Deutsches Theater Berlin: Stephan Kimmig – Kritik von Demetrius/Hieron
Premiere mit leiser Opernmusik. Der Regisseur hat sich mit der Welt der Herrscher auseinandergesetzt: Lust an der Diktatur. Die Demokratie bleibt leider auf der Strecke.Schiller Büste in Jena (Bild: © Fewskulchor/Wikipedia.de)
Kurzzeitige Erfrischungen für den Allmächtigen
An diesem Abend wird viel deklamiert und wenig gesprochen. Felix Goeser als Hieron wurde fast bis zur Unkenntlichkeit präpariert, er trägt eine Perücke, wirkt wesentlich bulliger als sonst und ist mit zwei Krücken ausgestattet. Ein massiger Fleischklumpen, neben dem sein Berater Simonides (Ole Lagerpusch) wie ein zerbrechliches Klappergestell erscheint, das jeden Augenblick Gefahr läuft, aus Schwäche umzukippen. Nach Zupflasterung des Landes mit unzähligen rabiaten Gesetzen ist der allmächtige Herrscher von tiefer Langeweile ergriffen, die sich zu einem Gefühl des Überdrusses steigert. Einzige Abwechslung ist die Arena der Hinrichtungen, wo Arbeitslose und Arbeitsunfähige intervallartig und systematisch beseitigt werden, um das Herz des Allmächtigen kurzzeitig zu erfrischen. Der Gefangene seiner Herrschaft gewährt nur einen arbeitsfreien Tag – Weihnachten –, an dem auch gesprochen werden darf. Kimmig lässt Goeser so spielen, dass man mit Hieron, dieser bizarren bis drolligen Mischung aus Megalomanie und Selbstverachtung, beinahe Mitleid haben könnte, wenn freilich die abstoßenden Züge nicht so dominant wären. Das Bühnenbild (Katja Haß) besteht aus grauen, mit Löchern versehenen, sich verschiebenden Wänden, die zeitweise in eine grellrote Atmosphäre mit Leuchtmotiven verwandelt werden.
Einziger Widerstand gegen das System
Eingestreut werden Szenen von einer Familien-Weihnachtsfeier, die die totale Gleichschaltung geradezu drastisch veranschaulicht. Nur die Freizeitkleidung ist nicht einheitlich, abgesehen von einer gänzlich unerotischen weißen Unterwäsche, in der sich die vierköpfige Familie einmal präsentiert. Völlig gelassen und wie nebenbei erzählt die Tochter Magda (Olivia Gräser) von ihrer baldigen Hinrichtung, als sei das ein selbstverständliches Opfer für die neu erschaffene Welt. Nur der Vater (Michael Goldberg) reagiert renitent, er lehnt das System ab und rebelliert fast mit revolutionärem Charme. Der einzige Lichtblick in einer von Arbeit diktierten, von Resignation und Unterwerfung geprägten Schattenwelt. Schon jetzt zeigt sich, dass der aus Frankfurt gekommene Michael Goldberg eine Bereicherung für das Ensemble ist. Am Ende wird der einzige Gesprächspartner von Hieron quasi wegrationalisiert: fünf Schüsse fallen und Simonides bleibt wie ein Baum stehen. Anschließend übergießt er sich mit einer dunkelroten Flüssigkeit, eine seltsame Szene. Um der selbstgewählten Isolationshaft zu entrinnen, gibt sich Hieron schließlich selbst den Rest. Kimmig, der abermals auf zarte Operngesänge als Hintergrundmusik nicht verzichten kann, hätte aus dieser interessanten Vorlage mehr herausholen können.
Eine halbnackte Karikatur
Sind bei Hieron durchaus gelungene Ansätze zu erkennen, so erweist sich Demetrius als ziemlicher Absturz. Um das Zeittypische optisch zu markieren, tragen die männlichen Figuren aufgeklebte Bärte und historische Kostüme, auch die Halskrausen fehlen nicht. Aber trotz des zeitgenössischen Flairs fällt man in die Gegenwart zurück: Olivia Gräser trägt zeitweise Cowboystiefel, Markwart Müller-Elmau eine gelbe Regenjacke und Michael Goldberg einen Trenchcoat. Marina (Natalia Belitski) treibt den machtwütigen Herrscher an zum Angriff auf Moskau mit dem Ziel der Thronbesteigung. Hatte nicht ein Historiker namens Sacher-Masoch wissenschaftlich zu erklären versucht, dass Frauen die Antriebsfaktoren der Geschichte seien? Nun, der Wille zur Machtergreifung ist übermächtig, nicht zuletzt weil Demetrius den Segen des polnischen Parlaments genießt. Ein Reichstagsbeschluss scheitert zwar – das einzige demokratische Element in diesem Stück -, doch der schmierig wirkende Popanz zieht nach Moskau. Felix Goeser hat bei diesem Dramenfragment wahrlich nicht die besten Szenen seiner DT-Karriere, zumal Kimmig eine halbnackte Karikatur beabsichtigt hat. Stark hingegen ist der Auftritt von Judith Hofmann, die als vermeintliche Mutter Marfa ihren angeblichen Sohn Demetrius nicht identifizieren kann. Ein Schwindler also, aus der Traum vom Zarensohn. Der Beifall ist keineswegs überschwänglich, eher höflich, und Judith Hofmann konnte die intensivsten Klatscher empfangen. Stephan Kimmig, der bislang Großes geleistet hat, ist hier wahrlich nicht auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft.
Hieron. Vollkommene Welt
von Mario Salazar
Uraufführung
Demetrius
von Friedrich Schiller
Regie: Stephan Kimmig, Dramaturgie: Juliane Koepp, Bühne: Katja Haß, Kostüm: Anja Rabes, Musik: Michael Verhovec, Video: Peter Engelbracht, Christopher Lensing, Licht: Matthias Vogel.
Mit: Michael Goldberg, Felix Goeser, Olivia Gräser, Judith Hofmann, Natalia Belitski, Ole Lagerpusch, Harald Baumgartner, Markwart Müller-Elmau, Elias Arens.
Deutsches Theater Berlin
Dauer: 3 Stunden 15 Minuten, eine Pause
Premiere vom 30. August 2013
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)