Der "Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal - Zusammenfassung und Interpretation
Eine ausführliche Inhaltsangabe, Erläuterungen und eine kurze Interpretation des allegorischen Theaterstückes "Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal.Inhaltsangabe "Jedermann" - Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes
Das Stück spielt auf der Erde in Jedermanns Haus und im Himmel. Zeitpunkt ist das allegorische Mittelalter. Neben reellen Personen wie Jedermann, seiner Mutter, Knecht, Schwager und seiner Geliebten "die Buhlschaft" treten hier auch Tod und Engel, "Der Mammon", "Der Glaube" und "Die guten Werke" in Persona auf.
Jedermann ist der Titel des Stückes und zugleich der Name des Hauptprotagonisten.
Jedermann und die Buhlschaft (Jörg Herwegh als Jedermann) (Bild: FLTB Freies Landestheater Bayern)
Jedermann ist ein echter Lebemann (das Wortspiel an dieser Stelle ist unbeabsichtigt). Er hat es zu Geld gebracht, feiert gerne und ausgiebig und als echter Genussmensch umgibt er sich gerne mit schönen Frauen.
Gott ist davon wenig begeistert, er ist sogar verärgert über diesen Kapitalisten, der das Leben genießt und es wagt, an sein Vergnügen zu denken. Jedermann muss bestraft werden und so schickt der Herrgott niemand anderen als den Tod, um Jedermann vor den göttlichen Richerstuhl zu zerren, damit er dort Rechenschaft für sein Leben ablegt.
Der gute Mann ahnt noch nichts davon, er möchte für sich und seine Buhlschaft (Liebchen) ein Haus bauen lassen und befindet sich auf dem Weg zu einer Grundstücksbesichtigung. Unterwegs begegnet er einem Nachbarn, der ihn um finanzielle Hilfe bittet. Dieser wird mit einem Almosen abgespeist und seinen eigenen Knecht lässt Jedermann in den Schuldturm bringen, da dieser seine Schulden nicht begleichen kann. Aber der reiche Lebemann zeigt ein wenig Erbarmen und verspricht dem künftigen Bewohner des Schuldturms, für seine Frau und die Kinder zu sorgen.
Zu Hause wartet dann der Vorwurf in Person auf ihn: Seine streng katholische Mutter. Sie hält rein gar nichts von seiner unsoliden Lebensführung und drängt ihn, sich wieder an Gottes Gebote zu erinnern. - Welches Gebot besagt, man dürfe keinen Spaß am Leben haben, wird dabei nicht erwähnt, aber das nur am Rande.
Um die Mutter zu besänftigen, verspricht er ihr, sich bald zu verheiraten und sich zu ändern, doch seine gute Laune ist damit erstmal dahin.
Der Tod kommt immer im schlechtesten Augenblick:
Am gleichen Abend erhofft er sich Aufheiterung von einem großen Fest, zu dem Mädchen, Spielleute, gute Freunde und seine Buhlschaft eingeladen sind. Alle sind fröhlich und feiern ausgelassen, doch der Gastgeber selbst wirkt nachdenklich. Erst später kann ihn seine Buhlschaft aufheitern und als die Stimmung unter den Gästen auf dem Höhepunkt ist, erscheint der Tod. Der alte Spielverderber verängstigt die Leute mit seinem Erscheinen und teilt Jedermann mit, er wolle ihn holen. Alle Gäste flüchten panisch, sodass der Todgeweihte dem Sensenmann alleine gegenübersteht.
Der Handel mit dem Sensenmann:
Da Jedermann nicht ganz wohl dabei ist, vor Gottes Richterstuhl treten zu müssen und der Tod mit sich handeln lässt, macht er ihm ein Zugeständnis:
Er darf jemanden suchen, der bereit ist, ihn zu begleiten. Diese Suche gestaltet sich als erfolglos, dafür hängen seine Freunde und Verwandten zu sehr am Leben.
Der Sensenmann (Bild: OpenClips / Pixabay)
Kann man Geld ins Jenseits mitnehmen?
Als letzten Ausweg erhofft er sich die Solidarität seines guten Freundes "Mammon" - sein Geld. Es hat ihm immer gut gedient (seiner Ansicht nach), doch der Mammon springt aus der Geldtruhe und lacht ihm ins Gesicht. Es sei genau umgekehrt gewesen, teilt er ihm mit, nicht der Mammon habe Jedermann gedient, sondern der Mann dem Geld.
Teufel, Glaube und Gute Werke
Resigniert macht er sich auf, seinen letzten Weg zu gehen, da erscheinen seine "Guten Werke" in Persona. Zerbrechlich, kraftlos und mit leiser Stimme erklären sich die guten Werke bereit, ihn ins Jenseits zu begleiten. Sie sind so schwach, dass sie sich kaum auf den Beinen halten können, da Jedermann in seinem Leben einfach zu wenig gute Werke getan hat.
Dagegen hat der Teufel, der natürlich auch noch erscheinen muss, wesentlich mehr Energie und strotzt vor Kraft. Die "Guten Werke" versuchen, Jedermann zu schützen, doch sind sie zu schwach und können ihn nicht retten. Im letzten Moment betritt der "Glaube" die Bühne und da in dem Mann wohl noch genügend Glauben vorhanden ist, siegt dieser über den Teufel.
Der Glaube erklärt Jedermann, dass seine Schuld bereits durch den Tod Jesus Christus erlöst wurde. Zusammen mit seinem Glauben und den Guten Werken tritt er nun endlich und ohne Angst seinen letzten Gang auf die "andere Seite" an.
Interpretation und Kritik:
Die vermittelten Botschaften in diesem Stück sind so offensichtlich, dass sie einen fast erschlagen.
Es vertritt die - über viele Jahrhunderte gepredigte – Ansicht, man solle doch in Armut leben, Reichtum wäre eine Sünde, und nur wer arm ist, ist ein guter Mensch. Dass diese Ansicht von einer Institution vertreten wurde, die bevorzugt in solchen ärmlichen Behausungen residiert:
Petersdom (Bild: timmz / Pixabay)
Was hat Jedermann "Schlimmes" getan?
Er hat genügend Geld, um angenehm zu leben und sich ein Haus bauen zu können.
Er feiert gerne (= Lebensfreude) und ist fleischlichen Genüssen nicht abgeneigt.
Er öffnet nicht für jeden Bittsteller den Geldbeutel – ganz ehrlich, wenn er das täte, wäre er in zwei Wochen pleite.
Dass er den Knecht in den Schuldturm hat bringen lassen, ist noch sehr gnädig – ein paar Jahrhunderte früher oder auch in anderen Ländern wäre der Knecht in Ketten gelegt, zur Zwangsarbeit verdonnert oder verdroschen worden und nebenbei hätten die Geldeintreiber noch sein Haus geplündert und angezündet.
(Bild: OpenClips / Pixabay)
Im Prinzip sagt und dieses Stück: Wer arm ist und leidet, ist gut. Wer das Leben genießt (man weiß ja nie, wann der Tod erscheint und einen mitnimmt) ist schlecht.
Aber der Mammon hat auch seine Tücken und das ist ebenfalls eine Möglichkeit der Interpretation: Wenn man ihm "dient" und davon besessen ist (oder habgierig), übt das Geld Macht über einen selbst aus. Eine schöne Botschaft dieses Stückes ist auch, dass man seinen materiellen Besitz im wahrsten Sinne des Wortes nicht "mitnehmen" kann und es einem im Tod nichts mehr nützt.
Der Richterstuhl Gottes:
Eine alte Ansicht, die von einer gewissen Institution gepredigt wurde, die seit ihrem Bestehen das Recht auf die Nähe zu Gott für sich beansprucht. Meiner Meinung nach dient dieses Märchen vom Gericht Gottes nur dazu, die Menschen zu ängstigen, ihnen ein schlechtes Gewissen einzureden und dadurch Macht über sie auszuüben.
In modernen spirituellen Schriften und Ansichten dagegen wird immer wieder betont, dass Gott Liebe ist, nicht wertet und schon gar nicht urteilt. Es ist eine Energie, die alles Leben geschaffen hat, sie ist in jedem und gerade in Momenten der Freude kann man diese Energie am besten empfinden. Und warum soll man in Armut leben? Wer nichts braucht, kann damit glücklich sein. Aber ist es nicht viel entspannender, wenn man sich keine Sorgen machen muss, in Fülle leben kann und nicht hungern muss? Aber ich schweife ab.
Diese Erlebnisse des Jedermann – das Gespräch mit dem Tod, seine guten Werke und der Teufel – spielen sich in seinem Kopf ab. Es ist sein eigenes schlechtes Gewissen, das an ihm nagt und die Angst vor göttlicher Bestrafung. Auch hier fällt mir wieder das kirchliche Fegefeuer ein und die fürher üblichen Predigten, "Wer gut war, darf ins Himmelreich, wer böse war muss in die Hölle" und so weiter. Und wer sollte sich mit solchen Dinger besser auskenne, als eine Institution, die über Jahrhunderte auf Hexenverfolgungen, grausame Folter, Kreuzzüge und andere freundliche Praktiken spezialisiert war?
Im Buddhismus würde man den Konflikt eher als Karma bezeichnen – Schuldgefühle. Sie verbleiben im Unterbewusstsein und veranlassen einen dazu, sich quasi im nächsten Leben selbst zu "bestrafen".
Hexenverbrennung Scheiterhaufen (Bild: yve hermans / Flickr)
Die allegorischen Figuren:
Die guten Werke
Die guten Taten, die man sein Leben lang vollbracht hat.
Der Mammon
Geld und Besitz. Früher wurde häufig vom "schnöden Mammon" gesprochen, heute ist dieser Begriff nicht mehr ganz so geläufig.
Der Tod
Der Tod wird gerne und häufig als Person dargestellt. In Bayern ist er auch als Boandlkramer bekannt und - wie wir aus dem "Brander Kapser" wissen -, lässt er gerne mit sich handeln. Der bayerische Sensenmann beispielsweise bevorzugt Hochprozentiges, weshalb man ihn nach dem Konsum von genügend Kirschwasser gut übers Ohr hauen und noch ein paar Lebensjahre für sich herausschlagen kann. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum in bayerischen Haushalten immer Obstler oder andere Schnäpse vorrätig sind.
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Der Teufel
Das personifizierte Böse, ein Sündenbock, dem man eigene Fehlentscheidungen in die Schuhe schieben kann. In diesem Theaterstück übrigens eine Paraderolle für einen Schauspieler. Ich würde fast behaupten, es ist die interessanteste Rolle des Stückes, da man sie unglaublich vielschichtig spielen und richtig die (Rampen-)Sau rauslassen kann.
Der Glaube
Jedermann ist Katholik. Der "Glaube" wird häufig von einer Frau dargestellt und ist eine eher unspektakuläre Rolle.
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Hugo von Hofmannsthal
Hugo von Hofmannsthal ( 01.02.1874 – 15.07.1929) war ein österreichischer Lyriker und Schrifsteller, der bereits im Alter von 16 Jahren erste Gedichte schrieb und als Siebzehnjähriger sein erstes Drama mit dem Titel "Gestern" fertigstellte. Hofmannsthal begann 1892 Jura zu studieren und später Romanistik. Er promovierte 1898 zum Dr. phil. Ab 1901 lebte er in Rodau bei Wien als freier Schriftsteller. Im Laufe seines Lebens unternahm er viele Reisen u.a. nach Frankreich und in die Mittelmeerländer und pflegte Freundschaften mit Arthur Schnitzler und Stefan George.
Seine frühen Werke sind bekannt für die feine Wortkunst, später konzentrierte er sich auf antike Themen und interpretierte geistliche Mysterienspiele neu. Sein bekanntestes und erfolgreichstes Stück ist das "Spiel vom sterben des reichen Mannes" - Jedermann. Warum ausgerechnet dieses Spiel, das vor moralischer Scheinheiligkeit nur so strotzt, derart beliebt ist, erschließt sich mir nicht. Vielleicht liegt es daran, dass es sehr leicht verständlich ist. Jeder erkennt sofort den Sinn dahinter, versteht, wer gut und wer böse ist und das Stück häufig opulent inszeniert wird.
Weitere Werke von Hofmannsthal:
Zwischen 1907 und 1911 verfasste er die Dramen:
"Der weiße Fächer" (1907)
"Christinas Heimreise" (1910)
"Alkestis" (1911),
Später die problemtiefe Komödie: "Der Schwierige und der Unbestechliche"
Bereits 1899 schrieb er die Novelle "Das Bergwerk zu Falun", die aber erst 1932 posthum veröffentlicht wurde.
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)