Es gibt bei der Sattelwahl Geschlechtsunterschiede

Unkundige, die ein Rad kaufen, kommen meist erst mal nicht auf die Idee, dass ein nicht passender Sattel beim fahren zu einem Problem werden könnte.

Oft ist es der Fahrradhändler, der den Kunden darauf aufmerksam macht, dass der vorhandene Sattel besser durch einen passgenauen ersetzt werden sollte. Er weist den möglichen Kunden darauf hin, dass auf einer relativ kleinen Sitzfläche der Großteil des Körpergewichtes des Radfahrenden ruht und dadurch ein hoher Druck im Bereich von Gesäß, Genitalien und Damm ausgeübt wird.

Beim längeren fahren können im Sitzbereich Druckstellen entstehen, die auf längeren Fahrten zu störenden Taubheitsgefühlen führen und das reibungslose Vorankommen erschweren können.

Der geschulte Verkäufer informiert den Kunden, dass ein ergonomisch gestalteter Sattel aufkommende Probleme dieser Art verringern, wenn nicht sogar ganz beseitigen kann.

Doch die Frage, welcher der richtige Sattel ist und ob es bei den Ansprüchen an einen passgenauen Sitz eines Sattels Unterschiede an die Bedürfnisse zwischen Männern und Frauen gibt, wird intensiv von Fachleuten und Verbrauchern diskutiert.

Welche unterschiedlichen Anforderungen haben Männer und Frauen an einen Fahrradsattel?

Der Koblenzer Ergonomiespezialist Ergon teilt sein Sattelsortiment beim Großteil seiner Modelle in männlich und weiblich auf. Seine Sättel sind geschlechtsspezifisch gestaltet. Bei der Gestaltung spielten die Ergebnisse einer langjährigen Kundenbefragung eine große Rolle.

Ergonomiespezialist*innen befragten Rad fahrende und sammelten Informationen zum Beispiel darüber, wie unterschiedlich Frauen und Männer auf dem Rad sitzen und wie ihr Körper darauf reagiert.

  • Ein Ergebnis zeigt, dass sportlich fahrende Frauen mehr auf dem Genitalbereich sitzen. Das führe zu einem hohen Druck weit vorne.
  • Bei Männern liege der Druck hingegen auf dem sensiblen Dammbereich weiter nach hinten.

Hinzu käme, dass Frauen das Becken beim Fahren anatomisch bedingt in der Regel mehr nach vorne kippen als Männer", erklärt Ergon-Brand-Manager Tim Weingarten.

Die Ergon-Sättel für Frauen haben deshalb einen weit vorn liegenden Entlastungskanal und breite Seitenflanken. "Dadurch wird der Genitalbereich entlastet und der Druck auf die knöchernen Strukturen des Sitzbereichs besser verteilt", erläutert Weingarten. Bei Männer-Modellen wird hingegen der Dammbereich durch einen längeren Entlastungskanal im hinteren Sattelbereich geschont.

Es gibt geschlechtsneutrale Sättel zu kaufen

Bei der Gestaltung von Fahrradsätteln sind sich die Hersteller nicht einig. Nicht alle bieten eine Differenzierung nach Geschlechtern an.

Für Martin Buchta von Messingschlager, dem Importeur des Sattelproduzenten Velo, sind der Sitzknochenabstand und die Sitzposition die entscheidenderen Kriterien bei der Gestaltung der Fahrradsättel. Es sei aus seiner Sicht nicht nötig, geschlechtsspezifische Sättel anzubieten.

Der Fahrradhersteller Ghost bringt bei seinen Mountainbikes der ergonomischen Superfit-Serie noch einen weiteren Ansatz ins Spiel: Die Sättel sind in zwei Positionen breitenverstellbar.

Das Superfit-Konzept basiert darauf, dass Rad fahrende geschlechtsunabhängig einzig durch ihre Körpergröße einem bestimmten Größencluster für die Rahmenhöhe zugeordnet werden. So sollen sie bereits richtig auf dem Rad sitzen und einzig die ergonomische Feineinstellung wie die Sattelbreite noch durchführen. "Mit den zwei Größen decken wir den Großteil der gängigen Sitzknochenbreiten ab. Ein Austausch des Sattels ist deshalb nicht nötig", ist Marketingmanager Felix Pätzold überzeugt.

Wissenschaftler und Experten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen

Laut den Expert*:innen vom Verein Aktion Gesunder Rücken unterscheide sich die weibliche und männliche Anatomie jedoch deutlich, weshalb unterschiedliche Produkte für Männer und Frauen sinnvoll sind. Der Verein fördert die Forschung zur Verhinderung von Rückenschmerzen und zertifiziert unterschiedliche Fahrradsättel bezüglich ihrer Rückenfreundlichkeit.

Sportwissenschaftler*innen der Sporthochschule Köln untersuchten im Auftrag des italienischen Sattelherstellers Selle Royal über 60 Proband*nnen.

Das Ergebnis:

Bei sportlicher Fahrweise im Rennrad- und Mountainbike-Bereich hätten sich von der geschlechtsspezifischen Anatomie abhängige Unterschiede ergeben, im City- und Trekkingbereich hingegen keine.

Andere Hersteller berufen sich auf Studien mit gegensätzlichen Ergebnissen.

Der Sportwissenschaftler Dr. Kim Tofaute weist deshalb darauf hin, dass bei der Interpretation und Bewertung der Studien das Studiendesign, die Fragestellung und die Methodik analysiert werden müssten:

Er gibt zu bedenken, dass es bei Herstellerstudien oft ein gewünschtes Ergebnis gäbe. Leider würden Wissenschaft und Expert*innenmeinungen gerne als Argumente im Marketingkampf eingesetzt. Es lohne sich darum, die Dinge differenziert und nicht fundamental zu betrachten. Im Sportbereich mache die Spezifität für Männer und Frauen aus den genannten und noch weiteren Gründen Sinn. Je aufrechter die Sitzposition ist, desto mehr funktionieren auch universelle Designs", fasst der Sportwissenschaftler und langjährige Ergonomie-Berater von Ergon seine Ergebnisse zusammen.

So sollte ein spezieller Damensattel sein

Der Einsatzzweck steht über dem Geschlechtsmerkmal

Wer sich aus unterschiedlichen Gründen auf die Suche nach einem neuen Sattel macht, sollte sich Zeit nehmen, so Dr. Tofaute. Es sei nicht leicht, auf Anhieb den Optimalen zu finden. Oftmals sei das ein Versuch und Fehler-Unternehmen, bei dem die Fehlgriffe überwiegen, so der Sportwissenschaftler.

Es sei von Vorteil, wenn der Radfahrer eindeutig bestimmen könne, zu welchem Zweck er sein Fahrrad nutzen wolle.

Er erklärt, dass Mountainbiker:innen beispielsweise anders auf dem Rad sitzen als Trekkingfahrer*innen.

Dieses wirke sich anders auf die Druckverteilung und damit auf die Sattelform aus, sagt Weingarten.

Für die passende Größenanalyse bieten die Sattelhersteller unterschiedliche Systeme zur Sitzknochenvermessung an. Für eine genauere Analyse rät Dr. Tofaute ambitionierten Radfahrer*innen zu einem Bike-Fitting mit Satteldruckanalyse.

Dabei können, wie Stefan Stiener, Geschäftsführer des Custom-made-Fahrradanbieters Velotraum, berichtet: Überraschungen auftauchen, denn erfahrungsgemäß kämen Männer teilweise besser mit einem Frauensattel zurecht und umgekehrt ebenfalls.

Stiener hat bereits mehr als 20.000 Radanalysen durchgeführt und kann auf einen großen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Sein Tipp: "Der Sattel muss passen, egal, welches Etikett der Hersteller draufmacht.

Alle Fotos: Pressedienst-Fahrrad.

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