Deutsches Theater Berlin: Kritik von "Der Hals der Giraffe" - Philipp Arnold
Premiere in der Box. Judith Schalanskys Roman auf der Bühne. Eine desillusionierte Biologie-Lehrerin reflektiert über die Natur und ihr teilweise verkorkstes Leben.
Die Biologie lebt!
Das Fatale ist, dass Inge Lohmark Rückschlüsse von der Biologie auf die Menschen zieht. In der Natur setzt sich der am besten Angepasste und Leistungsfähige durch, und das soll auch auf die Menschen übertragen werden. Schüler*innen, die ein Gedächtnis wie ein Sieb und ein begrenztes kognitives System haben, halten die Besseren nur auf und sollen auf der Strecke bleiben, es nützt nichts sie mitzuschleifen. Das klingt in verhängnisvoller Weise nach dem Wohl und Recht des Stärkeren und grenzt beinahe an die faschistische Ideologie, bei der es allerdings mehr um Kraft als Gehirn geht. Denn um Verstand ist es der Lehrerin zu schaffen, aber sie reflektiert ein wenig zu heftig um wähnt das Dasein des Menschen nur als Zwischenstation, bis wieder das Reich der Würmer beginnt. Judith Hofmann spielt diese von sich selbst überzeugte Person, assistiert von DT-Profi Bernd Moss und Linn Reusse, die beide gelegentlich in andere Rollen schlüpfen. Bleiche, weiß angemalte Gesichter sehen wir, anämisch, als sei alles Blut aus den Leibern gewichen, dabei wird die blühende Natur beschrieben, in der jedes Wesen machen kann, was es will. Nur Lohmark kann das nicht, obwohl sie es gern so hätte, aus ihr ist ein Frustpaket geworden, dessen Mann sich anders orientiert hat, von der Tochter ganz zu schweigen. Die ist in die Staaten ausgewandert, kein Wunder bei diesem autoritären Erziehungsstil, Linn Reusse vermag das einigermaßen rüberzubringen.
Die starke Frau entpuppt sich als schwach
Die Schriftstellerin Schalansky will es so, dass sich die gefühlskalte, zubetonierte Lehrerin in eine Schülerin namens Erika verliebt. Erika, so heißt auch ein Heidekraut, und plötzlich trägt Linn Reusse eine Heidekraut-Maske. Der Respekt vor den bizarren Innovationsoffensiven des Regisseurs verbietet es hier geradezu, auf derartige Bebilderungen auch nur mit einem Kommentar einzugehen. Diese abenteuerliche Liebe wird überhaupt nicht dargestellt, sie wird nur angedeutet, zum Teil referiert. Von einem lebendigen Theater kann man hier wahrlich nicht sprechen, abgesehen davon, dass die Vorlage nicht sehr bühnentauglich ist. Was eine Aufgabe, ein hoch interessanter Ansatz gewesen wäre: Das Scheitern einer Sozialdarwinistin zu schildern, die den Humanismus vergisst. Denn Inge Lohmark, ein Schwächling, der auf stark macht, resigniert am Ende, sie ist genauso ein Loser und versagt, obwohl sie auch in einer anderen Stadt, in einer anderen Schule mit ihren zweifelhaften Mitteln "reüssieren" könnte. Judith Hofmann, eine veritable Schauspielerin, wird eingesperrt in eine obskure Rolle und so wird ihre Dynamik verpulvert. Aus diesem Roman kann man mehr herausholen.
Der Hals der Giraffe
nach dem Roman von Philipp Arnold.
Mit: Judith Hofmann, Linn Reusse, Bernd Moss
Regie: Philipp Arnold, Bühne: Viktor Reim, Kostüme: Julia Dietrich, Dramaturgie: Juliane Koepp.
Deutsches Theater Berlin, Premiere vom 22. September 2019
Dauer: 75 Minuten
Fotos: Arno Declair
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)