Alexander Khuon und Michael Gerber

Foto: Arno Declair

 

 

Ein gewöhnliches Studentenleben mit kleinen Extravaganzen

Alexander Khuon als Sohn hält einen 90-minütigen Vortrag über die eigene Biografie. Ob das der Moribunde in seinem fatalen Zustand hören will, interessiert ihn nicht. Sohn Michael will alles loswerden, alles, und reißt sich so hinein, dass er darüber den leidenden Vater, den er in sich trägt, vergisst. Die Protagonisten seines Lebens: Uwe und Jens, hinzu kommen die Frauen Nina, Katja und Desiree. Während Sven einen Status der Gutsituiertheit erklommen hat, krebst Uwe als Elektrotechniker herum und ist bemüht, den Anschluss nicht zu verlieren. Es ist nicht so, dass Michaels Biografie für Außenstehende besonders interessant wäre. Ausprobiert hat er wenig, er ist in der Jugend nicht aus experimentellen und Selbstverwirklichungsgründen ein Hippie gewesen, dann ins Punk-Lager gewechselt, um anschließend in Yuppie-Tracht herumzulaufen. Im Grunde führt er ein ganz konventionelles Leben – sofern man ein erfülltes Herz, Eifersucht, Konkurrenzdenken und Halbhass als normal einstuft. Seine Schilderungen des Göttinger Studentenlebens wirken wie ein Déjà-vu-Erlebnis, das man so ungefähr kennt, nur ein bisschen anders, in anderen Konstellationen.

Die Bühne? Die Innenwelt eines Mausoleums im Primitivstadium. Jana Valjarevic ließ es sich angelegen sein, Skelettschädel und Röntgenbilder in geradezu hemmungsloser Weise auszustellen. Museale, skelettierte Phänotypen jener, die auf Michaels Pfad eine große Rolle spielten. Ein Leichenkabinett als Illustrationen eines teilweise verpfuschten Lebens, das sich in die Mittelmäßigkeit rettet. Alexander Khuon wandert zwischen den Bildern umher, meistens im unattraktiven, auf Marken verzichtendem Hausdress, als habe er nicht vor rauszugehen, seinem Kokon zu entrinnen, in der großen Welt der Ereignisse zu schnuppern.

 

Ein Schauspieler wird besichtigt

Desiree, die Unerreichbare. Natürlich kommt sie, von vorsichtiger Werbung angestachelt, nicht mit goldenen Flügeln auf ihn herabgeflogen. Ob Michael sie nun geküsst oder gar einmal mit ihr geschlafen hat, ist gleichgültig. Eigentlich steht die Vater-Sohn-Beziehung im Vordergrund, wie es der Titel suggeriert. Das Erschütternde an diesem Projekt ist, dass der Sohn gnadenlos seine Egomanie auslebt und am Vater vorbeiredet. Hier wäre die Gelegenheit, Klartext zu reden und offene Fragen an den halb schlummernden Vater zu stellen, um einiges ins Reine zu bringen. Doch die Chance wird vertan. Brüggemanns Stück hätte nicht "Vater" heißen sollen, sondern "Ich - und der schlafende Abgrund". Gegen Ende der Aufführung geschieht dann noch ein kleines Wunder. Michael Gerber, scheinbar halbtot, erhebt sich und brüllt ins Publikum. Er verflucht seinen patriarchalischen Vater, dessen Gesetz für die ganze Familie galt, mehr noch als das Grundgesetz. Nichts dergleichen ist von Khuons Sohn zu hören, weder Fragen, Anklagen, noch verzweifelte Anbetung auf der letzten Strecke. Eine bizarre Sterbebegleitung. Wie gesagt, die vorläufige Lebensbilanz des Filius rührt nicht gerade ans Herz und ist eigentlich nebensächlich. Was wir erleben: Ein großartiger Schauspieler wird besichtigt. Alexander Khuon ward noch nie so gut gesehen, er wächst über sich hinaus, ihm wachsen Flügel. Wie er vergangene Dialoge mit verschiedenen Tonlagen spricht, ist schon beeindruckend. Deshalb auch der ungewöhnlich heftige Applaus.

 

Vater

von Dietrich Brüggemann

Regie: Dietrich Brüggemann, Bühne und Kostüme: Jana Valjarevic, Dramaturgie: Joshua Wicke.

Es spielen: Alexander Khuon, Michael Gerber.

Deutsches Theater Berlin, Uraufführung vom 11. November 2017.

Dauer: 90 Minuten

 

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