Die Wiederbewaffnung des Ostens

Bereits 1948, also noch unter sowjetischer Regie, entstand die so genannte Kasernierte Volkspolizei (KVP). Der Volksmund nannte die Mitglieder dieser Organisation wegen ihrer Uniformen abfällig "Kunstrussen". Schlimmer war allerdings die Tatsache, dass die KVP von ehemaligen Wehrmachtsoffizieren aufgebaut wurde. Im Mai 1952 rief schließlich die kommunistische Jugendorganisation FDJ zur "Kampfbereitschaft der Jugend" auf. Der Hintergrund: Stalin verlangte von seinem ostdeutschen Vasallenstaat 300 000 Soldaten. Diese Entwicklung mündete 1956 in die Gründung der Nationalen Volksarmee (NVA). Allerdings hatte eine Mehrheit im Volk die Nase voll von Kriegsspielen. Von einer wirklichen Volksarmee konnte deshalb keine Rede sein. Entsprechend schleppend verlief der Aufbau. Es meldeten sich nicht genügend Freiwillige, so dass die ursprünglich anvisierte Truppenstärke stark reduziert werden musste. Im Januar 1962 wurde daher eine allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Die neue Parole lautete nun: "Der Frieden muss bewaffnet sein!" Wer jetzt immer noch auf jeglichen Waffengebrauch verzichten wollte, hatte ein ernstes Problem.

Die Gründung der Bausoldaten

Erste zaghafte Versuche, mit den Argumenten "Friedensliebe" und "Gewissenfreiheit" der drohenden Einberufung zu entgehen, scheiterten, denn eine Möglichkeit der Verweigerung oder des Ersatzdienstes gab es nicht. Widerspenstigen drohte der Verlust ihres Studienplatzes oder die berufliche Isolation. Bald wurden auch die ersten Freiheitsstrafen (bis zu fünf Jahren) verhängt. Dieses Prinzip der Abschreckung funktionierte zwar oft. Doch da die Mehrheit der Verweigerer einen christlichen Hintergrund aufwies, ließen die Kirchen dennoch nicht locker. Für die Inhaftierten wurde öffentlich gebetet, so dass sich die Machthaber schließlich zu Verhandlungen bewegen ließen. Zwischenzeitlich wurde so mancher potenzielle Verweigerer einfach "vergessen" oder aus Studiengründen von der Musterung zurückgestellt. Nach zwei Jahren war ein Kompromiss errungen: Am 7. September 1964 erging eine Anordnung des Nationalen Verteidigungsrates der DDR zur Bildung so genannter Baueinheiten. Sie durften Wehrdienst und Grundausbildung waffenlos versehen und statt des üblichen Gelöbnisses einen speziellen Fahneneid sprechen. Damit verfügte die NVA als einzige Armee des Warschauer Paktes (Militärbündnis der Ostblockstaaten) über einen unbewaffneten Truppenteil.

Das Leben als Bausoldat

Die Existenz der Bausoldaten war infolgedessen stets ein wunder Punkt im militärischen Selbstverständnis der DDR. Reguläre Wehrpflichtige wurden nach Möglichkeit von den Bausoldaten ferngehalten. Auf die Ableistung des Wehrdienstes als Bausoldat bestand zudem kein Anspruch. Dies unterlag allein der Willkür der Musterungskommission. In der Regel nahmen diese Hürde daher vor allem christliche Rekruten. Andere Beweggründe wurden ungleich seltener anerkannt. Bei jungen Christen hingegen glaubte man an eine gewisse "Unverbesserlichkeit" und wollte sinnlose Unruhe vermeiden.

Dennoch gab es eine ganze Reihe Schikanen, mit denen Angehörigen der "Spatentruppe" (nach dem Abzeichen auf dem Schulterstück) ihre Entscheidung nachträglich verleidet werden sollte. Abgesehen vom Fach Theologie blieb ihnen häufig jede andere Studienrichtung verwehrt. Die Einberufung erfolgte zudem oft kurz vor dem 26. Geburtstag. Dies war laut Gesetz die letzte Möglichkeit der Rekrutierung. Nicht selten hatten die Betroffenen zu diesem Zeitpunkt gerade eine Familie gegründet oder nach dem Theologiestudium ihre erste Dienststelle angetreten.

Bewusst schikanös waren zeitweise auch die Aufgabengebiete gestaltet. Man wusste, dass es sich um Menschen handelte, die eigentlich einen friedlichen Ersatzdienst anstrebten. Bausoldaten wurden deshalb bevorzugt zu Arbeiten an Militärflugplätzen, Schießanlagen oder am Fährhafen Mukran eingesetzt, welcher u. a. für den Militärverkehr mit der Sowjetunion konzipiert war. Ab den 1980er Jahren mussten Bausoldaten verstärkt in Produktionsbetrieben oder auf Großbaustellen aushelfen. Wer Bausoldat war, konnte sich zudem sicher sein, dass über ihn eine Stasi-Akte angelegt wurde. Dennoch hatte es die ostdeutsche Geheimpolizei meist schwer, in die Schicksalsgemeinschaft dieser jungen Männer einzudringen.

Das Ende: Ein ehemaliger Bausoldat löst die NVA auf

Insgesamt strebten rund 27000 junge Männer den waffenlosen Dienst an. Ungefähr 15000 davon wurden tatsächlich als Bausoldaten einberufen. Viele von ihnen blieben auch nach ihrer Dienstzeit in Verbindung oder gaben ihre Erfahrungen an künftige Verweigerer weiter. Als 1989/90 die DDR-Diktatur zusammenbrach, versahen die letzten Bausoldaten ihren Dienst in der Regel in rein zivilen Einrichtungen. Ironie der Geschichte: Im April 1990 wurde ausgerechnet der Pfarrer Rainer Eppelmann zum Minister für Verteidigung und Abrüstung berufen. Damit hatten die sozialistischen Offiziere der NVA plötzlich einen ehemaligen Bausoldaten als obersten Dienstherren, der zudem mit der Auflösung dieser Armee beauftragt war.

Quellenauszug:

Wilhelm Schlemmer: Lebensraum zwischen Barrikaden, Friedling-Verlag Berlin, 2008

Brockhaus Wissens-Center

Chronik der Wende

www.jugendopposition.de

Erfahrungsberichte von Bausoldaten

Donky, am 26.02.2017
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