Bronson: Biographie über den irrsten Häftling Englands
Künstler und gemeingefährlicher Irrer mit Gefängnis-Dauerabo: Nicolas Winding Refn zeichnet das Porträt des Häftlings Charles Bronson, ohne den Psychopathen zu idealisierenEs gibt nur wenige Häftlinge, auf die das Prädikat "larger than life" besser zuträfe, als auf den Psychopathen Michael Gordon Peterson, der sich nach dem längst verstorbenen Schauspieler Charles Bronson benannte. Anders als das aus Western und Rachethrillern bekannte Hollywood-Idol setzte sich der "echte" Bronson nie für die Schwachen ein. Im Gegenteil: Der berühmt-berüchtigte Häftling sieht die Welt als Vergnügungspark an, dessen Hauptattraktion er selbst ist. Mangels weiterer Talente, verlegte er sich schon bald darauf, seinen Mitmenschen das Leben schwer zu machen.
Der Lohn der Mühen: Ein Leben hinter Gittern und die Erfüllung seines Wunsches, berühmt zu werden. Zwar war er bereits lange vor Nicolas Winding Refns Bio-Pic "Bronson" eine Berühmtheit in seiner Heimat. Doch mit dem auf seinem Leben basierenden Film hat er wohl jene Unsterblichkeit erreicht, von der er Zeit seines Lebens träumte. Bronson-Darsteller Tom Hardy (bekannt vor allem aus den Christopher-Nolan-Blockbustern "Inception" und "The Dark Knight Rises") besuchte den Häftling und sogar dessen Familie mehrere Male, um Einblick in das Seelenleben eines Wahnsinnigen zu bekommen, den er unter anderem als sehr artikulierten, intelligenten Mann bezeichnete. Aus den Treffen entwickelte sich eine Freundschaft, die darin krönte, dass Bronson sein Markenzeichen, den mächtigen Schnurrbart, abrasierte und ihn Hardy schickte, damit er ihn im Film tragen könnte. Geisteskrank? Durchaus, und damit nur konsequent für das Leben eines Menschen, dessen einziger Daseinszweck darin zu bestehen scheint, der Gesellschaft auf der Tasche zu liegen.
Der Schauspieler Charles Bronson, der eigentlich Charles Buchinsky hieß (Bild: https://pixabay.com)
Sieben Jahre Haft für 26 Pfund Beute
Refn zeichnet in "Bronson" die wichtigsten Lebensstationen des berüchtigten Häftlings nach: Bereits als Jugendlicher fällt der damals noch unter seinem bürgerlichen Namen gerufene Michael Peterson durch seine Aggression auf, etwa als er seinen Lehrer zusammenschlägt. Ein Verbleib an der Schule ist unmöglich und Peterson sucht sich einen Job. Tatsächlich scheint er kurze Zeit einen gutbürgerlichen Lebensweg einschlagen zu können, nachdem er sich in die hübsche Irene verliebt hat, die er heiratet und mit der ein Kind bekommt.
Doch seine extrem niedrige Frustschwelle und die Aggressionen brechen sich erneut den Weg nach oben, und anstatt sich wie ein verantwortungsvoller Familienvater zu benehmen, überfällt er eine Postfiliale. Für die lächerliche Beute in der Höhe von 26 Pfund fasst er sieben Jahre Knast aus. Was er damals wohl selbst nicht ahnte: Das Gefängnis sollte seine Heimat werden. Wie ein Hoteltester zieht er von einem Gefängnis zum nächsten, da niemand dem völlig unberechenbaren, extrem muskulösen Psychopathen Herr werden kann. Ganze zweimal kommt er ab 1974 auf freien Fuß – und beide Male wandert er rasch wieder in den Knast, da er mit dem Leben außerhalb der Gefängnismauern heillos überfordert ist. Im Laufe der Zeit entwickelt er einen Hang zur Kunst, was die Aufmerksamkeit eines Kunstlehrers auf sich zieht.
Happyend? Nicht mit Charles Bronson!
Nun hält sich der Rezensent an die selbst auferlegte Regel, keinen Film unnötig zu spoilern. Doch im Falle von "Bronson" ist es unvermeidlich: Wer sich ein hoffnungsfrohes Happyend erwartet, wird enttäuscht. Bronson bleibt Bronson, sprich: Der Irre wird nicht durch die Kraft der Liebe durch eine verständnisvolle Sozialarbeiterin geheilt, ebenso wenig wie er plötzlich seinen Wahnsinn einsieht und geläutert in die Gesellschaft zurückkehrt, um fortan Antiaggressionskurse zu leiten. Natürlich nimmt sich der dänische Regisseur Nicolas Refn allerlei Freiheiten und schickt einen grotesk geschminkten Tom Hardy auf die Bühne, um dem Publikum seine Sicht der Dinge darzulegen.
Und diese ist im gleichen Maße einfach wie komplex: Man kann einen Menschen wie Charles Bronson nicht verstehen. Er ist keine heilbare Krankheit, er ist keine kontrollierbare Maschine, er ist kein zähmbares Tier – er ist, was er ist. In früheren Zeiten oder in anderen Kulturen hätte man ein Subjekt wie ihn vielleicht hingerichtet. Heute hält man ihn hinter Mauern gefangen, um den Schaden an der Gesellschaft aufs Materielle zu begrenzen. Und damit sind nicht bloß die horrenden Unterbringungskosten gemeint: Über 100 (!) Gefängnisse hat Bronson bereits von innen gesehen und dabei zahlreiche Mitgefangene und Wärter zusammengeschlagen oder als Geiseln genommen. Alleine bei einer Solo-Revolte 1983 im Gefängnis von Broadmoor verursachte er Schäden in der Höhe von fast einer Million Pfund.
Gutmenschen sind entsetzt: Gehören Leute wie Charles Bronson lebenslänglich weggesperrt? (Bild: https://pixabay.com)
Kein neuer "Uhrwerk Orange"
Oftmals wird Nicolas Refns "Bronson" mit Stanley Kubricks "Uhrwerk Orange" verglichen. Obwohl sich der Vergleich förmlich aufdrängt – hier wie dort prügeln sich zwei junge Delinquenten durch eine ihnen gegenüber ohnmächtig wirkende Welt -, hinkt er gewaltig. Alleine die Bildersprache trennt die beiden Filme unübersehbar: Kubricks hypnotischer Stil hat so gar nichts von Refns kaltem Hyper-Realismus. Wenn sich während Bronsons unerquicklichem Aufenthalt in einer Nervenheilanstalt ein Insasse mit seinem eigenen Kot beschmiert, kann man sich eine ähnliche Szene in einem Kubrick-Streifen nur schwer vorstellen. Kubrick karikierte die Welt, während Refn sie als Hintergrund für seine Filme einsetzt.
Das war in "Walhalla Rising" klar erkennbar und gilt erst recht für den 2009 inszenierten "Bronson". Auf pathetische Monologe verzichtet er ebenso wie auf schwülstig überzeichnete Bilderwelten. Vor allem jedoch trennt "Uhrwerk Orange" und "Bronson" die Hauptaussage: Kubrick stellte dem Zuschauer die Frage, inwieweit man einen Menschen, selbst einen unbestreitbar unmoralischen wie Alex DeLarge, seines freien Willens berauben darf. Refn hingegen enthält sich einer cineastischen "Message". Sie wäre auch überflüssig: Jemand wie Bronson muss aus der Gesellschaft entfernt werden. Seine Kunst, seine Bücher, seine Gedichte mögen Faszination ausüben – als Mitmensch ist er eine Gefahr, wie er ein ums andere Mal unmissverständlich bewies.
Abseits des Plusgutmenschen-Weltbilds
Nun wäre es ein Leichtes, Bronson – den knackigen Namen legte sich Peterson während seiner kurzen Zeit außerhalb der Gefängnismauern zu, als er sich mit illegalen Straßenkämpfen sein Zubrot verdiente – als Opfer der Umstände und der Gesellschaft zu verklären. Tatsächlich wuchs er aber in behüteten Verhältnissen auf, was seine Aggressionen umso unverständlicher machen. Könnte es am Ende vielleicht doch böse Menschen geben, ohne dass der Kapitalismus oder die Gesellschaft Schuld daran tragen? Dieser Antwort entschlägt sich der Film, und das ist auch gut so, verleiht die Wertfreiheit der Inszenierung dem Streifen doch zusätzliche Tiefe.
Über Hauptdarsteller Tom Hardy muss man keine großen Worte verlieren: Der Mann ist in jeder Rolle die Idealbesetzung, ohne zwangsläufig größte Sympathien für seine Figuren zu entfachen. Mitunter wirken die Gewaltdarstellungen grotesk, etwa wenn Bronson einen Wärter als Geisel nimmt, sich plötzlich entkleidet und den verängstigten Mann auffordert, ihm den Rücken und den Arsch mit Butter einzufetten, damit er beim unvermeidlichen Kampf mit den anderen Wärtern möglichst glitschig ist … aber verdammt noch mal "den Arsch", nicht "im Arsch"! Bloß bleibt das Lachen im Hals stecken wenn man bedenkt, dass es sich um reale Ereignisse handelte. Selbst mit über 60 Jahren lieferte sich Bronson noch Faustkämpfe mit Gefängniswärtern, weshalb eine Freilassung unwahrscheinlich scheint, auch wenn sich allerlei Gutmenschen dafür einsetzten.
Fazit: Nicolas Refns "Bronson" ist das faszinierend-verstörende Porträt eines sich selbst außerhalb jeglicher gesellschaftlicher Norm stellenden Irren, das durch die nüchterne Kamera und einen wie immer grandiosen Tom Hardy zu fesseln versteht. Keine leichte Kost und gewiss keine, die den Kultfaktor von "Uhrwerk Orange" erreichen wird, und dennoch ein überaus sehenswerter Film zu einer kontroversiellen Thematik, die so gar nicht ins schlichte "jeder verdient eine x-te Chance, und wenn man nur nett zu Allen ist, lassen sich Konflikte lösen"-Weltbild der (leider?) den Mainstream Diskurs dominierenden Plusgutmenschen passt.
Bildquelle:
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(Horrorfilme: Nach wahrer Begebenheit oder frei erfunden?)