Mit ihrem vierten Studioalbum "Brain Salad Surgery" erreichte die britische Band Emerson, Lake and Palmer – von ihren Fans liebevoll ELP geheißen – wohl den Zenit ihres Schaffens. Nach dem schlicht "Emerson, Lake & Palmer" benannten Debütalbum samt dem größten Hit der Band "Lucky Man", dem Konzeptalbum "Tarkus", der Mussorgski-Hommage "Pictures at an Exhibition" sowie dem etwas überkandidelten "Trilogy", stellte "Brain Salad Surgery" eine Rückkehr zu den rohen, ungeschliffenen Wurzeln der Progressive-Rock-Pioniere dar.

Jedes einzelne der fünf Stücke ist auf seine ganz eigene Art charakteristisch für den Stil von Emerson, Lake and Palmer. Herausragende Innovationen bietet das Album zwar nicht, weiß aber dafür noch Jahrzehnte später zu überzeugen.

Albumcover von H. R. Giger

Das mittlerweile zu den berühmtesten Albumcover zählende Kunstwerk stammt vom exzentrischen Schweizer Künstler H. R. Giger, der insbesondere für sein "Alien"-Design bekannt ist und mit dem Cover für Debbie Harrys ("Blondie") Solo-Album "KooKoo" einen nicht minder interessanten Hingucker schuf. Für den ebenso ungewöhnlichen Albumtitel "Brain Salad Surgery" stant eine Textzeile aus dem Song "Right Place, Wrong Time" von Dr. John Pate.

Emerson. Lake and Palmer interpretieren "Jerusalem" und "Toccata"

Eröffnet wird das Album mit dem orgellastigen "Jerusalem", das eine Adaption des gleichnamigen Stückes des britischen Komponisten Hubert Parry darstellte, welches Textzeilen eines Gedichts von William Blake zitiert. Eingang in die Popkultur fand der Poet und Mystiker William Blake insbesondere durch sein Bild "Der große Rote Drache und die Frau, mit der Sonne bekleidet", das in Thomas Harris‘ erstem Hannibal-Lecter-Roman "Roter Drache" eine entscheidende Handlungsrolle spielt.

Den Gesang steuert wie üblich Greg Lake bei, dessen etwas raue Stimme für die nachgerade klerikal-ästhetische Bearbeitung des Stücks nicht ideal erscheint. Vielleicht wurde auch deshalb seine Stimme mit einem leichten Hall unterlegt, um ihm mehr räumliche Tiefe zu verleihen. Von der Leichtfüßigkeit, mit der "Jerusalem" in der Version von Emerson, Lake and Palmer daherkommt, sollte man sich freilich nicht täuschen lassen.

Im doppelten Sinne klassisch geht es mit "Toccata” weiter: Hierbei interpretieren Emerson, Lake and Palmer ein Stück von Alberto Ginastera. Selbst für ELP ungewöhnlich: Das Fundament des Liedes bildet ein Drum-Solo von Carl Palmer, das später in einen wiederum ELP-typischen Synthie-Klangteppich eingewoben wird.

Schwermütige Ballade "Still...You Turn Me On"

Die gefühlvolle Ballade "Still...You Turn Me On" will zunächst nicht so recht zu den ersten beiden Titeln passen. Aber Greg Lake, der das Stück auch schrieb, schafft es mit seiner prägnanten Stimme, dem Lied genug Energie einzuflößen, um nicht als obligatorische Herzschmerz-Füll-Nummer, wie es bisweilen selbst andere Musikgiganten wie die "Doors" praktizierten (Stichwort: "Touch Me" – Ouch!), zu enden. Der ungewöhnliche Bass-Einsatz zum Abschluss jedes Refrains verleiht der Nummer eine schwermütige Note.

So deplatziert wie ein Celine-Dion-Song auf einem AC/DC-Album, wirkt "Benny the Bouncer", eine Pseudo -Saloon-Nummer im Boogie-Woogie-Stil. Untermalt wird das kuriose Stück von Geräuschen eines Kampfes, den passend "dreckigen" Gesang steuert natürlich Greg Lake bei. Was "Benny the Bouncer" auf "Brain Salad Surgery" zu suchen hat? Eigentlich gar nichts. Und dennoch: Zwischen dem schwermütigen "Still...You Turn Me On" und dem folgenden "Karn Evil 9" bietet die seltsame Nummer so etwas wie eine Verschnaufpause.

„Brain Salad Surgery“: Prägnantestes Album von Emerson, Lake and Palmer

Die Wunder des digitalen Zeitalters verwischen so manche Grenzen. Im Falle von "Brain Salad Surgery" erkennt man dies daran, dass das finale Stück "Karn Evil 9” in zwei Teile gesplittet worden war, da es in seiner gesamten Länge nicht auf einer Schallplattenseite Platz gefunden hätte, seit der CD-Veröffentlichung aber als ein einziges Stück genossen werden kann. Auf "Karn Evil 9” spielen Emerson, Lake and Palmer alle ihre Stärken aus: Treibender Synthesizer, Drum-Solos, Fusionen aus Klassik und Progressive Rock, und natürlich Greg Lakes raue Stimme, die zwar nicht besonders variantenreich, dafür umso prägnanter ist und Stücke wie dieses klar dominieren. "Karn Evil 9” wurde zu einer Art Markenzeichen von ELP, da sich darin die Zeile "Welcome Back My Friends to the Show That Never Ends" wiederfindet, mit denen später bei jedem Konzert die Fans begrüßt wurden.

"Brain Salad Surgery" zählt nicht nur zu den besten Werken von Emerson, Lake and Palmer, sondern ist zudem ein Meilenstein des Progressive Rock. Gewiss: An Plastik-Pop der Neuzeit gewöhnte Ohren mögen derlei "seltsamer" Musik nicht viel abgewinnen zu können. Gerade Emerson, Lake and Palmer stellen aber das Musterbeispiel einer auf Konzeptalben und energiegeladener Musik spezialisierten Band dar, deren Zugang sich nicht augenblicklich erschließt.

Dass diese Pioniere des Progressive Rock außerhalb von Fankreisen nahezu vergessen sind, liegt natürlich auch in der Absenz etwaiger Hitsingles, die sich in der hiesigen Radiolandschaft zwischen Lady Gaga, irgendeinen Beatles-Song (meistens "Yesterday" oder "Yellow Submarine" – mehr an weltberühmten und einflussreichen Liedern wollten den Beatles offenbar nicht gelingen) und die aktuelle Single eines DSDS-Gewinners, dessen Halbpromizeit mit dem Sekundenzeiger messbar ist, platzieren ließen. "Brain Salad Surgery" ist vielleicht nicht das ideale Album, um sich der schillernden musikalischen Welt von Emerson, Lake and Palmer zu nähern,  repräsentiert aber alle Stärken, wie auch bizarren Blüten der britischen Progressive Rocker.

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