Berliner Ensemble: Kritik von "Felix Krull" - von Thomas Mann, Regie A. Eisenach
Aus Manns "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" wird bei Eisenach die "Stunde der Hochstapler". Hochgestapelt wird aber rund um die Uhr. Krull inszeniert sich fortwährend selbst.Martin Rentzsch, Sina Martens, Constanze Becker, Marc Oliver Schulze und Jonathan Kempf (Bild: @ JR Berliner Ensemble)
Die Hoffnung, geliebt zu werden durch Verzauberung
Krull soll als Zauberer der Selbstvermarktung "verkauft" werden, leider gelingt ihm das nicht richtig, das irisierende Charisma fehlt, es wird nur behauptet. Überhaupt ist das ein einziges Behauptungstheater – was aber nicht unbedingt abwertend sein muss. Jonathan Kempf, offensichtlich neu im Ensemble, zeigt sich hier nicht unbedingt als geistige Verstärkung, er kann aber jederzeit als wehrhaftes Proll-Element eingesetzt werden. Trotz ihrer Trollheit und Drolligkeit zeigt da Sina Martens schon mehr Geschmeidigkeit, sie ist, kurz ausgedrückt, mehr in der Inszenierung drin, als habe sie sich gut assimiliert. Und der Krull? Nun, der ist ein übermediokrer Selbstdarsteller, der sich nur lieben kann, wenn er von anderen geliebt wird – deshalb die permanenten Verführungsversuche irgendwelcher Zuschauer'innen. Kommt er nicht an, ist er wie eine Pflanze, der man das Wasser entzogen hat. Kalauer, Scherze und Mätzchen gibt es zuhauf: Einmal spielt Sina Martens Tennis mit dem Publikum, d.h. sie schlägt Bälle ins Auditorium, die freilich nicht zurückkommen. Constanze Becker hat einen Auftritt als gierige Post-Domina, die sich in die Fänge der Fleischlichkeit begibt und etliche Stellungen ausprobiert, die allein mit gymnastischen Kompetenzen möglich sind, andernfalls gibt es am nächsten Tag Muskelkater.
Tollheiten unter Geflimmer
@ JR Berliner Ensemble
Gediegene Monarchisten und Kaspereien
Constanze Becker kann aber auch ganz anders: Gegen Ende agiert sie mit zurückgekämmten Haar und forcierter Kolloquium-Brille als Professorin, die eine Vortrag hält. Res publica literaria, eingelaufen ins Ufer der Evolution. Die gelahrte Republik kennt aber auch andere Fahrwasser. Martin Rentzsch, Einsparer von Shampoo und anderer Haut-Kosmetik, nimmt mehrere Personen ein, vor allem dialektisch ungeschulte Materialisten, Hierarchie-Bewunderer und gediegene Monarchisten. Hier sind wir bei Thomas Manns "Betrachtungen eines Unpolitischen" angelangt, die er noch in der Kaiserzeit vor dem Überlaufen zur Demokratie geschrieben hat, und zuweilen klingt es gar nach Oswald Spengler. Doch abgesehen vom Inhalt: Die Schönheit der Formulierungen, die sprachlichen Sensibilitäten! Im Allgemeinen wird in der Inszenierung eine wohlfeile Sprache gesprochen. So etwas kann man nur in einer Phase geistiger Saturiertheit ablehnen. Wer sich allerdings auf den mitunter wüsten Humor kapriziert und die Feinheiten nicht heraushört, kann das nur billiges Machwerk abtun. Dabei ist das mit Derbheit vermischte Humoristische im Werk angelegt. Und in der Schlussszene sitzen sie alle in der Badewanne und kaspern herum. Wohlan! Trotz einiger Schwächen: Es ist kein großer Abend, aber ein guter.
Felix Krull – Stunde der Hochstapler
nach Thomas Mann
Regie: Alexander Eisenach, Bühne: Daniel Wollenzin, Kostüme: Lena Schmid, Dramaturgie: Sibylle Baschung.
Mit: Constanze Becker, Sina Martens, Martin Rentzsch, Marc Oliver Schulze, Jonathan Kempf.
Dauer: 90 Minuten
Premiere war am 16. August 2019, Kritik vom 28. August 2019
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)