Wie so manche andere Schwindeleien begann auch diese mit einer kleinen Lüge. Die 9-jährige Frances Griffiths hatte wieder einmal entgegen des Verbots ihrer Mutter am Bach gespielt und war prompt hineingefallen. Wie sollte sie die nassen Schuhe und Strümpfe ihrer Mutter erklären? Zu Hause brachte sie eine Notlüge vor, wie sie nur einem Kind einfallen kann: Sie habe das Verbot missachtet, nachdem sie Feen am Bach gesehen hätte. Natürlich glaubte ihre Mutter kein Wort, selbst als Frances‘ 16-jährige Cousine Elsie Wright erklärte, sie habe die Feen mit eigenen Augen gesehen. Um ihre Behauptungen zu beweisen, lieh sich Elsie die Kamera ihres Vaters aus. Wohl niemand hätte zu träumen gewagt, welcher Stein damit ins Rollen gebracht worden war.

In jenem Juli des Jahres 1917 schienen im englischen Dörfchen Cottingley die Schrecken des immer noch tobenden Ersten Weltkriegs weit entfernt. Die Wrights lebten ein beschauliches Leben in der Idylle und hatten die Griffiths aus dem noch zur englischen Krone gehörenden Südafrika zu Gast. Für zwei junge Mädchen wie Frances Griffiths und Elsie Wright dürfte die Idylle allerdings entsetzlich langweilig gewesen sein. Was Wunder also, dass sie ihre abenteuerliche Geschichte über Feen als Spielgefährten erfanden? Ungewöhnlicher war da schon der Aufwand, mit der sie ihre Geschichte beweisen wollten. Nicht einmal eine Stunde, nachdem sie die Kamera ausgeliehen hatten, kehrten die beiden Mädchen nach Hause zurück und baten Elsie Wrights Vater, die Fotos zu entwickeln. 

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Fotos der Cottingley-Feen bleiben unbeachtet ...

Zu seiner Überraschung tummelten sich auf dem ersten Foto mehrere winzige Feen rund um Frances. Zwei Monate später nahmen die Mädchen ein weiteres Foto auf, das diesmal allerdings keine Feen, sondern einen Gnom an Elsies Seite zeigte. Keine Sekunde lang glaubte Elsies Vater an die Echtheit der fotografierten Mythenwesen. Tatsächlich sollte sich seine Vermutung, wie die Mädchen den Schwindel betrieben hatten, als richtig erweisen. Hierzu gleich mehr.

Von den "Cottingley-Feen" sollte allerdings zwei Jahre lang keine Rede mehr sein. Mit Sicherheit wären die Fotos in Vergessenheit geraten, wären Elsies und Frances‘ Mütter nicht von der Theosophie fasziniert gewesen, einer neo-esoterischen Strömung, die um die Jahrhundertwende neues Interesse geweckt hatte. Im Anschluss an einen einschlägigen Vortrag zeigten die Frauen die beiden Fotos ihrer Kinder Edward Gardner, der als eine der führenden Figuren der theosophischen Bewegung galt. Dieser war begeistert, bat jedoch zwecks Prüfung der Echtheit um die Negative der Fotos.

Sherlock Holmes (Bild: https://pixabay.com)

Nachdem er sie erhalten hatte, schickte er sie einem Fachmann für Fotografie, der die Echtheit bestätigte. Seiner fachlichen Meinung nach waren die Feen und der Gnom weder auf eine transparente Platte aufgemalt und im Hintergrund abfotografiert worden (ein beliebter Trick damals), noch handelte es sich bei den Wesen um Bilder. Im Gegenteil: Die Feen hätten sich während der Aufnahme bewegt, was gegen eine abfotografierte Zeichnung sprach. Enthusiastisch reichte Gardner die Fotos weiter, bis sie das Auge eines gewissen Arthur Conan Doyle erblickte. Diesen Moment könnte man rückblickend als Beginn des Cottingley-Feen-Mythos erachten.

... bis sie von Arthur Conan Doyle entdeckt werden

Das Bemerkenswerteste an dem Schwindel ist gar nicht einmal der Umstand, dass viele Jahrzehnte lang über die Echtheit der Cottingley-Feen-Fotos gestritten wurde. Erstaunlicher ist vielmehr Arthur Conan Doyles entscheidende Rolle bei der Popularisierung der Fotografien. Wer, wenn nicht der Erfinder des berühmten Sherlock Holmes, dem Prototypen für rationales Denken, hätte sofort den Schwindel entlarven und darüber schmunzeln sollen? Stattdessen war Doyle Feuer und Flamme und veröffentlichte diese mit drei weiteren von Elsie und Frances aufgenommenen Feen-Fotos in seinem Buch "The Coming of the Fairies", das über diesen Link auf Project Gutenberg auf Englisch gelesen werden kann.

Natürlich erscheint es widersinnig, dass ausgerechnet der Schöpfer des überrationalen, extrem analytisch denkenden Sherlock Holmes, dem mitunter Asperger-Syndrom beschieden wurde, auf seinen so offensichtlichen Hoax hereinfallen würde. Allerdings muss man auch hierbei den Autor von seinen Figuren trennen. Wäre Holmes ein realer Mensch gewesen, er hätte angesichts von Doyles spiritiuellen Interesses die Augenbrauen hochgezogen. Während Doyle heute praktisch nur noch Dank Sherlock Holmes bekannt ist, war er zu seiner Zeit nicht nur ein berühmter und vielgelesener Autor, sondern auch einer der bekanntesten Spiritualisten. Doyle glaubte an die Möglichkeit der Kommunikation mit Toten und besuchte begeistert Séancen.

Selbst als ihm der freundschaftlich verbundene Zauberkünstler Harry Houdini versicherte, er könne jederzeit die in Séancen angewandten Tricks nachmachen, hielt Doyle unverrückbar an seinen Überzeugungen fest. Dass seine Frau gleichfalls Spiritualistin war, wirkte nur verstärkend. Dermaßen stark war sein Glaube an das Übernatürliche, dass er Houdini bezichtigte, übersinnliche Fähigkeiten zu besitzen, diese aber als Zaubertricks zu verschleiern.

Die Freundschaft der beiden zerbrach schließlich, als Doyles Gattin Kontakt zu Houdinis verstorbener Mutter hergestellt haben wollte, die ihr einen 15 Seiten langen Brief aus dem Jenseits diktierte. Houdini selbst zeigte sich allenfalls über das fehlerfreie Englisch seiner verstorbenen Mutter beeindruckt, die als gebürtige Ungarin zeit ihres Lebens keinen geraden englischen Satz auf die Reihe gebracht hatte. Mit seinem zweibändigen Standardwerk zum Spiritualismus festigte Arthur Conan Doyle seinen Ruf als Experte auf dem Gebiet.

Elsie und Francis gestehen den Schwindel

Heute mögen Ansichten wie jene des Autors bestenfalls kurios erscheinen. Im England des 18. und frühen 20. Jahrhunderts waren sie keineswegs außergewöhnlich. Die Esoterik in all ihren Ausprägungen hatte einen Höhepunke erreicht, den sie erst in den 1970er Jahren mit der Okkultismus-Welle ansatzweise wiedererlangen sollte. Für Doyle bildeten die Fotos und selbst die Aussagen von Elsie und Frances glaubhafte Beweise für die Existenz des Übernatürlichen. Immer wieder verwies er auf die Fotografien und schrieb Artikel zu diesem Thema, auch wenn ihm viele kritische Stimmen entgegenschlugen, die schon mal Zweifel an der geistigen Gesundheit des Bestsellerautors anklingen ließen. Bis zu seinem Tod 1930 glaubte er an die Echtheit der Cottingley-Feen – und war damit beileibe nicht der Einzige.

Obwohl mit Doyle der wichtigste Proponent der Fotos verstorben war, blieben sie in der Populärkultur fest verhaftet. Immer wieder erschienen Bücher zu dem Thema und die Fotos zählen noch heute zu den bekanntesten Fotodokumenten des 20. Jahrhunderts. Inzwischen Damen gesetzten Alters, verweigerten Elsie und Frances noch bei einem Interview in den 1970er Jahren das eindeutige Geständnis, wonach die Fotos Schwindel gewesen seien. Kapital aus ihren berühmten Fotos hatten die beiden Frauen ohnehin nicht geschlagen. Dennoch wollte der bekannte Magier und Skeptiker James "The Amazing" Randi den Schwindel beweisen und erklärte Ende der 1970er Jahre nach Analysen durch Fachleute, dass die Bilder gefälscht seien. Randis Worte hatten Gewicht, hatte er doch unter anderem Uri Geller, Löffel- und Wahrheitsbieger, entzaubert. Es dauerte aber noch bis 1983, dass Elsie und Frances die Fälschungen eingestanden, wobei Frances auf die Echtheit des Gnom-Bildes bestand.

Zeitlose Lust am Übernatürlichen

Zeitlose Lust am Übernatürlichen (Bild: https://pixabay.com)

Die Entstehung der Cottingley-Feen-Fotos

Doch wie hatten zwei Mädchen über Jahrzehnte hinweg selbst Fachleute narren können? Wie so oft war auch hier die erste Vermutung die richtige: Bereits Elsie Wrights Vater hatte angenommen, dass die künstlerisch begabten Mädchen Zeichnungen angefertigt und abfotografiert hatten. Die Vorlagen hatten sie dem Kinderbuch "Princess Mary's Gift Book" entnommen. Nachdem sie die Illustrationen von Feen auf Kartonpapier abgezeichnet hatten, wurden diese ausgeschnitten und mit Nadeln entsprechend posiert. Auf dem zweiten Foto der beiden konnte man sogar einen Stecknadelkopf aus dem Bauchbereich des Gnoms herausragen sehen. Conan Doyle sah in dem verräterischen Stecknadelkopf den Bauchnabel des Mythenwesens, was laut seiner eigenen Logik, die Sherlock Holmes vermutlich zum Heulen gebracht hätte, auf eine menschenähnliche Fortpflanzung von Gnomen hinwies.

Die viele Jahre lang anhaltende Faszination für die "Feen von Cottingley" brachte Frances 1985 in einem Interview auf den Punkt, als sie meinte, Elsie und sie hätten sich einfach einen Spaß erlaubt und sie könnte sich den Umstand, dass so viele Leute von den Fotos überzeugt waren, nur damit erkären, dass die Leute daran glauben wollten. Elsie wiederum behauptete, sie hätten die Wahrheit nicht mehr zugeben können, nachdem sie Arthur Conan Doyle erfolgreich genarrt hatten. Tatsächlich scheint es so, als hätten sich die beiden Frauen gewünscht, niemals diese Fotos gemacht zu haben, in deren Schatten sie zeit ihres Lebens standen.

Heute Aliens, früher Feen

Sicher: Der Schwindel rund um die Cottingley-Feen-Fotos ist spätestens mit dem Geständnis ihrer Schöpferinnen aufgedeckt. Weitaus interessanter ist aber die Wirkung, die die Fotos noch heute haben. Auch wenn es fast schon unglaublich scheint, dass erwachsene Leute an ihre Echtheit glaubten, üben sie eine Faszination aus, der man sich kaum entziehen kann. Abgesehen von seinen spirituellen Glaubenssystemen, zeigte sich Arthur Conan Doyle auch deshalb von den Fotos angetan, da er der Idee anhing, wonach Kinder rein und unverdorben seien, was etwa im Fall der Cottingley-Feen erst die Kontaktaufnahme zu übernatürlichen Wesen ermöglichte, die wir als Erwachsene nicht mehr wahrnehmen könnten. Eben ganz wie Frances erklärt hatte: Die Leute wollten daran glauben.

Und wie auch nicht? Insbesondere im Westen sehnten und sehnen sich Menschen danach, dass es mehr als nur die materielle Welt um uns herum gibt. Das Übernatürliche bietet die ideale Projektionsfläche für diesen Wunsch. Heute mögen es Aliens, UFOs und Bigfoot sein, die unsere Sehnsucht nach dem Geheimnisvollen stillen.

E.T. nach Hause fahren

E.T. nach Hause fahren (Bild: https://pixabay.com)

Früher waren es Kobolde oder eben Feen. Und was könnte unschuldiger und unverfälschter wirken, als Bilder mit Kindern und Feen? Selbst der bodenständigste Realist und Skeptiker benötigt Ventile, um dem öden Alltag etwas mehr Farbe zu verleihen. Folglich ist es kein Widerspruch, wenn ein überzeugter Atheist, der jeden Gedanken an Geister, Feen oder UFOs verlacht, einen Glücksbringer am Armaturenbrett anbringt. Und ganz ehrlich: Angesichts so vieler haarsträubender Ideologien ist der Glaube an Feen vielleicht kindisch, aber zumindest harmlos.

Autor seit 13 Jahren
815 Seiten
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