Die roten Fahnen blühen

© Arno Declair

 

Skurrile Einfälle des Regie-Duos

In vollkommenen Kontrast zum Thema steht das Bühnenbild (Jo Schramm). Es wirkt mit seinen konzentrischen Kreisen beinahe futuristisch, wie eine planetare Raumstation, als sei die DDR ein noch anstehendes Zukunftsprojekt. Auf der linken Seite dominieren Halbkreise, es geht treppenartig nach oben. Auf der Mitte der Bühne steht zu Beginn die vereinte Arbeiterklasse mit roten Fahnen, man ist zum Kampf bereit. Die Umsiedlerinnen, fünf an der Zahl, sind alle in weiße Gewänder gehüllt, sie halten antike Amphoren – oder silberne Kochtöpfe - in ihren Händen, als habe man sich in einem griechischen Mythos verirrt. Dahinter steht Pose mit Rocker-Lederjacke und einer roten Fahne. Der Radiomensch Jürgen Kuttner, der immer in seinen eigenen Inszenierungen mitspielt, trägt eine schwarz-weißes Phantasy-Kostüm, das am besten für eine Promi-Party gehobenen. extravaganten Stils geeignet wäre. Nun, er möchte eine ernsthaftes Thema mit barer Unterhaltung kombinieren, doch manchmal sind seine Einfälle doch etwas skurril – oder ganz einfach daneben. Es ist ein fortwährender Tanz gänzlich diversen Stilmitteln. Bernd Stempel, ein kräftiger Funkturm mit unüberhörbarem Sprachorgan, hat man in der Rolle als Neubauer und Umsiedler selten so weich und fragil erlebt. Ganz anders Felix Goeser: Er ist ein gerissener Bürgermeister, übertrieben elegant gekleidet, der sich am Wind orientiert, aber von Flint wegintegriert wird.

 

Mitmacher und Unzufriedene

Sie kommen, die Traktoren, wahrscheinlich aus sowjetischer Produktion. Es sind nicht viele, einer fährt exemplarisch auf die Bühne. Angesichts des hypermodernen Bühnenbildes wirkt das wie ein Atavismus, ein Turbo-Gerät für die Fellachen. Wie in jedem neuen Staatsgebilde gibt es Sieger und Verlierer, begeisterte Mitmacher und notorisch Unzufriedene. Der entzückte, triumphierende FDJler Siegfried (Marcel Kohler), permanent in Blau auftretend, ist schlichtweg nervtötend mit seinem Zukunftsoptimismus. Den krassen Gegensatz dazu bildet der Anarchist Fondrak (Frank Büttner, der seine lautstarke Energie vom Castorf-Ensemble hier hereinträgt), der quasi gegen alles ist, vor allem gegen Parteisekretär Flint, und den Alkohol als Seligmacher preist, denn im Himmel gibt's kein Bier, darum trinken wir es hier. Er flüchtet aus Frustration in den Westen, und hinterlässt seiner Partnerin Niet (Linda Pöppel) ein Kind. Am Ende tritt sie aus der antiken Gruppe heraus und verwuschelt ihr Haar, um wieder authentisch zu sein. Die starke Pöppel hält einen Schlussdialog mit Stempels Ketzer und übernimmt seinen Job, und es ist, als verkünde sie das Matriarchat. Almut Zilcher übernimmt gleich mehrere Rollen, sie ist Funktionärsgattin, Bauernweib und Entertainerin. Das ist zu viel, wie auch die Inszenierung unter den vielen Einfällen zerbirst. Es ist eine Nummer-Revue daraus erwachsen, und es hätte etwas Großes sein können. Trotzdem muss man dem Regie-Duo dankbar sein, dass es dieses Stück noch einmal hervorgeholt hat.

 

Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande
von Heiner Müller
Regie: Tom Kühnel, Jürgen Kuttner, Bühne: Jo Schramm, Kostüme: Daniela Selig, Dramaturgie: Claus Caesar.
Mit: Linda Pöppel, Jürgen Kuttner, Jörg Pose, Almut Zilcher, Frank Büttner, Felix Goeser, Paul Grill, Markwart Müller-Elmau, Bernd Stempel, Marcel Kohler,Servan Durmaz, Maral Keshavarz, Philipp Keßel, Matthias Kleinschmidt, Dimitri Lauwers, Kei Muramoto, Marie Schneider, Thao Tran, Christine Wünsch (Chor).
Premiere vom 6. April 2019
Dauer: 140 Minuten, keine Pause

Laden ...
Fehler!