Mensch soll hocken – aber richtig

 Um es nachzuholen: Das sibirische Wanderklo besteht aus drei Stöcken, die Mensch beim Wandern mit sich tragen sollte: Der eine wird – wenn einen in freier Wildbahn die Notdurft überkommt – in die Erde gesteckt, um den Hut daran aufzuhängen. Der zweite Stock ist Stütze, wenn sich der Kackende hinhockt, und der dritte ist gedacht zur Abwehr der Wölfe. Hut und Wolf mag man getrost beiseite lassen, aber gehockt hat man früher mit dem Stock besser als heutzutage auf der Schüssel, sagt Giulia Enders. Weil nur in der Hocke der Darmkanal schön gerade wird – und alles kann schnurstracks raus. Hämorrhoiden, Darmkrankheiten oder auch Verstopfungen gibt es fast nur in Ländern, in denen man beim Stuhl auf eine Art Stuhl geht. Dann kriegt der Darm einen Knick und arbeitet nur unter besonderem Druck.

 Den Darm immer gut behandeln

So lernt der Leser schon eingangs auf ziemlich direkte, aber zugleich einleuchtende Art und Weise, dass unser Darm ein "fabelhaftes Wesen" voller Sensibilität, Verantwortung und Leistungsbereitschaft ist, das gut behandelt werden will. Dafür bedankt er sich dann auch. Und das tut jedem gut. Der Darm trainiert zwei Drittel unseres Immunsystems, beschafft dem Körper die Energie zum Leben. Und er hat das größte Nervensystem nach dem Gehirn. Das will schon etwas heißen.

 Das "schwarze Schaf" wird transparent

 Das Buch der jungen Wissenschaftlerin ist kein Ersatz für die Arbeit eines Proktologen oder Internisten – es beschreibt neueste Forschungsergebnisse auf eine für den Laien höchst verständliche Art und Weise. Es erzählt, was Sache ist und fängt oben an, bei der "gargeligen" Speiseröhre, dem schiefen Magenbeutelchen, marschiert weiter zum umher schlängelnden Dünndarm, vorbei am unnötigen Blinddarm hin zum pummeligen Dickdarm. So wird es transparent, "das schwarze Schaf unter dem Organen, das einem doch bisher eher unangenehm war", wie die Autorin sagt. Und so, prophezeit Giulia Enders, wird sich das Image des Darmes ändern. Denn beispielesweise Übergewicht, Depressionen und Allergien, um nur einiges zu nennen, hängen mit einem gestörten Gleichgewicht der

Darmflora zusammen. Das heißt umgekehrt: Wenn wir uns in unserem Körper wohl fühlen, länger leben und glücklicher werden wollen, müssen wir unseren Darm pflegen.

 "…oder er pupst ab und zu"

 Dieses unterschätzte Organ produziert mehr als 20 eigene Hormone. Wer hätte das gedacht? Der Darm, so glauben die meisten, geht höchstens mal aufs Klo. Sonst hängt er wahrscheinlich lässig im Bauch rum oder pupst ab und zu. Besondere Fähigkeiten kennt man von ihm eigentlich nicht. Das heißt, wie die meisten Menschen unterschätzen wir das Darmrohr nicht nur, sondern wir schämen uns seiner. Darm mit Scham? Nein, das Buch schafft ganz neue Einsichten in ein hochkomplexes Organ. Der Darm, sagt die Autorin, "ist der Schlüssel zu Körper und Geist und eröffnet uns einen ganz neuen Blick durch die Hintertür".

Giulia Enders: Darm mit Charme – Alles über ein unterschätztes Organ; 286 Seiten, Ullstein, 16,90 Euro.

 

 

Autor seit 9 Jahren
91 Seiten
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