Boris Vian – Paris, Jazz, Chansons und Literatur
Der französische Schriftsteller Boris Vian war ein musikalisches und literarisches Multitalent.Kindheit, Jugend und Krankheit
Boris Vian und seine beiden Geschwister Lélio und Ninon wurden in eine wohlhabende Familie hineingeboren, in der sorglos und unpolitisch gelebt wurde. Konflikte mied man und sprach sie lieber nicht aus. Doch dann im Jahr 1929, dem Jahr der Wirtschaftskrise, wurde ein großer Teil des Vermögens vernichtet und sie mussten aus ihrem großen Haus in die zugehörige Pförtnerloge ziehen. Dort wurde Vians Vater in den Wirrungen nach der Befreiung von der deutschen Besatzung unter nie geklärten Umständen umgebracht.
Für Boris Vian war das Leben schon von Kindheit an beschwerlich durch seine Herzkrankheit. Und wäre das nicht schlimm genug für ein Kind, so musste er dann auch noch die übergroße Fürsorge seiner Mutter ertragen. Das warf er ihr nicht nur später persönlich vor, dem Mutterthema widmete er später auch einen ganzen, sehr bösen Roman. Diese Herzkrankheit ertrug er tapfer sein ganzes Leben und starb schließlich mit 39 daran. An diesem Leiden lag es auch, dass er nicht viel schlief. Das ist einer der Gründe dafür, dass er die Zeit hatte, ein so erstaunlich umfangreiches Werk zu schaffen.
Boris Vian. Biographie | Boris Vian. Der Prinz von Saint Germain |
Studium, Beruf und Ehe
Außer Literatur und Musik galt Boris Vians Interesse vor allem den technischen Dingen und besonders der Physik. Das studierte er dann ab 1939 und machte 1942 während des Krieges seinen Abschluss in Metallurgie. Es war kein herausragender Abschluss, er lag im Mittelfeld, was ihn nicht störte, denn für Lehrpläne und Studenten, die blind dem Curriculum folgten, hatte er sowieso nur Verachtung übrig. Nach seinem Abschluss entschied er sich für einen Job beim Institut AFNOR. Das war das französische Normeninstitut, bei dem – ähnlich wie bei der EU heutzutage – Normen für Verpackungen festgelegt wurden. In seiner ersten Aufgabe untersuchte er hunderte von Flaschen, um eine Idealgröße festzustellen. Im Jahr seines ersten Jobs heiratete er auch. Mit der Anglistin Michelle Vian, die später eine der Geliebten von Jean-Paul Sartre wurde, hatte er einen Sohn. Diese Ehe hielt bis Ende der 40er. Danach war er mit der Schweizer Tänzerin Ursula Kübler zusammen. Am Schluss seines Lebens hatte er auch eine Affäre mit Hildegard Knef.
Paris und Jazz
Boris Vian war von Jugend auf fanatischer Jazzliebhaber und spielte trotz seiner Herzkrankheit und ärztlichem Rat die Trompete. Auf dem Gelände des elterlichen Grundstücks veranstalteten er und seine Geschwister Jazz- und Tanzabende. Sie gehörten auch am Rande zu den "Zazous", einer Jugendbewegung während des Zweiten Weltkriegs, die zu Jazz tanzte und exzentrische Klamotten trug. Diese Zeit hat Boris Vian in dem Roman "Drehwurm, Swing und das Plankton" ("Vercoquin et le plancton", 1946) verarbeitet. Ebenfalls während des Krieges fand die Begegnung mit dem jazzbegeisterten Bankangestellten Claude Abadie statt, der sich für den traditionellen New-Orleans-Jazz interessierte und in diesem Sinne ein Revival einleiten wollte. Also gründeten sie eine Amateurjazzband und nach der Befreiung spielten sie dann sogar für die amerikanischen Befreier und wurden sehr populär. Boris nahm weiterhin trompeteblasend keine Rücksicht auf sein Herz. Erst später in den Kellerkneipen von Saint-Germain-des-Près spielte er wohl mehr zur Show, vor allem dann, wenn ein Fotograf zur Stelle war. Hier war er überall anwesend. Seine Liebe zum Jazz hatte aber auch etwas Pädagogisches, er war darum bemüht, den seiner Meinung nach richtigen und guten Jazz theoretisch und praktisch zu verbreiten. Er schrieb nicht nur über Jazz, er feierte es auch als Gesellschaftsereignis, als sein großes Idol Duke Ellington nach dem Krieg nach Frankreich kam, und wurde mit diesem gut bekannt. Außerdem war er gegen Ende seines Lebens bei der Schallplattenfirma Phillips als künstlerischer Direktor mit vielen eigenen Ideen für die Jazz-Abteilung zuständig und schrieb lange Texte für die Cover der Schallplatten.
Schreiben
Boris Vian stammt aus einer Familie voller Liebe zu Büchern und zur Literatur. Und auch wenn kein Berufsliterat darunter war, wurde Schreiben als Gesellschaftsspiel betrieben. Als es um die Frage seiner Ausbildung ging, hat Boris Vian kurz ernsthaft geschwankt zwischen Physik und Literatur, wobei er dann doch der Meinung war, dass man Letzteres nicht studieren, sondern betreiben sollte. Er fing an mit kurzen Geschichten, Gedichten, den üblichen unausgereiften Anfangsversuchen eines werdenden Schriftstellers. Aber die kleine Form pflegte er sein Leben lang, auch in Form von Sachtexten. Das konnten geistreiche Plaudereien sein oder inspirierter Blödsinn wie eine regelmäßige Kolumne für Sartres Zeitschrift "Les Temps modernes", in dem Vian konsequent und unterhaltsam nur Erlogenes berichtete. Später betrieb er auch uninspirierte Lohnschreiberei, die er durchstand mit einer gehörigen Portion Verachtung sowohl für Auftraggeber als auch Leser. Da wurde unter den Kollegen gewettet, wie oft man einen überhaupt nicht zum Thema passenden Ausdruck wie "Sarg" im Text unterbringen könnte.
Der Schaum der Tage: BRIGITTE Liebesromane | Der Herzausreißer. (6904 424). | Das rote Gras |
"Der Schaum der Tage" und andere Romane
Wie erwähnt hat Boris Vian sehr viel Verschiedenes und Amüsantes geschrieben, wodurch er sehr bekannt wurde, aber nicht unbedingt ernst genommen als Literat. Dennoch sind aus heutiger Sicht einige Romane am bedeutendsten, in denen er nicht nur seinem sprudelnden Ideenreichtum und seinem Sinn für Absurdes, für Wortspiele freien Lauf lässt, sondern die auch eine, seine ganz eigene Welt entstehen lassen. Seine Literatur ist eine Mischung aus Persönlich-Autobiographischem, aus reiner Phantasie, aus einem Surrealismus, der sowohl unsinnig-willkürlich als auch symbolisch oder satirisch deutbar sein kann. Die Romane sind gleichzeitig sowohl intellektuell als auch anti-intellektuell. Hinter all den wilden und verrückten Ideen steckt aber eigentlich eine ziemlich traurige Weltsicht auf eine oft mitleidlose Welt. Glück gibt es eigentlich nur im Jazz und kurzzeitig in der Liebe. Von Dauer sind die Beziehungen in Boris Vians Romanen nie. Außerdem reichert er mit seiner Technikbegeisterung die Geschichten mit faszinierenden Erfindungen an. Besonders berühmt ist das "Pianocktail" aus "Der Schaum der Tage", einem Klavier, das je nach der Melodie, die man spielt, einen bestimmten, passenden Cocktail mixt.
"Der Schaum der Tage" ("L'Ecume des Jours", 1947) ist ein Liebesroman, der mit glücklichen jungen Menschen beginnt und hinter seiner poetischen, surrealen Fassade den Verlust der Unschuld und das Hereinbrechen der grausamen Wirklichkeit schildert. Das Glück beider Pärchen ist zum Scheitern verurteilt. Ein Mädchen erkrankt schwer, weil in seiner Brust eine Seerose wächst. Ein junger Mann ruiniert seine Beziehung, weil er all sein Geld für seine Sammelleidenschaft ausgibt. Sein großes Idol ist Jean Sol-Partre und er kauft bis zum bitteren Ende alles, was es zu kaufen gibt.
In "Der Herzausreißer" ("L'Arrache-cœur", 1953) verarbeitet Vian die Beziehung zu seinerübermäßig vorsorglichen Mutter. Hier sorgt sich eine Mutter so sehr um ihre drei kleinen Kinder, dass sie zunächst nach und nach alle Gefahren aus dem Weg räumt, bis sie die Kleinen schließlich in Käfige sperrt, wo ihnen endlich nichts mehr passieren kann. Der Vater und Ehemann ist schon lange auf einem zerbechlichen Boot aufs Meer geflohen, da ihm die Kinder sowieso nicht gehören. Dabei können die Kinder, wenn sie allein gelassen sind, sogar fliegen, aber das darf die Mutter nicht erfahren.
"Das rote Gras" ("L'Herbe rouge", 1950) ist Boris Vians bitterer Eheroman. Hauptfigur ist ein Wissenschaftler, der eine Maschine baut, mit der er sich von allen seinen Erinnerungen befreien will. Dass er dabei auch seine Frau vergessen könnte, kümmert ihn nicht. Eine andere Beziehung scheitert, weil der Mann, jedesmal, wenn er mit seiner Freundin intim wird, eine Person im Zimmer sieht, die zuguckt. Am Schluss stellen beiden Frauen fest, dass sie ja eigentlich gar keinen Mann brauchen.
Ist Boris Vian heutzutage zumindest in Frankreich ein Kultautor besonders der Jugend, so war dies am Anfang ganz und gar nicht so. Dabei hatte mit der Freundschaft zu seinen Förderern Raymond Queneau und Jean-Paul Sartre sowie der Aussicht, beim renommierten Verlag Gallimard verlegt zu werden, alles so schön angefangen. Die Satire mit Jean Sol-Partre in "Der Schaum der Tage", hatte Sartre ganz ausgezeichnet gefallen. Doch im Endeffekt lief alles anders und seine Bücher hatten niedrige Auflagen und bekamen nicht die besten Kritiken. Die Zeitgenossen konnten mit seiner literarischen Welt nichts anfangen. Dann kam noch hinzu, dass er einen fast schon sicheren Literaturpreis nicht erhielt und Gallimard an ihm kein Interesse mehr hatte. Und obwohl er immer wieder dazu ermuntert wurde, weiter Romane zu schreiben, hatte er keine Lust mehr auf diese zeitraubende und langwierige Tätigkeit. Kurze Artikel und vor allem Chansons verschafften auf schnelle Art mehr Befriedigung. Vor allem, wenn man immer den Tod im Nacken spürte.
Ich werde auf eure Gräber spucken | Wir werden alle Fiesen killen | Tote haben alle dieselbe Haut. |
Vernon Sullivan: Ein amerikanischer Skandalautor
Einer der Gründe, warum die literarische Welt ihn nicht ganz ernst nahm, waren zum einen seine vielen anderen Aktivitäten, denn so wusste man nicht, wie man ihn einordnen sollte. Das andere war aber die lange Skandalgeschichte um den Kriminalroman "Ich werde auf Eure Gräber spucken" ("J'irai cracher sur vos tombes", 1946) von Vernon Sullivan. Im Vorwort des Krimis erzählt Vian, der angebliche Übersetzer aus dem Amerikanischen, wie der Verleger an das Buch gekommen sei. In Wirklichkeit hatte Vian das Buch selbst geschrieben, und sogar, als es zu einem Prozess wegen Pornographie kam, wurde die Geschichte lange aufrechterhalten. Es war ein ziemlich unsinniger und überflüssiger Prozess, obwohl der Roman zweifellos pornographische Stellen hat.
Der Krimi handelt von der Rache eines Schwarzen für den Lynchmord an seinem Bruder. Die Hauptperson sieht aus wie ein Weißer, so dass sich weiße Mädchen ahnungslos mit ihm einlassen. Das nutzt er aus, und seine Rache ist heftig und brutal. Der Ärger, der Vian das Buch einbrachte, hielt ihn nicht davon ab, zwei weitere Bücher als Vernon Sullivan zu verfassen. Denn im Gegensatz zu seinen seriösen Büchern verkauften sich diese Krimis sehr gut. Insgesamt muss man sagen, dass er den Ton des unmoralischen amerikanischen Hardboiled-Romans so gut hinbekam, dass zunächst niemand an einem amerikanischen Autor zweifelte. Boris Vian zeichnete überhaupt eine Liebe zu Amerika, zu amerikanischer Musik, moderner amerikanischer Literatur, amerikanischer Technik aus. Aber es war vor allem die Liebe zu einem fiktiven, künstlerischen Amerika. Er sollte auch als eine der Ersten Fan von Science-Fiction-Literatur werden und auch darüber schreiben.
Henri Salvador Chante Boris VI |
Chansons
Seine Popularität gründet sich aber nicht nur auf die Romane, sondern auch auf seine über 500 Chansontexte zu den verschiedensten Themen, die auch heute noch gesungen werden und von vielen bekannten französischen Interpretinnen und Interpreten wie Juliette Greco und Yves Montand aufgenommen wurden. Der größte Klassiker ist sein Antikriegslied "Der Deserteur" (Text auf Dt./Frz.), das auch schon in deutschen Abiturprüfungen für Französisch aufgetaucht ist.
Am Anfang hatten Vian und sein Komponist nicht viel Glück damit, ihre Chansons an den Mann, d.h. einen Musikverlag, zu bringen. Die Texte wurden als zu gewagt eingestuft. Also entschloss sich Boris Vian, selbst zu singen und ging damit sogar auf Tournee.
Eine der bekanntesten Interpreten der Chansons von Boris Vian ist Henri Salvador, der auch zu vielen Liedern die Musik schrieb. Henri Salvador hat berichtet, wie Boris Vian immer zu ihm kam und mehr Lieder schreiben wollte, obwohl sie längst genug hatten.
Er mochte gar nicht mehr aufhören, als hätte er keine Zeit zu verlieren.
Boris Vian Chante Boris V. |
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