Susanne-Marie Wrage (hängend), Kathleen Morgeneyer

© Arno Declair

 

Thesen-Trompeter mit wenig Individualität

Auf der Bühne steht ein Metallgefüge, das jedes Herz eines leidenschaftlichen Gerüstbauers höher schlagen lässt. An der Bühnenwand und auf der Seite sind Videos zu sehen, die die Physiognomien der Schauspieler*innen und das Geschehen auf der Bühne vergrößernd duplizieren. Seile hängen herab wie im Vorhof der Hölle. Zum einen dienen die Seile der Vorführung akrobatischer Lufteinlagen, zum anderen fungieren sie als Verhörmittel von gekidnappten, gefangenen ökonomischen Machthabern. Autor und Regisseur Andres Veiel hat im Zuge seiner Recherchen und langwierigen Vorarbeiten zunächst eine Laborsituation arrangiert, um dann ein Symposium mit Sachkundigen zu starten. Herausgekommen ist eine Überfülle an Material, das beinahe den Wahrnehmungsapparat überflutet. Bedauerlicherweise sind die Figuren hauptsächlich Ideenträger, das individuelle Gepräge hat darunter zu leiden. Vor allem Kathleen Morgeneyer und Jörg Pose, die auffälligsten Akteur*innen, zeigen individuelle Züge, die erahnen lassen, das auch das restliche Personal mehr ist als bloße Thesen-Trompeter. Morgeneyer als Yidune hat nichts zu verlieren außer ihren Verstand und entschließt sich zum aktiven Kampf gegen das System und wird zur Kultfigur der Bewegung "Let Them Eat Money". Unterstützt wird sie vom Internet-Experten Onz (Thorsten Hierse), der nicht davor zurückschreckt, Datenbanken der EZB, der EU-Kommission und von NOVA zu hacken. 2028 entführen sie Magnaten und führen öffentliche Verhöre, genannt Interviews, durch, die per Livestream im Internet zu hören sind.

 

Missmanagement auf allen Ebenen

Frerich Konnst (Jörg Pose), der sich zum Präsidenten der Europäischen Zentralbank hocharbeitet, ist ein ganz Eleganter, läuft in einem goldfarbenen Anzug herum und hat es vornehmlich mit dem Zusammenbruch Italiens. Ganz auf die Gesetze des Marktes vertrauend, steht er auf einer Empore, die dann langsam nach unten fährt. Gegen Ende wird er, beeinflusst von seinem Intimfreund und trinkenden Milliardär Stefan Tarp (Frank Seppeler), wankelmütig. Das Personal ist durchweg hoch intelligent und wurde in Spitzenuniversitäten ausgebildet, und fraglich ist dabei, warum derartige Kapazitäten nicht in der Lage sind, die sich zuspitzenden Krisensituationen zu managen. Das liegt vor allem an den egoistischen, rein ökonomisch ausgerichteten Interessen einzelner Repräsentanten, denen das Wohl der Massen gleichgültig ist. Immerhin versucht Susanne-Marie Wrage als Franca Roloeg in ihrer Eigenschaft als EU-Kommissarin der Entwicklung entgegenzusteuern und als Regulativ zu wirken – doch auf einem mühsam errungenen kleinen Triumph erfolgt schon der nächste Nackenschlag. Das bedingungslose Grundeinkommen, zum Ziel auserkoren, wird endlich durchgesetzt, doch es scheitert kläglich wegen der Reduzierung des Sozialstaats auf ein Minimum, außerdem ist es auf Dauer nicht bezahlbar. Andres Veiel sprüht geradezu vor Einfallsreichtum, er hat sehr viele fiktive Fakten zusammengetragen, doch es macht nun keinen Sinn, alle Katastrophenmeldungen akribisch aufzuzählen – der Griff zum Programmheft reicht. Insgesamt ist die Inszenierung zu theorielastig. Gut, es wird auch Theater gespielt, aber die Spielwut hält sich in Grenzen, die Schauspieler*innen müssen sich zurücknehmen und zusammenreißen. Die Inszenierung ist ein interessanter Versuch, aber für ein Theater ist sie einfach zu blutleer.

 

Let Them Eat Money – welche Zukunft?!

von Andres Veiel

in Zusammenarbeit mit Jutta Doberstein
Regie: Andres Veiel, Bühne: Julia Kaschlinski, Kostüm: Michaela Barth, Video: Daniel Hengst, Musik: Fabian Kalker, Luftakrobatik: Sasha Krohn, Dramaturgie: Ulrich Beck.
Mit: Jörg Pose, Kathleen Morgeneyer, Jürgen Huth, Thorsten Hierse, Frank Seppeler, Susanne-Marie Wrage, Paul Grill, Luise Hart.

Deutsches Theater Berlin, Uraufführung vom 28. September 2018
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

 

Laden ...
Fehler!