Die tatsächlichen Absichten

Nicht kriminalpräventive Gründe, sondern rein politische Absichten stehen hinter der neu angefachten Debatte um die innere Sicherheit. Die führende Regierungspartei verliert nach Umfragen und Wahlergebnissen kontinuierlich an Zuspruch und Ansehen, und das hat etwas mit dem Verlust ihres konservativen Profils zu tun. Viele Menschen fühlen und denken konservativ, was gar nicht unbedingt schlecht ist, aber sie fühlen sich in der CDU/CSU nicht mehr gut aufgehoben. Die Partei verliert ihr Gesicht, in der Schuld- und Bildungspolitik, in der Abkehr von der christlichen Soziallehre, im Abschied vom Wehrpflichtprinzip, in der zunehmend prinzipienlosen Außenpolitik, aber auch dank ausbleibender wirtschaftlicher Erfolge. Beliebigkeit und Taktieren statt festem  Anker. Auch das Nationalgefühl, was im konservativen Wertgefüge einen festen Platz haben sollte, hat sich unter dem Druck globaler Markt- und Grenzöffnung längst verflüchtigt.

In diesem Erosionsprozess der politischen Rechten besteht quasi nur noch eine letzte Bastion, unter der das konservative Gedankengut seine Identifikation finden kann: Auf dem Feld der inneren Sicherheit, im Ausbau des Polizeistaates. Das muss nicht sinnvoll geschehen, aber effektvoll. Es war und ist ein besonderes Anliegen der bayerischen CSU, die auch den Bundesinnenminister stellt. Hans-Peter Friedrich ist eigentlich kein Hardliner, aber ihm sitzen die Scharfmacher aus der Provinz im Nacken, allen voran die bayerische Justizministerin Beate Merk und der Münchner Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl. Sie empfinden vieles außerhalb ihres Dunstkreises als unverständlich, gefährlich, extremistisch. Deshalb sind Repression, Verbote, harte Bandagen unentbehrliche Bestandteile ihres Repertoires. Nun ist zu allem Überfluss auch noch der sehr populäre Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) als möglicher Spitzenkandidat bei der nächsten Landtagswahl im Gespräch. Der seit fünfzig Jahren regierenden CSU droht erstmals der Machtverlust - ein wahres Desaster. Das verstärkt die Nervosität, der Anus geht auf Treibeis. Verzweifelt versucht man sich an der Schärfung des konservativen Profils.

Das Dilemma der Konservativen besteht ähnlich auch für ihren Koalitionspartner, die liberale FDP. Allerdings genau umgekehrt. Für die Liberalen ist die Verteidigung von Bürgerrechten und Meinungsfreiheit die letzte Bastion, aus der sie noch Honig saugen können. Auf allen anderen Gebieten haben sie sich gründlich unbeliebt gemacht. Nur: Wer nimmt eine Drei-Prozent-Partei noch ernst?

Vorläufiges Fazit: Unsere persönliche Freiheit oder was davon geblieben ist, soll geopfert werden, damit eine abgewirtschaftete Partei politisch überleben kann. Da sollte man klare Kante zeigen - und entschieden Nein sagen.

Drängt auf mehr staatliche Regulierung: Kanzlerin Merkel
Angela Merkel

Angela Merkel (Bild: Armin Linnartz)

Die möglichen Folgen

Wird die Anonymität des Internet tatsächlich aufgehoben, werden seine Inhalte zunehmend zensiert - was schon heute in Ansätzen geschieht -, wäre dies rechtlich als massiver Eingriff in die Freiheitsrechte zu werten, als systematische und schwerwiegende Aushöhlung eines von der Verfassung garantierten Grundrechts. Dazu ist der Staat nur berechtigt unter zwei Voraussetzungen: Erstens dass eine erhebliche gegenwärtige Gefahr besteht und (zweitens) dass der Eingriff notwendig, geeignet und angemessen ist, diese Gefahr abzuwehren. Die zweite Voraussetzung dürfte, wie ich denke, als widerlegt gelten. Aber liegt eigentlich eine Gefahr vor? Im Falle eines aktiven Terror-Netzwerkes sicher ja. Die mögliche Ausnahmeerscheinung eines Massenmörders, noch dazu im Ausland, erfüllt diese Voraussetzung mit Sicherheit nicht.

Dennoch wird - auch unabhängig von der aktuellen innenpolitischen Debatte - an einer staatlichen Regulierung des Internet gearbeitet. Das war auch ein Thema der Gespräche zwischen Präsident Sarkozy und Kanzlerin Merkel beim  letzten G-8-Gipfel vor einigen Monaten.  Es hat nur kaum jemand wahrgenommen, weil sich der öffentliche Fokus auf Libyen und Ägypten richtete.

Das Internet wird nicht bleiben, wie es ist. Es ist absehbar, dass es schon in naher Zukunft nicht mehr zum Quasi-Nulltarif zu nutzen sein wird, dass viele Teilnehmer aufgrund einer Kostenbarriere ausscheiden. Konzentration und Bereinigung werden die Überwachung erleichtern und neben dem Verlust der Anonymität wird sich eine geschärfte Zensur etablieren. Dazu wird es nicht einmal einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. Es werden die ungeschriebenen Regeln sein, denen sich der User zu unterwerfen hat. Die Netz-Strukturen werden monopolisiert, die Spontaneität verdrängt, das virtuelle Leben gleicht sich also dem realen Leben an. Was sich heute noch so harmlos-unverdächtig anhört wie das Wort "Nettikette", könnte bald zum Exterminator werden. Unter dem Vorwand der Qualität wird es möglich sein, missliebige Inhalte zu entfernen.

Ist das gut? Mit dem Internet wurde den Menschen eine Art Lebensersatz angeboten. Sie haben es massenhaft angenommen. In dieser Parallelwelt können sie ihre Fantasien ausleben, ihre Wunschidentitäten pflegen, auch ihren abartigen Neigungen nachgehen. Das Netz ist ein notwendiger privater Rückzugsraum, den jeder Mensch braucht und im realen Dasein immer weniger findet. Vor allem aber kann er hier seinen  Frust ablassen. Das Netz ist ein wichtiges Ventil (fast eine Droge) geworden. Wer die Möglichkeit hat, jemanden gedanklich hinzurichten, wird das nicht im wirklichen Leben tun. Das kennt man aus der Literatur. Im wirklichen Leben der westlichen Welt ist ein Rückgang der schweren Straftaten feststellbar, auch der politischen Proteste und Unruhen, der Aktivitäten schlechthin. Die Sicherheit, deren Ausbau hier gefordert wird, war in Wirklichkeit noch nie so umfassend ausgebildet wie jetzt. Nach meiner Auffassung geht das auch darauf zurück, dass dieses Massenventil Internet vorhanden ist und funktioniert. Fällt es aus, könnte die Gewalt ins reale Leben zurückkehren.

Zum Abschluss: Die Erfolgsaussichten der Hardliner

Vorerst schätze ich diese als sehr mäßig ein. Auch in der CDU gibt es liberal gesinnte Kräfte, denen der Verstoß der Schwesterpartei zu weit geht. Die Oppositionsparteien, die nach aktuellen Umfragen bei fast sechzig Prozent Zustimmung liegen, werden ein solches Projekt nicht mittragen, jedenfalls nicht in der laufenden Legislaturperiode. Auch wenn es im rechten SPD-Flügel Sympathien dafür gibt.

Es wird deshalb wohl ein Wahlkampf-Thema der Union, mit dem sich auch von anderen Problemen ablenken lässt. "Nur das transparente Internet kann ein sicheres und sauberes Internet sein" - so etwa könnte die demagogische Formel lauten, mit der es die Konservativen noch einmal versuchen wollen.

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