Zu fünft in der Schule

"Dort drüben seht ihr die Schule von Elgol. 19 Kinder gehen hin. Das kommt euch vielleicht wenig vor, ist aber eine Riesensache. Als ich in die Schule ging, waren wir zu fünft. In meinem Jahrgang war ich überhaupt der Einzige. Ich fand das super: So war ich immer der Klügste, Schnellste und Stärkste von allen." Dann weist er auf eine kleine Nachbarinsel im Westen: "Ihr denkt vielleicht, Skye ist einsam, aber das ist gar nichts gegen Soay. Dort leben drei Menschen. Auf der ganzen Insel. Früher gab es dort auch eine Schule, mit zwei Kindern. Ab und zu haben wir auf Elgol die Kids von Soay zu Schulfesten eingeladen, die waren dann immer ganz aufgeregt, weil es in die große Schule ging …"

Ihm fällt ein, dass er uns noch die Sicherheitsmaßnahmen schuldig ist. Er legt die Schwimmweste an und erklärt uns den Notausstieg: "Da haben wir es auf der Misty Isles viel leichter als im Flugzeug. Ihr springt einfach links oder rechts über Bord, das bleibt ganz euch überlassen."Stuart Mackinnon und der Autor beim Plaudern auf der Misty Isles. Foto: Gabriele Heidegger

Riesenhaie, Minkwale und Delfine – die Stars der lokalen Bühne

Weiter tuckert die "Neblige Inseln" Richtung Loch Coruisk, einem pittoresken, von schwarzen Felsen und torfmoorigem Sumpfgrasland umgebenen Süßwassersee, der noch jeden beeindruckt hat, wie uns Stuart versichert: "Noch niemand, der von dort zurückgekommen ist, hat sich beschwert. Das liegt natürlich daran, dass wir die Unzufriedenen nicht mehr mit an Bord nehmen."

Seehunde (Seals) pflegen ihren relaxten Lebensstil. Foto: Gabriele HeideggerNeben dem – natürlich auf raue Art wunderschönen – See gibt es an diesem Tag keine besonderen Sichtungen: Riesenhaie, Minkwale und Delfine, die Stars der lokalen Bühne, interessieren sich nicht für uns Touristen. Nur Dutzende Seehunde bekommen wir vor die Linsen, allerdings mutet der Ausdruck "Wildlife" für die treuherzig blickenden Tiere wenig passend an. Sie liegen, fläzen und lümmeln, Wulst gewordenen Teddybären gleich, auf felsigen Inselchen herum und machen auf unendlich differenzierte Weise nichts. Warum sollten sie auch? Ihr "entspannter Lebensstil", wie Stuart es bezeichnet, ist wie ein nie enden wollender Cluburlaub: relaxen, das Entertainment genießen (immerhin kommt, wenn das Wetter es zulässt, täglich rund ein Dutzend Boote vorbei), und wenn man Hunger verspürt, geht, nein, robbt man zum Selbstbedienungsbüffet. Bei dieser maximalen Aktion des Tages nützen die Seehunde nach Kräften die Schwerkraft aus, um sich möglichst anstrengungslos ins Wasser plumpsen zu lassen. Dort sind sie elegante, flinke und effiziente Räuber, aber leider besitzt die Misty Isles keinen Glasboden, sodass uns der Anblick einer sich – schnell (!) – bewegenden Robbe nicht vergönnt ist.

König der Getränke

Nach dem "boat trip" steht der Besuch der einzigen Whisky-Destillerie der Insel an: Talisker. Der dort gebrannte Single Malt gehört zu den geschmacksintensivsten und zugleich gewöhnungsbedürftigsten Spirituosen der Welt. Jod, Teer, Pfeffer und Seegras sind eine Kombination, mit der man eher nicht in die komplexe Welt edler Scotchs einsteigen sollte. Ein Freund formulierte es bei einer Verkostung in Wien einmal spontan so: "Das ist ja wie beim Zahnarzt!" Aber ob es nun am hinzugefügten Tropfen Wasser oder an der perfekten Harmonie – der Geist von Skye in Flaschen – von Produkt und Entstehungsort lag: Der Talisker 10 Classic Malt schmeckte wie der König der Getränke, als den ihn Robert Louis Stevenson in den 1890ern gepriesen hatte.

Da geht noch was: Talisker 57° North (entsprechend dem Breitengrad, auf dem die Destillerie zu finden ist) ist mit 57 Volumsprozent satte 12 Prozent stärker als der Talisker 10 und entsprechend ein noch deftigerer Geschmackshammer. Foto: Helmuth Santler

Selbsttaufe in magischer Landschaft

Befeuert vom Scotch (auf die Dosis kommt es an) wird noch schwungvoll eine Wanderung in Angriff genommen. Kaum zehn Meilen einspurige Straße später sind wir im Glen Brittle und gehen entlang der Fairy Pools (Feenteiche): Vom Sgùrr Alasdair, der jeden einzelnen seiner 992 Meter zur Schau stellt und deshalb wie ein imposantes Hochgebirge wirkt, entspringt ein Bach, der sich tief in den Felsen gegraben hat. Die feuchten Träume des Sgùrr Alasdair: Fairy Pools. Foto: Helmuth SantlerSteinbögen haben sich gebildet, Kaskaden, Wasserfälle, Felsgebilde, in denen die Imagination reichhaltiges Futter findet. Das Wetter ist mittlerweile "brightish", ab und zu wird sogar die Sonne als sektorale Himmelserhellung sicht- und sofort auch angenehm mild fühlbar: Die Haube wird schon längst nicht mehr gebraucht, eine Jacke abgelegt und die zweite geöffnet. Nach einem erfrischenden Bad in einem der ungemein einladend aussehenden, wildromantischen Eintiefungen des Bachbetts ist mir dennoch nicht. Kälteresistentere lassen sich die ultimative Selbsttaufe in der magischen Landschaft freilich nicht entgehen; da sie dabei allerdings ganzkörperlich zu schrumpfen scheinen und die Frage: Wars das wert? riesengroß über ihren Köpfen geschrieben steht, bietet ihr Beispiel keinen Ansporn.

Cold smoked Salmon and Cranachan

Lieber kehren wir in den Hauptort der Insel, Portree, zurück, und eilen zu einem der ebenso hervorragenden wie vor Gästen überquellenden Fischrestaurants; nach 18.30 sind Tische nur noch mit Wartezeiten ab einer Stunde zu bekommen. Dafür schmecken dann frischestmögliche Muscheln in Currysauce, torfgeräucherter Wildlachs auf Skye-Blattgemüse und Cranachan, die lokale Himbeeren-Schlag-geröstete-Haferflocken-Verführung (natürlich mit einem kräftigen Schuss Scotch) noch um einen Touch besser, als sie es ohnedies schon tun.

Miss Sheep June 2015. Foto: Gabriele HeideggerNein, lieblich ist Skye nicht. Leicht zu erreichen ist es, trotz der 1996 gebauten Festlandbrücke, auch nicht wirklich. Es ist nicht warm, dafür aber extrem windig. Es ist nicht billig. Die Sonne scheint selten, Regen fällt oft. Und gerade wenn man einmal einen stillen Moment richtig genießen will, kommen die Midges, ziemlich lästige, winzige Mücken, und hinterlassen ihre juckenden Andenken. Das aber ist alles nebensächlich, wenn man erst einmal mit dem Schottland-Virus infiziert ist, der Magie der Landschaft, dem Duft der Luft (über 100 Mio. Liter Whisky verdunsten hier jedes Jahr), dem Leuchten von 14 verschiedenen Grüns, der schrägen Verschrobenheit der Bewohner, dem schottisch gefärbten Englisch … Denn Skye gilt völlig zu Recht als Miniatur-Schottland, als Konzentrat, in dem sich auf kleinem Raum die Essenz eines Landes wiederfindet, dessen Nationalblume die Distel ist: unbeugsam und prachtvoll.

 

Fotos: Helmuth Santler (2), Gabriele Heidegger (Titel, 3)

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