Berliner Ensemble: Kritik von "Kafkas Prozeß" – Claus Peymann
Premiere des Kafka-Romans. Vor dem Gesetz gibt es kein Entrinnen. Der Prokurist Joseph K ist einem undurchdringlichen Machtapparat ausgeliefert.Veit Schubert als Joseph K vor dem Ensemble (Bild: © Lucie Jansch)
Ergebene Diener des Gesetzes
K wird von Veit Schubert gespielt, der zuweilen in eine absichtlich verrutschende Tonlage gerät, bei der die Worte sich förmlich überschlagen und unruhig über die Zunge gleiten. Wenn etwas in dieser Inszenierung deutlich hervorgehoben wird, dann ist es das sinnlose Anrennen gegen eine übermächtige, hierarchisch geordnete Institution, deren Diener ihr vollkommen ergeben sind, wie in einer kaum verhüllten Diktatur. Der Text der Internet-Seite will einen Sprung ins Heute weismachen, schließlich sind Observierungen und nebulöse Verleumdungen ein aktuelles, brisantes Thema, aber das Werk wird zu sehr vom Blatt weg inszeniert, als habe es eine Dauergültigkeit jenseits der Tagesaktualität. Die Geschichte beginnt mit der scheinbar grundlosen Verhaftung Ks, in einer staubigen Pensionsatmosphäre. Laura Tratnik, die ihren letzten großen Berliner Auftritt vor einigen Jahren in Löschs Schaubühnen-"Lulu" hatte, ist als Fräulein Bürstner kaum wiederzuerkennen. Über dem weiß geschminkten Gesicht sitzt eine schwarze Perücke, deren Strähnen über die Backen fließen.
Unterhaltung auch mit der Brechstange
Die drei jungen Frauen des Ensembles (Laura Tratnik, Marina Senckel und Karla Sengteller) neigen gemäß Regieanweisung zum Chargieren und Überzeichnen. Ohne Zweifel, Claus Peymann will unterhalten, wenn es sein muss mit der Brechstange. Sein Motto scheint dem von Thomas Mann zu ähneln, das er in einem Brief an Hermann Hesse kundgab: Mir verlangt auch nach den Dummen. Peymanns Regiesprache ist so deutlich und klar, dass selbst der hinterletzte begriffsstutzige, grenzdebile Zuschauer seine Botschaften mitbekommt, als traue der Regisseur nicht der bildungsbürgerlichen Assoziationskraft oder dem Lauern nach subtilen Anspielungen. Immerhin, die Atmosphäre in den stickigen Gerichtsräumen ist gut und glaubwürdig dargestellt, und der einst als Theaterpapst verehrte, heute ins Museale hineingreifende Regisseur bietet ein ganzes Arsenal an Nebenrollen an, um auch die kleinen Details authentisch darzustellen und Leute vom Schlag eines Daniel Kehlmann in seine schlecht klimatisierte Noblesse-Halle zu locken. Roman Kaminski, der ähnlich wie der im Alter notorisch gekränkte Fritz J. Raddatz auf seine butterfarbene Mähne nicht verzichten kann, bekam diesmal nur die Rolle von Kaufmann Block zugewiesen.
Beim Maler Titorelli (rechts Joachim Nimtz) (Bild: © Lucie Jansch)
Nachlass zu Lebzeiten
Wenigstens das liefert die Inszenierung: Die perfekt funktionierende Maschinerie einer durchorganisierten Verwaltungswelt, die wegen des Bürokratieüberschusses niemanden vergisst. Die Beklemmung, die das gleichsam metaphysische Gesetz auslöst, wird spürbar. Wer zu Peymann geht, weiß, was ihn im Ungefähren erwartet. Für Überraschungen sorgt er nicht mehr, seine Theatermittel sind im positiven Sinn abgebrüht und solide, in negativer Hinsicht abgegriffen. Teile des Romans werden von einem auktorialen Erzähler geschildert, etwa die Auspeitschung jener, die K verhaftet haben. Beim Schlusspart der Prokuristen-Liquidierung verharren die Schauspieler in den Logen, für Kenner des Hauses eine gleichsam altbekannte Choreografie, als wolle der immer noch agil auftretende Altprinzipal, der mit den Mechanismen des unverfänglich Immergleichen arbeitet, sich die Marke Unsterblichkeit verleihen und sie einbalsamieren. Ein Nachlass zu Lebzeiten. Dank einiger gelungener Passagen, der Darstellung der Verzweiflungsatmosphäre und dem überzeugenden Veit Schubert ist die Inszenierung gerade noch annehmbar.
Kafkas Prozeß
von Franz Kafka
Textfassung Jutta Ferbers, Mitarbeit: Hermann Beil, Claus Peymann
Regie: Claus Peymann, Bühnenbild: Achim Freyer, Kostüme: Achim Freyer, Wicke Naujoks, Dramaturgie: Jutta Ferbers, Licht: Ulrich Eh, Achim Freyer.
Mit: Jürgen Holtz, Veit Schubert, Laura Tratnik, Roman Kaminski, Swetlana Schönfeld, Marina Senckel, Raphael Dwinger, Boris Jacoby, Andy Klinger, Joachim Nimtz, Luca Schaub, Jörg Thieme, Jakob Schneider, Martin Schwab, Norbert Stöß, Karla Sengteller.
Premiere vom 14. Juni 2014
Dauer: ca. 1 Stunde, 50 Minuten, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)