Der Mann, der 40.000 Bücher stahl
Kennen Sie Graf Libri? Nie gehört? Guglielmo Libri war der wohl größte Bücherdieb aller Zeiten. Lesen Sie in diesem Artikel, wie er es schaffte, ganze Bibliotheken leer zu räumen.Mit 13 Student, mit 20 Professor
Guglielmo Libri wurde 1803 in Florenz in eine alte Florentier Adelsfamilie hineingeboren. Mit 13 Jahren kam er – nach heutigem Verständnis als Kind – an die Universität Pisa, um Jura zu studieren. Doch schon bald entdeckte er seine Liebe zur Mathematik und den Naturwissenschaften. Er verlor die Lust an den Rechtswissenschaften und wechselte das Studienfach. Seine erste veröffentlichte wissenschaftliche Schrift, die er noch als Student verfasste, war so bemerkenswert, dass sogar der berühmte deutsche Mathematiker Carl Friedrich Gauß dem jungen Libri Anerkennung zollte. Alles in allem stand Guglielmo Libri mit 17 Jahren – aus bestem Hause und mit großem Intellekt ausgestattet – eine glänzende Zukunft als Wissenschaftler bevor. Mit erst 20 Jahren wurde er Professor an der Universität Pisa.
Vom Professor zum Staatsfeind
Doch es kam anders. Libri merkte schnell, dass er kein Talent zum Professor hatte. Das Lehren lag ihm nicht. Kaum zum Professor ernannt, war er mit Anfang 20 bereits wieder emeritiert. Er reiste nach Paris und verkehrte dort mit großen Mathematikern wie Laplace und Ampère. Zurück in Italien schloss sich Libri den Carbonari an. Diese waren ein Geheimbund – und sie waren verboten. Italien war zu jener Zeit – ähnlich wie Deutschland – ein politisch zersplittertes Land. Ob im Norden, in der Mitte oder im Süden Italiens: Nach der Niederlage Napoleons und dem Wiener Kongress herrschten überall in Italien wieder Monarchen. Die Losung der Carbonari lautete "Iustum necare reges Italiae" ("Es ist gerecht, Italiens Fürsten zu töten"). In der Toskana kämpften die Carbonari für eine liberale Verfassung. Guglielmo Libri war zum Staatsfeind geworden und musste Verhaftung und Verurteilung fürchten.
Größter Bücherdieb aller Zeiten: Guglielmo Libri soll 40.000 Bücher gestohlen haben (Bild: PublicDomainPictures / pixabay.com)
Vom Revolutionär zum Professor
1830 floh Libri nach Paris und wurde in der Julirevolution zum Revolutionär mit einigem politischen Einfluss. Drei Jahre später nahm Libri die französische Staatsbürgerschaft an. In Frankreich schaffte er innerhalb weniger Jahre – auch durch die Hilfe einflussreicher Freunde – einen atemberaubenden Aufstieg: vom klammen Asylanten zum hochgeachteten Mathematik-Professor, zunächst an der Sorbonne, später am Collège de France. Er wurde Mitglied der elitären Pariser Akademie der Wissenschaften und der Ehrenlegion.
Doch sein Aufstieg brachte ihm auch viele Neider. Sein größtes Problem aber war seine Arroganz. Er geriet zunehmend ins Abseits, wurde von vielen seiner Mathematiker-Kollegen – nicht nur wissenschaftlich – kritisiert, gar bekämpft. Libri konzentrierte sich nun mit Mitte 30 vor allem auf die Erforschung der Geschichte der Mathematik. Darüber wurde er zum akribischen, leidenschaftlichen Sammler von Büchern und Manuskripten.
Der Casanova der Bücher
Wieder durch einen Freund kam Guglielmo Libri 1841 in eine privilegierte Stellung: die des Sekretärs der Kommission für den Gesamthandschriftenkatalog der öffentlichen Bibliotheken Frankreichs. Damit war er eine Art oberster Bibliothekar Frankreichs. Die Bibliotheken des Landes standen ihm offen. Kontrolliert wurde er in seiner Stellung nicht. Ob Libri zu diesem Zeitpunkt schon längst der Bibliomanie verfallen war und bislang nur keine Gelegenheit gehabt hatte, sie zu befriedigen? Als Sekretär der Bibliotheks-Kommission jedenfalls begann er schon bald, Bücher um Bücher beiseite zu schaffen. Er war in seiner Leidenschaft, Bücher zu besitzen, nicht mehr zu bremsen. Ob ihm das Stehlen bald zur Routine wurde? Oder gab es ihm gar einen Kick, immer wieder aufs Neue Bücher zu stehlen?
Libri hortete nicht nur Bücher, er handelte auch mit ihnen. 1847 verkaufte er Bücher für über 300.000 Franc – zur damaligen Zeit ein sagenhaftes Vermögen. Doch die Polizei war Libri mittlerweile auf den Fersen, wenn auch eher halbherzig. Denn er genoss politische Protektion – noch.
Mit 18 Bücherkisten durch den Ärmelkanal
Mit der Februarrevolution von 1848 war es mit der Protektion vorbei. Es wurde eng für Guglielmo Libri. Um der Verhaftung zu entgehen, floh Libri nach England. Zuvor hatte er noch veranlasst, dass 18 Kisten mit seinen wertvollsten Büchern über den Ärmelkanal verschifft werden. Die Polizei war daran, die Kisten zu beschlagnahmen. Doch zu spät! Das Schiff mit den Kisten an Bord war bereits auf dem Weg nach England. Libris finanzieller Ruin war abgewendet. In Frankreich wurde Libri in Abwesenheit wegen Diebstahls zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Er sollte Frankreich nie wieder sehen.
Obwohl Guglielmo Libri in England mit nichts als seinen Büchern ankam, brachte er es auch hier innerhalb kurzer Zeit zu Wohlstand und Ansehen. Er gab sich als politischer Flüchtling aus und fand einflussreiche Unterstützer. Seinen Lebensunterhalt bestritt er mit dem Verkauf von Büchern. Vor allem Libri war es, der erstmals in der Geschichte einen Markt für wissenschaftliche Bücher schuf. Kurz vor seinem Tod kehrte Libri nach Italien zurück. Er starb 1869 im Alter von 66 Jahren in der Toskana.
Titelbild: PublicDomainPictures / pixabay.com; Bild im Text (Büchertunnel): PublicDomainPictures / pixabay.com