Berliner Ensemble: Kritik von "Mütter und Söhne" - Karen Breece
Uraufführung. Im Mittelpunkt stehen Mütter, die ihre Söhne verloren haben – an die Neonazi-Szene. Wie konnte es so weit kommen?v.l. Corinna Kirchhoff, Bettina Hoppe, Laura Balzer, Nico Holonics (Bild: © JR Berliner Ensemble)
Das Recht des Stärkeren
Die Regisseurin Karen Breece hat umfassende Recherchen durchgeführt, nicht mit Neonazis – das wäre zu gefährlich gewesen -, sondern mit Aussteigern und betroffenen Müttern. Das Bühnenbild (Eva Veronica Born) ist recht einfach gestaltet: Etliche Stühle sind kreisförmig angeordnet, gegen Ende werden Zuschauer*innen aufgefordert, bei der Änderung der Formation mitzuhelfen. Was einige dann auch tun, und sie machen es sich gleich auf den harten Sitzen bequem. Doch ein Mitmachtheater ist das nicht, zu straff sind die Konturen der Akteur*innen gespannt. Nico Holonics und Oliver Kraushaar spielen die rechtsradikalen Söhne, die an allseits bekannten Parolen nichts auslassen, als würde man ein ungeschriebenes Programm absolvieren, um eine Dystopie – für sie ist es ein von Moral befreites Stärke-Heiligtum – zu installieren. Die Mütter (Corinna Kirchhoff und Bettina Hoppe) sind mitnichten traumatisiert, sie fordern Empathie und geben sich kämpferisch, ohne das eigene Versagen ernsthaft zu analysieren. Was habe ich falsch gemacht? - diese Frage taucht nur dunkel vor dem Horizont auf. Es sind oftmals Alleinerziehende, die acht Stunden arbeiten und einfach nicht die Zeit haben, ihren Söhnen eine humanistische Erziehung angedeihen zu lassen. Wie es die Regie will, sind die ratlosen Mütter recht intelligente Frauen – doch das ist im Alltag oftmals nicht der Fall. In einem kleine Rekurs reflektiert und schwadroniert Bettina Hoppe sogar über die Bonobo-Affen, bei denen offensichtlich das Matriarchat regiert, nur, wem erzählt sie das? Ihrem entgleisten Sohn vielleicht?
Corinna Kirchhoff, Oliver Kraushaar
© JR Berliner Ensemble
Menschliche Mütter und böse Söhne
Warum das – vielleicht zwangsläufig? - so kam, was heute ist, darüber wird in dieser Inszenierung nicht weiter nachgedacht. Es dominiert die Darstellung des Jetztzustands. Auffällig ist die plakative Gegenüberstellung von besorgten, menschlichen Müttern und den ins andere, pervertierte Lager abgedrifteten Söhnen. Aufschlussreich ist eine Szene mit einem Aussteiger, den Holonics vorführt, als sei er ein debiles Monster, das noch rechtzeitig auf den richtigen Pfad gekommen ist. Als der Aussteiger noch kein Aussteiger war, betrog ihn ein Kumpel am Führer-Geburtstag mit der eigenen Partnerin. Das Gleiche wiederholte sich noch einmal, unter veränderten Umständen, wieder war es ein angeblicher Kamerad, der dadurch die Führergemeinschaft durchbrach. Wenn das ein ausschlaggebender Aspekt zum Abfall aus der rechtsradikalen Szene sein soll, so muss man leider sagen, dass die Regisseurin doch mehr eine publikumswirksame Inszenierung im Sinne hatte, ohne weiter auf die Analysen zu rekurrieren. Dennoch ist eine akzeptable Inszenierung herausgekommen, das liegt vor allem an den zum Teil grandiosen Leistungen der Schauspieler*innen, allen voran die routinierte Corinna Kirchhoff.
Mütter und Söhne
Regie: Karen Breece, Bühne: Eva Veronica Born, Kostüme: Teresa Vergho, Musik: Cristoph Cico Beck.
Es spielen: Corinna Kirchhoff, Bettina Hoppe, Oliver Kraushaar, Nico Holonics, Laura Balzer.
Berliner Ensemble, Uraufführung vom 20. September 2019
Dauer: 1 Stunde, 50 Minuten.
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)