Deutsches Theater Berlin: Kritik von "Solaris" - Stanislaw Lem/ A. Dömötör
Premiere in der Box. Der Regisseur András Dömötör entwirft eine Zukunftswelt auf einem anderen Planeten. Drei Forscher in einer Raumstation haben Kontakt zu Verschollenen und Toten.
© Arno Declair
Angst, die Nerven zu verlieren
Dömötör und Sigi Colpe (Bühnenbild) haben eine Science-Fiction-Arena geschaffen, ein geradezu passendes Interieur. Das Fluidum einer rein technischen Nach-Welt, in der fast alles computerisiert ist. Einen festen Halt auf einer ebenen Fläche gibt es nicht, die Figuren bewegen sich auf Schrägen, auf einem faltigen Untergrund – ein Ausruhen ist nicht möglich. Vom Parkett sieht das Bühnenbild aus wie ein vieleckiger geometrischer Würfel, ein amorpher Kubus. In der Hinterwand ist ein Bullauge installiert, das an eine Waschmaschine erinnert. In diesem Rundfenster zeigt sich der "Ozean" in seinen verschiedenen Farben und Zuständen. Schmale Fenster an den Seitenwänden dienen den Figuren zum Betreten und Verlassen der Raumstation, die wie aus einem metallisch-kühlen Zukunftsfilm montiert scheint. Und die Insassen entfalten eine hektische Betriebsamkeit, notwendige Erholungen finden nicht statt, das Rad des Ixion steht niemals still. Die verbohrten Wissenschaftler suchen Kontakt zur Außenwelt, zu einem Lebewesen auf Solaris, finden aber leider nur alte Weggefährte von der Erde wieder, um auch noch von ihrer unablässigen Anwesenheit belästigt zu werden. Der eigentliche, vielleicht uneingestandene Wunsch der Kontaktaufnahme: Der Zutritt zu einem fremden Leben, das durch Annäherung und Aneignung das eigene Leben zu erleichtern hilft. Während der Neuankömmling Kelvin (Elias Arens) noch von einem obsessiven Forschergeist durchdrungen und von Idealismus angetrieben ist, sind seine Kollegen Snaut und Sartorius (Jeremy Mockridge, Timo Weisschnur) ob der Erfahrung schon wesentlich abgeklärter, ja desillusionierter. Die Szenerie gleicht einer klaustrophobischen Psychiatrie. Snaut steht manchmal kurz davor, die Nerven zu verlieren.
Nur ein Abbild der Realität
Alles wird für Kelvin anders, als er seine ehemalige irdische Frau Harey (Esther Maria Hilsemer) trifft. Sie ist gar nicht die wahre Harey, sondern eine Kopie, die Solaris aus seinen Erkenntnissen und Empfindungen geformt hat. Das was Kelvin vor sich hat, ist nur eine Projektion, ein Bild, das er sich von ihr geschaffen hat – und das nachgeschaffen wurde als etwas Reales. Im Grunde hat er nur die Frau geliebt, die er in ihr sah, eine Illusion, nicht die Echte, das wahre Wesen. Aber er kann sich letztlich gut damit einrichten, er sinniert mit sentimentaler Süße von einem Neustart. Es ist aber nun einmal so, dass Harey über Selbsterkenntnis verfügt und ein solches Leben als Abbild von Kelvins Gedanken nicht leben möchte. Stanislaw Lem zu Ende gedacht: Wenn sie nicht in ihrem Sosein, ihrem Wesenskern erkannt wird, lehnt sie auch die Liebe ab und zieht die Konsequenzen. Esther Maria Hilsemer als Harey macht ihre Sache ausgezeichnet, mal hält sie sich unauffällig und träumerisch im Hintergrund, als würde sie alles, was ihr widerfährt, hinnehmen, ein andermal klammert sie sich an Kelvin und wieder ein andermal ist sie dynamische Vertreterin der Selbstauslöschung. Diese Liebesangelegenheit ist eingebettet in ein kaltes Ambiente, das das Gegenteil von Gemütlichkeit ausstrahlt, und garniert mit Geräuschen, die an einen Elektroladen mit etlichen Tonsignalen gemahnen. Dömötör ging es wohl vor allem um eine glaubwürdige Atmosphäre – die Forscher tragen Raumanzüge und lederne Pilotenmützen -, um dem Roman gerecht zu werden, dazu gehören neben dem Verjagen der unliebsamen "Gäste" auch einige Showeffekte. Bedauerlicherweise bleiben beim Nacherzählen assoziative Freiräume und die Bildung von Synästhesien vollkommen auf der Strecke
Solaris
nach dem Roman von Stanislaw Lem
Fassung: András Dömötör, Meike Schmitz
Deutsch: Irmtraud Zimmermann-Göllheim
Regie: András Dömötör, Bühne + Kostüme: Sigi Colpe, Sound: Tamás Matkó, Video: Paul Fuhrmann, Dramaturgie: Meike Schmitz
Es spielen: Esther Maria Hilsemer, Jeremy Mockridge, Timo Weisschnur, Elias Arens.
Deutsches Theater Berlin, Premiere vom 2. März 2018
Dauer: 1 Stunde, 45 Minuten
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)