Linda Pöppel, Birgit Unterweger, Markwart Müller-Elmau, Michael Gerber.

© Arno Declair 

 

 

 

 

Zarte Kritik an der Gegenwart

Sehgewohnheiten und Gewohnheiten des Alltags werden mit einer Selbstverständlichkeit durchbrochen, die ohnegleichen ist. Die Klinik ist normalerweise ein aseptischer Raum, aber hier wabern Nebelschwaden, als befinde man sich in einer von Geheimnissen umwölkten spiritistischen Sitzung. Inmitten des Krankenhauses steht ein Windrad – welch Assoziationsgewitter! Nun gut, das steht immerhin in einer literarischen Tradition, man denke an "Das Windrad" von Peter Härtling (1983), geschrieben in einer Zeit, als sogenannte "Körnerfresser, Friedensfreunde und Staatsfeinde" eine Öko-Front bildeten. Hartmann mag sich eher mit anderen Texten auseinandersetzen, die seine Geistigkeit ausbilden, doch es gibt vergleichbare Ansätze, zumal er im Programmheft-Interview die Zukunftsverweigerung der Alten anprangert, die am Überkommenen festhalten wollen und das an ihre private Nachwelt vermitteln. Besonders erkenntnisreich ist das nicht – der Regisseur, der vom Nacherzählen nichts hält, ist kein Alleszermalmer, bestenfalls übt er zarte Kritik, etwa an der nahenden Klima-Katastrophe. Das Fortwirken der Präferenzen der Alten interessiert ihn nicht, deshalb lässt er sie gnadenlos verwesen, um die Bühne den zukunftsgerichteten Schwestern zu überlassen.

 

Starke Frauen, schwacher Mann

Ein Aktivposten ist hierbei Birgit Unterweger, die den Alten anschnauzt, zu seinem Sprachrohr wird und sich nicht scheut, sich inzestuös in sein schmales Bett zu legen. Ohne es zu wollen, wirkt Linda Pöppel wie erotisch aufgeladen, mit zum Teil intelligenter Manier – das Highligth des Abends. Vollkommen sinnlos ist das Degenduell zwischen Elias Arens und Manuel Harder, die sich nach Art von Herrenreitern aneinanderreiben, als ginge es um das Gesetz des Stärkeren, zur Stärkung der Demokratie. Wer das Original sehen will, ist bei Hartmann hoffungslos verloren. Immerhin fordert er das Publikum zu einem Kampf heraus: Zum Kampf gegen den Schlaf, trotz aller Brüllerei. Manch einer aus dem Publikum fühlt sich womöglich an den letzten Knochenbruch erinnert, als es so kraftvoll splitterte. Die Inszenierung als geistiges Produkt ist durchaus akzeptabel – aber, meiner Treu, das Theater ist auch etwas fürs Auge und braucht ein – wenn auch schmales – Grundkonzept, was mit konservativer Einstellung nichts zu tun hat.

 

Die Politiker

Das Ende betreibt des Regisseurs Gattin Cordelia Wege, die den Text "Die Politiker" von Wolfram Lotz uraufführt bzw. zum ersten Mal spricht. Es geht um die Taten der Machtmenschen, aber auch um jene (Nicht-)Handlungen, die in sie projiziert werden. Denn das Volk in den Weiten der Republik hat auch hohe Ansprüche, denen die hohen Herren manchmal nicht gewachsen sind. Der Vortrag ist ein Gemisch aus Witz, Subtilität und Perfidie, mit Verve gesprochen, leider gespickt mit etlichen Wiederholungen. Was hat nicht Altkanzler Helmut Schmidt gesagt? Ein guter Politiker muss eine Sache hundertmal wiederholen können. Nur wahrer wird sie dadurch nicht. Weges Vortrag ist mitunter originell und spitzfindig, allerdings macht sie zu wenig mit ihrer Stimme.

 

Lear

nach William Shakespeare

Deutsch von Rainer Iwersen

Die Politiker

von Wolfram Lotz

Uraufführung


Regie, Bühne: Sebastian Hartmann, Kostüme: Adriana Braga Peretzki, Licht: Rainer Casper, Live-Musik: Samuel Wiese, Chorleitung: Christine Groß, Dramaturgie: Claus Caesar.

Mit: Elias Arens, Michael Gerber, Manuel Harder, Peter René Lüdicke, Markwart Müller-Elmau, Linda Pöppel, Natali Seelig, Birgit Unterweger, Cordelia Wege.
Deutsches Theater Berlin, 
Premiere am 30. August 2019

Dauer: 150 Minuten, keine Pause

© Arno Declair

 

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