Ballhaus Ost Berlin: Kritik von "Ulysses" – Marat Burnashev
Berliner Premiere des Großwerkes von James Joyce. Ein Zwei-Personen-Abend wird präsentiert, angefüllt mit vielen Videos.Molly (Patrycia Ziolkowska) (Bild: © Marat Burnashev)
Bruchstücke auf der Leinwand
Die Videos sind teilweise von minderem Interessantheitsgrad, es werden schlichte Alltagspersonen gezeigt, die von ihrem Metier und Milieu berichten. Hier soll ein Brückenschlag zur Gegenwart stattfinden, aber über Ansätze kommt es nicht hinaus. Wenn Bloom sich Fleisch kauft, wird ein einfältiger Metzger gezeigt, und wenn Bloom sich eine Zitronenseife kauft, kommt eine halbsenile, verknöcherte, nicht unsympathische alte Schabracke zu Wort, die mit schwacher Stimme von ihren Parfums daherschwadroniert. Eine angeblich berühmte Bordellszene mit einer Domina wird ausgespart, weil eine derartige Verbildlichung dem Regisseur vielleicht zu heikel war. Fetzen und Bruchstücke der Videos rauschen über die Leinwände, als gelte es, mit aller Kraft die Simultanität der Ereignisse einzuholen. Wir sehen eine mollige, schwungvoll-busige Frau, die mit einer Kleinkatze spielt. Und wir sehen Blooms Geliebte Molly, die sich in Alltagsverrichtungen ergeht und die Gewöhnlichkeit des Lebens darstellt, wie um die Gleichförmigkeit zu illustrieren. Die Darstellerin Patrycia Zielkowska, festes Ensemblemitglied im Hamburger Thalia Theater, putzt sich die Zähne, angestrengt und elegant zugleich. Und wer schaut ihr nicht gern beim Nachziehen der Lippen zu?
Philosophie und Essen
Bruno Cathomas als Bloom ist eine Art Spiritus Rector, der geistige Vater von Stephen Dedalus (Mirco Kreibich). In seinem Anzug wirkt Bloom wie ein professoraler Geschäftsmann, der lieber belehrt als sich belehren lässt. Cathomas spielt die Rolle recht souverän, fast mit der Attitüde eines lebenserfahrenen Weltmannes. Man redet von allen möglichen Dingen, von ewigen Dingen, die ins Philosophische abschweifen, doch manchmal nur die Wichtigkeit des Essens betonen: Der krude Alltag. Anders als Bloom reagiert Dedalus, der, umzuckt von inneren Konvulsionen, eine hektische Betriebsamkeit entfaltet, die zu nichts führt. Ein halb besoffener Bohemien, Aushilfslehrer auch, sich sehnend nach dem nächsten Rausch, stets das Geld in Alkohol umsetzend, um ein paar Krümel des vitalen Lebens aufzusaugen. Im Hintergrund der frisch vereinigten Kumpels und Kompagnons legt eine Fernseh-Wahrsagerin einige scheinbar amourös gefärbte Karten. Um sie zu erlösen, schlechthin aus Mitleid ruft Bloom bei der Frau an, die ihm eine hehre Zukunft voraussagt. Wahrscheinlich hat sie die Karten falsch gemischt, denn Bloom nagt an der Eifersucht – wegen der Diseuse Molly. Am Ende krachen die Leinwände nieder, es bleiben nur noch Erinnerungsfragmente. Das alles ist ja sehr gefällig dargestellt von zwei großen Schauspielern, aber der große Wurf ist das nicht. Für dieses Monumentalwerk hätte man mindestens fünf Stunden veranschlagen müssen. Das kann man nicht einfach in einem Schnelldurchlauf abhandeln.
Ulysses
nach James Joyce
Ein Projekt von Marat Burnashev und Swantje Basedow (Buch)
Regie: Marat Burnashev, Bühne und Lichtdesign: Thomas Giger, Kostüme: Sibylle Wallum, Musik: Marcus Thomas, Dramaturgie: Christina Bellingen.
Mit: Bruno Cathomas, Mirco Kreibich. Im Video: Patrycia Ziolkowska, Elia Harzer, Prashanti, Eisenhans.
Premiere vom 9. Mai 2014
Dauer: ca. 75 Minuten, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)