Geschichte mit zweierlei Maß gemessen?

Als im September 2014 die Linken-Politikerin Ina Leukefeld äußerte, sie persönlich könne den Begriff "Unrechtsstaat" für die DDR nicht akzeptieren, blieb der öffentliche Aufschrei aus. Man stelle sich einmal vor, ein Politiker hätte dies sinngemäß über die NS-Diktatur gesagt...

Dieses kleine Beispiel zeigt bereits, dass bei vielen Menschen immer noch eine Verharmlosung der DDR vorherrscht. Über die ostdeutschen Kommunisten lacht man eher, tut sie als verwirrte Tattergreise und wirtschaftliche Totalversager ab. Den deutschen Kommunismus reduzierten unzählige Fernsehbeiträge auf Broiler, FKK und Trabant.

An dieser Stelle soll nicht der Vergleich zwischen roter und brauner Diktatur bemüht werden. Die Parallelen sind zwar vielfältig und unübersehbar. Doch ein solcher Vergleich tritt leider zu oft emotionale Diskussionen los. Den Opfern beider Diktaturen würde das nicht gerecht werden, denn um jene Menschen geht es schließlich in diesem Text. Es gibt daher zwar genügend Beispiele, die aufzeigen, dass unter neuer Farbe der alte Geist gehegt wurde. Dennoch: Auch ohne Vergleich zum Hitlerreich war die DDR (entgegen aller Ostalgie) schlimm genug.

Der Opferwettstreit

Doch genau an diesem Punkt setzt der Abwehrmechanismus altgedienter Kommunisten ein. Täter von gestern zeigen mit den Fingern auf Täter von vorgestern. Rotes Unrecht soll offenbar totgeschwiegen werden, bis die letzten Zeitzeugen verschwunden sind. Organisationen ehemaliger Täter, die hier wegen ihrer Klagewut aus Rechtsgründen nicht genannt werden, diffamieren deshalb Gedenkstätten und stören dortige Führungen. So kann es passieren, dass eine Folterstätte gegenüber Schülern schon mal zum Wellness-Gefängnis inklusive Schwimmbad umdeklariert wird.

Wo Opfer linker Diktatur nicht geleugnet werden können, sind sie zumindest der Verleumdung und der gezielten Geschichtsfälschung ausgesetzt. Insassen der Jugendwerkhöfe und Spezialkinderheime gelten beispielsweise vielen bis heute einfach als "Schwererziehbare" oder Kleinkriminelle. Richtig makaber wird es dann, wenn sichergestellte Mittel aus dem Vermögen der DDR-Diktatur (so genannte PMO-Mittel) benutzt werden, um linkslastige Gedenkstättenarbeit zu finanzieren. So wurde die KZ-Gedenkstätte Sachsenburg bereits mehrfach mit PMO-Mitteln bedacht. An das benachbarte Schloss hingegen, in dem Kommunisten 20 Jahre lang einen berüchtigten Jugendwerkhof betrieben, wurde offenbar kein Gedanke verschwendet.

Reflexartig wird zudem bei der Erwähnung kommunistischen Unrechts von entsprechenden Interessengruppen darauf hingewiesen, dass die braune Diktatur ja so viel schlimmer war. Dahinter steckt die Absicht, zu verschleiern, dass im deutschen Kommunismus aus Nazi-Opfern rote Täter wurden.

Die bundesdeutsche Politik hat zwar mittlerweile viele Opfer der DDR-Willkür anerkannt. Doch dieser Prozess verläuft sehr schleppend, vergleicht man ihn einmal mit der Entschädigungspraxis gegenüber den Faschismusopfern oder auch nur mit den Summen, die heutigen Betroffenen von Justizirrtümern zustehen. Das sorgt für allerlei Unmut und eine eigentlich unnötige Rivalität der verschiedenen Opfergruppen. Gelitten wurde schließlich unter beiden Systemen. Finanziell und ideologisch dabei einen Unterschied zu machen, ist einfach menschenverachtend.

Eine Diktatur, zwei Opferklassen?

Dieser Unterschied wird allerdings nicht nur zwischen den beiden deutschen Diktaturen gemacht. Selbst unter den Opfern der Nazis gibt es offenbar Abstufungen. So wird völlig zu Recht der Judenverfolgung und -ermordung ausgiebig gedacht. Die gleichen Verbrechen an anderen Volksgruppen aber sind in der Erinnerungskultur deutlich weniger präsent.

Auch das Leiden der Antifaschisten und ihr Kampf gegen Hitler ist hinlänglich dokumentiert. Was hingegen Sozialdemokraten, Homosexuelle, Zeugen Jehovas und Kirchenmänner erdulden mussten, wird anscheinend nicht ganz so häufig propagiert. Obwohl gegen Kriegsende rund 90 % der KZ-Insassen keine Deutschen waren, könnte man so bisweilen glauben, die deutschen Antifaschisten hätten die Hauptlast der Leiden in den Lagern getragen. Tatsächlich jedoch unterstand ihnen bisweilen sogar die interne Lagerorganisation. In den kommunistischen Speziallagern tauschten Nazis und Kommunisten dann übrigens die Rollen. Nun herrschten die roten Klassenkämpfer, während die interne Verwaltung den Nazis oblag, so geschehen beispielsweise im Speziallager Nr 1 Mühlberg.

Wer profitiert?

Wie schon in der Weimarer Republik, profitieren von solchen Kämpfen um die Geschichtsdeutung vor allem die Extremisten, die sich einander näher stehen, als man glaubt. Bereits in der Weimarer Republik stimmten im Parlament Kommunisten und Nazis gemeinsam ab, um die SPD zu schwächen. Heute scheint es nicht anders zu sein. Obwohl rote und braune Extremisten offiziell verfeindet tun, bekämpfen sie doch beide genau die Demokratie, von der ihre Parteien so fürstlich finanziert werden.

Junge Menschen, die keine der Diktaturen miterlebt haben, flüchten sich deshalb angesichts widersprüchlicher Behauptungen und gegenseitiger Vorwürfe in Politik- und Geschichtsverdrossenheit. Wenn die morgige Generation nicht mehr weiß, was ihre Vorfahren erdulden mussten, ist jedoch die Gefahr erneuter Diktatur groß.

Opfer bleibt Opfer. Ob Extremismus rechts, links, religiös, ökologisch oder feministisch ist, bleibt dabei völlig gleich. Es ist immer die selbe, ekelhafte Suppe, deren Zutaten Herrschsucht und Menschenverachtung sind. Die Opfer der beiden deutschen Diktaturen täten deshalb gut daran, eine gemeinsame Erinnerungskultur zu finden.

Quellenauswahl:

MDR Info

Focus.de

Orte der Repression

Lebendiges Museum Online

Margret Bechler: Warten auf Antwort, 23. Auflage 2009, Ullstein Taschenbuch

Hubertus Knabe: Honeckers Erben, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin, 2009

Hubertus Knabe: Die Täter sind unter uns, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin, 2007

Bertelsmann Geschichtslexikon, Gütersloh, 1996

Brockhaus Reihe Wissenswelten, 2011

Brockhaus Reihe Themenwissen, 2011

Autor seit 13 Jahren
268 Seiten
Laden ...
Fehler!