Mögliche Folgen von Autismus: Selbstisolation und Ausgrenzung. (Bild: Stephanie Hofschläger / pixelio.de)

Begriffsbildung

In die Wissenschaft eingeführt wurde der Begriff Autismus im Jahr 1911 durch den Schweizer Psychiater Eugen Bleuler. Er rechnete ihn noch zum Erscheinungsbild der Schizophrenie. Die Österreicher Leo Kanner und Hans Asperger wiesen jedoch in ihren Studien von 1943 und 1944 die Unterschiede zwischen dem schizophrenen und dem autistischen Erscheinungsbild nach. Während sich schizophrene Personen aktiv von der Außenwelt zurückziehen, ist der Zustand der Zurückgezogenheit bei Autisten angeboren und lebenslang stabil.

 

Formen des Autismus

Frühkindlicher Autismus

Allgemein am bekanntesten ist der frühkindliche Autismus. Diese auch Kanner-Syndrom genannte Autismusvariante wird in Abhängigkeit vom jeweiligen geistigen Leistungsvermögen der Betroffenen in LowIntermediate und High Functioning Autism (LFA, IFA, und HFA) unterteilt.

 

Atypischer Autismus

Eine Sonderform des frühkindlichen Autismus ist der sogenannte atypische Autismus. Da er nicht alle Diagnosekriterien des Kanner-Syndroms erfüllt oder sich erst nach dem dritten Lebensjahr manifestiert, erscheint seine Sonderstellung gerechtfertigt.

 

Asperger-Syndrom

Eine dritte Form des Autismus stellt das Asperger-Syndrom dar. Da es in vielen Fällen unentdeckt bleibt und sich die Betroffenen ihrer Eigenart oft nicht bewusst sind, blieben die Asperger-Autisten bis in die jüngste Zeit weitgehend unbeachtet. Sie wurden in der Öffentlichkeit allenfalls als eigenartige Sonderlinge wahrgenommen, die es mit den sozialen Spielregeln nicht so genau nehmen oder die sich ihnen entziehen. Da es zwischen dem Asperger-Syndrom und dem hochfunktionellen Autismus auf den ersten Blick keine signifikanten Unterschiede zu geben scheint, werden beide Begriffe oft verwechselt oder synonym verwendet.

 

Autismusspektrum

Da die Übergänge zwischen den genannten Ausprägungen anscheinend fließend sind, werden die einzelnen Syndrome in der Autismusforschung neuerdings auch zu einem "Autismusspektrum" zusammengefasst. Der Übersichtlichkeit wegen werden im Folgenden die klassischen Bezeichnungen beibehalten. Dennoch vertritt der Autor die Sichtweise, die den Autismus in seiner Ganzheit als ganz spezielle menschliche Existenzform begreift und eine Pathologisierung autistischen Seins ablehnt.

 

Die Symptome des Kanner-Syndroms

Der Autismus umfasst ein breites Spektrum unterschiedlicher Zustände. Sie können von Fall zu Fall ungleich ausgeprägt sein. Der frühkindliche Autismus (Kanner-Syndrom) ist gekennzeichnet durch eine stark eingeschränkte Befähigung zum Spracherwerb. Nicht selten leiden die Betroffenen zusätzlich unter motorischen Koordinationsstörungen. Während der niedrigfunktionelle Autismus mit vermindertem geistigem Leistungsvermögen einhergeht, zeichnen sich Menschen mit hochfunktionellem Autismus durch ein normales Intelligenzniveau oder gar durch Hochbegabung aus.

 

Sprachentwicklung

Erste Auffälligkeiten lassen sich zwischen dem zehnten und zwölften Lebensmonat diagnostizieren. Je nach Ausprägung kommt es zu einem Ausfall oder zu einer Verzögerung der Sprachentwicklung. Erwachsene, hochfunktionelle Autisten fallen einerseits durch eine in Duktus und Grammatik hochstehende Sprache und einen übergenauen, eintönigen Sprechstil auf. Andererseits haben sie Schwierigkeiten, Blickkontakt zu halten, ein Gespräch zu beginnen oder fortzuführen. Zudem fällt es ihnen schwer, Ironie und Metaphern zu verstehen und selbst anzuwenden. Gefühlsäußerungen werden oft missinterpretiert oder gar nicht erst verstanden.

 

Mimik und Gestik

Der ausgeprägte Mangel an nonverbalen Verhaltensweisen wie Mienen- und Gebärdenspiel erschwert es den Betroffenen, soziale Beziehungen zu anderen Menschen zu entwickeln oder zu pflegen. Ihr Hauptproblem besteht darin, den Nicht-Autisten begreiflich zu machen, wie es außerhalb der Grenzen dessen, was Nicht-Autisten zu akzeptieren bereit sind, aussieht. Aggressionen und Wutausbrüche auf Grund situationsbedingter Reizüberflutung können den Aufbau sozialer Kontakte erheblich erschweren. Neben diesen sozialen und emotionalen Beeinträchtigungen zeigen Kanner-Autisten ein eigenartiges, mitunter starres Festhalten an stereotypen Gewohnheiten. Unerwartete Ortswechsel oder Veränderungen der gewohnten Umgebung führen deshalb zu Reizüberflutung und können erhebliche Irritationen auslösen. Typisch für diese Autisten ist auch die unentwegte Beschäftigung mit Teilen von Objekten oder das Erstellen von Listen ("Autisten lieben Listen").

 

Die Symptome des Asperger-Syndroms 

Soziale Kompetenz

Das Asperger-Syndrom wird als eine leichtere Form des klassischen Autismus eingestuft. Es tritt ungefähr ab dem vierten Lebensjahr in Erscheinung. Ähnlich wie beim Kanner-Syndrom fehlen den Betroffenen der Wunsch nach sozialer Interaktion sowie die Fähigkeit, angemessen nonverbal zu kommunizieren. Hinzu kommen das Vermeiden von Blick- und Körperkontakt, Unsicherheit im belanglosen Gespräch ("small talk") oder beim Telefonieren sowie Unverständnis sozialer Spielregeln. Viele Asperger-Autisten verfügen deshalb kaum über einen nennenswerten Freundeskreis. Das für das Fortkommen im Berufsleben unerlässliche Knüpfen von Netzwerken gelingt ihnen ebenfalls nicht oder nur unter großen Anstrengungen. Diese Selbstisolation wird von den Betroffenen jedoch nicht als Mangel oder als Nachteil empfunden.

 

Intellektuelle Kompetenz

Als Erwachsene unterscheiden sich viele Asperger-Autisten nicht von hochfunktionellen Autisten. Nicht selten beobachtet man das Auftreten von überdurchschnittlicher Intelligenz oder von Begabungen auf ganz speziellen, zum Teil exotischen Fachgebieten (Inselbegabungen). Damit einher geht ein außergewöhnliches, bis zur Skurrilität reichendes Fach- und Detailwissen. Der Alltag der Asperger-Autisten wird durch auffällige Gewohnheiten bestimmt, die mehr oder weniger strikt eingehalten werden. Viele Betroffene gelten daher bei ihren Mitmenschen in Verkennung der wahren Ursache als kauzige Exzentriker.

 

Ursachenforschung steht noch am Anfang

Nach aktuellem Wissensstand kann Autismus nicht monokausal erklärt werden. Derzeit wird ein komplexes Zusammenwirken biologisch-genetischer und externer, sozialer Faktoren als ursächlich konstatiert. Die untersuchten Faktoren sind derart vielfältig und die Forschungsergebnisse zumeist noch so unsicher und zudem so hochspeziell, dass hier nicht näher darauf eingegangen werden kann. Abenteuerliche Theorien, nach denen fehlende Zuneigung ("Kühlschrankmütter") oder gar Darmparasiten die Ursache von Autismus sein sollen, entbehren jeglicher Seriosität.

 

Die gesellschaftliche Akzeptanz der Autisten in Deutschland

Durch den Spielfilm "Rain Man" (1988) mit Dustin Hoffman in der Hauptrolle wurden die Begriffe Autismus und Autist einem breiteren Publikum bekannt gemacht. Der Film hat den amerikanischen Inselbegabten Kim Peek (verstorben am 19.12.2009) zum Vorbild, der über extrem außergewöhnliche Begabungen und phänomenale Gedächtnisleistungen verfügte. Peek war jedoch kein reiner Autist. Er besaß die seltene Diagnose des Savant-Syndroms. Etwa die Hälfte aller Savants gilt als autistisch veranlagt. Immerhin verdanken wir nicht zuletzt der grandiosen schauspielerischen Leistung Dustin Hoffmans, dass die Autisten ein wenig in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt sind. Der sensibel produzierte und sehenswerte Film "Adam" aus dem Jahr 2009 zeigt ein realistischeres, aber nicht weniger beeindruckendes Bild eines Asperger-Autisten (http://www.filmstarts.de/kritiken/102739-Adam/trailer/3512.html).

Obwohl ihre Zahl stetig steigt, stellen Autisten in den meisten Ländern im wahrsten Wortsinne Randexistenzen dar. Zahlreiche Asperger-Autisten sind in Deutschland aus schlichter Unkenntnis seitens ihrer "neuronormalen" Mitmenschen zahlreichen Diskriminierungen und Benachteiligungen ausgesetzt. Die Autismus-Forschungs-Kooperation (AFK) in Berlin, in der Wissenschaftler und Autisten zusammenarbeiten, hat sich zum Ziel gesetzt, das Wissen über Autismus in der Bevölkerung zu verbessern und Vorurteile abzubauen.

Quellen:

http://www.autismus-forschungs-kooperation.de/

  • Theunissen, Kulig, Leuchte, Paetz (Hrsg.): Handlexikon Autismus-Spektrum. Verlag W. Kohlhammer, 2015
  • Seng, Hajo: Im Spiegel der Autismusforschung. Psychosozial-Verlag Gießen, 2010
  • Frith, Uta: Autism: A very short Introduction.", Oxford University Press, 2008
  • Attwood, Tony: Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom. Alle Fragen-alle Antworten. Trias, 2008
  • Zucker, Patrick: Das Asperger-Syndrom. Die Situation erwachsener Betroffener. Abschlussarbeit beim Institut für Sozialforschung und Berufliche Weiterbildung, Neustrelitz, 2002

Bitte beachten Sie, dass dieser Artikel generell fachlichen Rat - zum Beispiel durch einen Arzt - nicht ersetzen kann.

Foto: © Stephanie Hofschlaeger/Pixelio.de

Autor seit 10 Jahren
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