hat.

Vielmehr verstört die seltsame Widersprüchlichkeit eines bei James Cameron immer wiederkehrenden Motivs: Jenes des Missbrauchs der Technik. In keinem anderen seiner Filme ist dieser Widerspruch größer als in "Avatar", der ohne modernste Technik niemals hätte entstehen können. Die plumpe "Kapitalismus und Geld sind böse"-Formel, die bereits im ansonsten formidablen "Aliens – die Rückkehr" für Augenrollen sorgt, wird mit der Eleganz eines im Porzellanladen rollschuhlaufenden Elefanten präsentiert. Die Parallelen zwischen "Avatar" und "Der mit dem Wolf tanzt" bzw. sogar mit "Pocahontas" sind inzwischen länglich bekannt.

So großartig der Film auf technischer Ebene selbst Jahre nach seiner Veröffentlichung noch sein mag: Abseits dessen hat er zu wenig zu bieten, das einen Blockbuster noch viele Jahre später als einzigartiges Seherlebnis prägt. Ende 2009, Anfang 2010 war "Avatar" jener Film, den man gesehen haben musste. Allerdings nicht seiner Story oder der Figuren wegen, sondern einzig und allein, weil erstmals ein 3D-Film tatsächlich überzeugen konnte und nicht bloß ein Gimmick war, um einen Film bewerben und Tickets teurer verkaufen zu können.

"I'll be back!" - und James Cameron?

Was James Cameron wie kein anderer beherrschte, waren Actionfilme mit halbwegs glaubhaften Charakterzeichnungen. Wann immer er ins Moralisieren und Philosophieren geriet, rutschte ein Film ins Langweilige oder gar Lächerliche ab – so geschehen beim "The Abyss"-Showdown und den wenigen "böser Kapitalist"-Szenen in "Aliens – die Rückkehr". Leider drückte er in "Avatar" die Botschaft allzu dick auf die Stirn seiner Figuren. Hier die Guten, dort die Bösen, die sich noch dazu als Klischee-Böse erwiesen, die nicht einfach geldgierig oder selbstgerecht waren, nein, sie mussten psychopathisch böse sein.

Gerade in Verbindung mit der Glorifizierung der Na'vi ergab das einen allzu simpel gestrickten "böser weißer Mann gegen edle Wilde"-Actioner. Immerhin langte es noch für drei "Oscars" – Hollywood vergisst seine Cash Cows nicht. Doch der tricktechnisch damals überragende Film wurde von zahlreichen weiteren, perfekt inszenierten CGI-Gewittern technisch eingeholt oder überrundet. Und es war die Tricktechnik, die "Avatar" zur Sensation machte. Trotzdem scheint die Welt rund um "Pandora" James Camerons virtuelle Heimat geworden zu sein. Vielleicht stellen die bisweilen aufdringlichen Öko-Botschaften für den Umweltaktivisten filmisches Sendungsbewusstsein dar, weshalb er auf Jahre hinweg ausschließlich mit den "Avatar"-Fortsetzungen beschäftigt sein wird. Aber wer weiß, ob Cameron nicht doch noch für eine Überraschung gut ist. Wer hätte nach "Terminator 2" darauf gewettet, dass ausgerechnet James Cameron einen Film über die Titanic drehen würde? Möge der berühmteste Terminator-One-Liner im Falle von Camerons Actionwerk Wirklichkeit werden: I'll be back!

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