Laura Tratnik, Martin Seifert ...

Laura Tratnik, Martin Seifert, Karla Sengteller, Sabin Tambrea (Bild: © Barbara Braun)

Krakelige Schrift auf einer Tafel

Die Gedichte und Briefausschnitte Celans werden abwechselnd von Sabin Tambrea, Laura Tratnik, Martin Seifert und Karla Sengteller vorgetragen, sie werden musikalisch unterstützt von Antje Thierbach (Oboe), Emmanuelle Bernard/Wojciech Garbowski (Violine) und Tobias Schwencke (Klavier). Die Akteure sitzen auf himmelblauen Stühlen, die perfekt mit den himmelblauen konturenbetonenden Kleidern der beiden Frauen harmonieren, oder rezitieren im Stehen. "Schwarze Milch der Frühe" ist ein Leitmotiv, die Schauspieler schreiben den Ausspruch in krakeliger Schrift auf eine Tafel, wo dann im Falle einer dramatischen Zuspitzung noch weitere Kritzeleien hinzutreten. Dass es sich hier um einen jüdischen Lyriker handelt, wird spätestens bei "Wolfsbohne" deutlich: Es sind sieben Rosen im Haus – und ein Siebenleuchter, Symbol des Sabbats. Nun, es werden bei diesem Muttergedenken keine Kerzen entzündet, man muss sich das Ganze bildlich vorstellen. Das Gedicht, von Tambrea im Unterhemd deklamiert, ist stark autobiografisch gefärbt, wie so viele Gedichte Celans, und man sollte sich davor hüten, ohne Kenntnisse des privaten Hintergrunds mit voreiligen Interpretationen aufzuwarten.

 

Empfindsamkeit schlägt in Überempfindlichkeit um

Martin Seifert, Laura Tratnik, Karla Sengteller

© Barbara Braun

 

Verblüffend ist der poetische Gehalt der Briefe. Celan ist sogar ein Dichter außerhalb der Geschäftszeiten. In einem Brief an Hans Bender vom 18.5. 1960 betont er den Individualismus und die Feinfühligkeit bei der Bearbeitung des Wortmaterials. Und: Gedichte sind Geschenke, leider gebe es davon zu wenig, weil es an wahren Menschen gebreche. Gelegentlich bedient sich Celan der Reimtechnik (z.B. "Prinzessin Nimmermüd"), obwohl er das gar nicht nötig hat. Wer aufmerksam den Briefen zuhört, wird wohl bemerken, dass Celans genuine Empfindsamkeit häufig in Überempfindlichkeit umschlägt. In einem Brief an Ingeborg Bachmann (16.2.1952) verfällt er in Resignation, redet vom Unwiederbringlichen wie einst Fontane: Zu diesem Zeitpunkt war er schon mit Gisèle Lestrange liiert. 13 Jahre später läuten bereits die Alarmglocken, der desillusionierte Poet, von einer Nervenkrise in die nächste taumelnd, schreibt verzweifelt aus der Psychiatrie, nunmehr drängend. Aber er dichtet weiter, auch dunkel eingefärbt, weil er nicht anders kann, weil es ums Existentielle geht und er seinem Schicksal nicht entrinnen kann. Die Auswahl der Gedichte ist recht subjektiv, natürlich hätte die Regisseurin Jutta Ferbers einige wichtige lyrische Produktionen hinzunehmen können. Dennoch war es eine ausgezeichnete Idee, jemanden auf die Bühne zu hieven, der sich ins Gedächtnis nicht weniger eingegraben hat. Und so spielen sie denn, Seifert souverän und stoisch,Tambrea konzentriert und solide und die beiden Frauen mit einigen gebremsten theatralischen Gesten.

Schwarze Milch der Frühe – Der Dichter Paul Celan

Ein Abend von Jutta Ferbers

Regie, Auswahl der Texte: Jutta Ferbers, Bühne, Kostüme: Maria-Elena Amos, Musik: Tobias Schwencke, Licht: Steffen Heinke.

Mit: Laura Tratnik, Martin Seifert, Sabin Tambrea, Karla Sengteller.

Musik: Antje Thierbach, Emmanuelle Bernard/Wojciech Garbowski, Tobias Schwencke.

Berliner Ensemble

Premiere vom 27.Juni 2014

Dauer: 1 Stunde


 

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