Ballhaus Ost Berlin: Kritik von "Mutti muss nach Lichtenberg"– Leien des Alltags
Die Leien des Alltags kehren zurück in den Prenzlauer Berg, um bei der Gentrifizierung mitzumischen. Für das Publikum ein sehr lustiges Unternehmen.Die Gentrifizierung ist noch nicht abgeschlossen (Bild: © Leien des Alltags)
Kleine Abenteuer und Sprachverhedderungen
Jens Blümlein und Stefan Göbel verbringen die Aufführung vorwiegend sitzend. Sie überlassen den anderen Performern die Bühne und greifen nur sprechend und erklärend ins Geschehen ein. Teilweise werden Videos gezeigt, deren Sinn auch bei tieferem Nachdenken schwer zu erfassen ist, etwa wenn eine Frau ihre Körperteile aufzählt. Bei der geistigen Rückeroberung eines Terrains wurde in der Nacht im Café gesessen, hören wir. Dies gibt Anlass zu einer Sprachverhedderung, die in der nächsten Szene ihren Gipfel erreicht. Nele Stuhler klettert auf ein turmartiges Gerüst und gibt eine Bestellung an Jan Koslowski auf, der im 1.Stock im Barbereich auf einer Art Balkon steht. "Ananas, Orange, Ingwer", sagt sie, und er: "Apfel, Orange, Ingwer". Und so reden sie aneinander vorbei, an die fünf Minuten, immer wieder die Zutaten der Fruchstsäfte verwechselnd. Sie machen das dermaßen originell, dass das aufgewühlte Publikum, dessen Lachmuskeln ohnehin vorgreizt sind, ein wenig die Kontrolle über sich selbst verliert. Überhaupt haben es die Leien des Alltags darauf angelegt, mit genau platzierten Worteffekten möglichst amüsant zu sein. Der schwarze, beißende Humor fehlt allerdings, und einen tieferen Sinn des Projekts braucht man gar nicht erst zu suchen, es sei denn, der Zweck der Aufführung liegt im Zelebrieren der Leichtigkeit des Seins.
Mit Leichtigkeit durchs Leben
Unter den Darsteller*innen gibt Nele Stuhler eine gute Figur ab. Daneben fällt Jan Koslowski auf, der eine wandelnde Karikatur mit permanent drolligem Gesichtsausdruck spielt. Er versteht es, einen Überschuss an Einfalt und Naivität ins Antlitz – über dem Haupt erhebt sich eine herunterfallende lockige Fülle - zu legen, der allein schon zum Schmunzeln anregt. Koslowski kennt sich auch in Physiologie und Medizin aus: "Ananas gehört zu den Antioxidantien." Die Zellenreinigung angesichts von freien Radikalen fällt ihm ein, als er über eine Frau spricht, die eine Ananas als Kopfkissen verwendet bei einem provisorischen Nachtlager, errichtet, weil sie nicht bei der Mutti schlafen darf. Übrigens bauen die Leien des Alltags eine Chor ein, der sich schon wieder auf Goethe (und Heraklit) bezieht: Man kann nicht zweimal in den selben Fluss steigen. Logisch, da sich die Konstellationen jedes Mal ein bisschen verändern. Der Chor begleitet einen Abend, der sich als (Wieder-)Entdeckungsreise entpuppt. Es ist ein stellenweise lustiger Abend, mehr aber auch nicht. Über die Gentrifizierung des Prenzlauer Bergs gibt es leider nichts Erhellendes. Nur einmal wird es interessant: Als ein Schauspieler über die an den Rand Gespülten redet, die die gesellschaftliche Mitte aus welchem Grund auch immer verlassen haben. Und von den Randständigen existieren eine ganze Menge.
Mutti muss nach Lichtenberg – Gentrification #2
Produktion von Laien des Alltags
Von und mit: JENS BLÜMLEIN / SVENJA GASSEN / STEFAN GÖBEL / MARLENE KOLATSCHNY / JAN KOSLOWSKI / NELE STUHLER / ANNA WILLE
Ballhaus Ost, Kritik vom 14. April 2017
Dauer: ca. 50 Minuten
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)