"Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit war der Schlachtruf der Moderne. Freiheit, Verschiedenheit, Toleranz ist die Waffenstillstandsformel der Postmoderne. Und wenn Toleranz in Solidarität umgewandelt wird, kann sich Waffenstillstand sogar in Frieden verwandeln", diese hoffnungsvolle Botschaft formuliert Zygmunt Bauman in seinem Buch "Moderne und Ambivalenz – Das Ende der Eindeutigkeit" aus.

Der Begriff Ambivalenz leitet sich von den lateinischen Wörtern ambo "beide" und valere "gelten" ab. Ambivalenz bedeutet Zwiespältigkeit, Widersprüchlichkeit - oder frei nach der lateinischen Grundbedeutung "beides gilt". Nach Auffassung von Zygmunt Bauman ist die Welt grundsätzlich ambivalent. Unsere Existenz sei zufällig. Die Widersprüchlichkeiten die der menschliche Existenz zugrunde liegen, lassen sich nie dauerhaft überspielen. Jeder Versuch dies zu tun sei historisch betrachtet gescheitert.

 

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Leben als KonsumRetten uns die Reichen?Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit
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Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert waren Nationalismen noch ganz normal in der Selbstwahrnehmung der Menschen. Doch sind Grenzen, Nationalitäten, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit natürlich? Wer ehrlich mit sich selbst ist, wird das wohl verneinen. Das Fremde, das Andere ist zunächst immer unbekannt und nicht einschätzbar. Die Reaktionen der Abschottung sind im Wesentlichen Schutzmechanismen, die in einer globalisierten Welt immer brüchiger werden.

Zygmunt Bauman hat in seinem bereits im Jahr 1991 das Buch "Moderne und Ambivalenz – Das Ende der Eindeutigkeit" verfasst und es scheint mir aktueller denn je zu sein. Die Moderne versuchte eine Art Ordnung in unsere Gesellschaft zu bringen, führt der der britisch-polnische Soziologe aus. Doch seiner Auffassung zufolge war dieser Versuch von jeher zum Scheitern verurteilt. Einleitend setzt sich der Autor mit der "Suche nach Ordnung" auseinander und skizziert bereits die Unmöglichkeit dauerhaft Ordnung zu finden.

Die Suche nach Ordnung und die Unmöglichkeit von Ordnung

In Kapitel 1 "Der Skandal der Ambivalenz" beschreibt Zygmunt Bauman in diversen Unterkapiteln zunächst den "Traum der gesetzgebenden Vernunft", den "Staat als Gärtner" und schließlich den Zusammenhang von Wissenschaft, rationale Ordnung und Genozid (= Völkermord).

Kapitel 2 beschreibt "Die gesellschaftliche Konstruktion der Ambivalenz". Dabei sind "Die Angst vor dem Unbestimmten" und "Der Kampf gegen das Unbestimmte" von zentraler Bedeutung

Salopp formuliert könnte man sagen, dass Zygmunt Bauman dem Leser klar aufzeigt, dass nur der Wandel sicher ist beziehungsweise die Unsicherheit und Widersprüchlichkeit unserer menschlichen Existenz immer mit uns geht. - Man braucht nicht Philosoph zu sein, um das in der Betrachtung unseres Lebens klar zu erkennen. Alle Versuche, unverrückbare gesellschaftliche Ordnungen zu errichten sind historisch betrachtet kläglich gescheitert und haben im schlimmsten Falle zu den widerlichsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit geführt.

Es mag dahin gestellt werden, wie viel Ordnung eine Gesellschaft braucht oder auch nicht. Was uns Zygmunt Bauman aber sehr eindrücklich aufzeigt, ist der Aspekt des Scheiterns der den künstlich geschaffenen Ordnungen bereits innewohnt. Für die Postmoderne beziehungsweise unsere heutige Gesellschaft stellt sich deshalb mehr denn je die Frage wie wir mit der Ambivalenz, den Unsicherheiten unseres Daseins umgehen sollen.

Was ist Solidarität, wie kann sie gelebt werden ... 

Zygmunt Bauman sieht das beileibe nicht nur düster. Vielmehr hofft er auf eine Wandlung von der Toleranz hin zur Solidarität. Toleranz leitet sich vom Lateinischen ab und bedeutet "ertragen". Meiner Einschätzung zufolge ist das psychologisch gesehen ist das sicher kein Dauerzustand. Solidarität hingegen erfordert eine gewisse Empathie. Was Bauman genau unter Solidarität in unserer Gesellschaft versteht, konnte ich persönlich bei der Lektüre nicht genau festmachen. - Aber vielleicht ist das ja auch gar nicht wichtig.

Was ich allerdings spannend an dem Buch finde, ist, dass mir es in gewisser Weise auch geholfen hat, die "neuen Rechten", die "nationalistischen Tendenzen" zu verstehen. Viele Protestbewegungen scheinen sich psychologisch aus realen und tiefen Urängsten (evt. Projektionen der existenziellen Unsicherheit auf das Fremde) zu nähren. Ob die Antworten der extremen Rechten und der extremen Linken auf die Herausforderungen unserer Zeit zielführend sind, wage ich persönlich zu bezweifeln.

Zygmunt Baumans Buch "Moderne und Ambivalenz" ist jedenfalls zeitgemäß und lesenswert. Es eröffnet neue Sichtweisen auf unsere Gesellschaft und ist auch verständlich geschrieben. 

Zur Person Zygmunt Bauman:

  • geb. 1925 in Polen (Posen)
  • im 2. Weltkrieg Flucht der jüdischen Familie in die Sowjetunion
  • Studium der Soziologie
  • Lehrbeauftragter an der Universität Warschau
  • Aufgrund der antisemitischen Hetzkampagnen um 1968 verlor Bauman seine Position und wanderte nach Israel aus.
  • Anfang der 1970er-Jahre folgte er dem Angebot an der Universität Leeds in Großbritannien zu lehren.

Zu seiner wissenschaftlichen Reputation trugen auch seine Forschungen zum Verhältnis von Moderne und Holocaust bei.Wie Adorno beschäftigte er sich nicht mit dem Einzelverschulden sondern mit der gesellschaftlichen (unbewussten) Matrix, die den Holocaust in gewisser Weise erst ermöglichte.

Autor seit 10 Jahren
61 Seiten
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