Warum zwei Lesegemeinschaften?

Um diese Frage beantworten zu können, muss der Fragende sich etwas mit den historischen Bedingungen von Sigmaringen im 18. und 19. Jahrhundert beschäftigen. Im gesamten Kreisgebiet wohnten im Jahr 1803, 16 242 Einwohner. Die Stadt hatte 1807, 1120 eingeschriebene Bürger. 1806, nur drei Jahre später, waren es im Kreisgebiet schon 32 716 Einwohner. Im Vergleich: Im Jahr 2015 hat der Landkreis Sigmaringen insgesamt 127.300 Menschen. Er ist immer noch relativ dünn besiedelt. Ein Drittel der Einwohner im Jahr 1806, bewirtschaftete einen Bauernhof und übten, im Nebenerwerb, ein Handwerk aus. Der zahlenmäßige Rest waren Kaufleute und/oder Hoflieferanten; Bedienstete auch im erweiterten Sinn, beim Hof angestellt oder Arzte, Lehrer und Vertreter der Wissenschaften.

Der Leibarzt Dr. Metzler skizzierte seine Mitbürger treffend: Die Sigmaringer Bevölkerung seien "Alltagspersonen, die ein Pflanzenleben führten. Ein ewiger einförmiger Schlaf liegt darauf. Beten, Arbeiten ins Wirtshaus gehen, jährlich ein Kind machen und die Obrigkeit walten lassen.Ein Sinnbild des Kleinstädters." Die beiden Lesegemeinschaften wurden notwenig, weil...

Die "Alte Schule" in Sigmaringen

Die Stadtbibliothek Sigmaringen (Bild: Eingang © Stadtbibliothek Sigmaringen)

Wie die Lesegemeinschaften entstanden und sich entwickelten

Seit 1850 nahm ­die Buch- und Zeitschriftenproduktion im Landkreis Sigmaringen zu. Man sprach zu der Zeit von einer "­Bildungs- oder Lesesucht". Ursache war ein einschneidender politischer/sozialer Wandel der altständischen zivilbürgerlichen Gesellschaft. Das nach Ständen eingeteilte Volk bedeute für den Einzelnen, das er von Geburt an seinen unverrückbaren Platz einnehmen musste. Wer Mitglied eines Vereins war, befand sich dort nicht freiwillig, sondern wegen seines Standes. Das beinhaltete, dass zum Beispiel nicht der, der ­geme jagte in die Vereinigung aufgenommen wurde, sondern der, der von hohem Geblüt war. Oft kamen die Mitglieder eines Vereins nur "ihrer Pflicht" nach. Mit dem neuen Bürgertum, zu dem die Beamtenintelligenz gehörte, sollte sich alles ändem. Beamte standen im Dienst des Adels und gehörten den "Freien akademischen Berufsgruppen" an. Der Aufschwung der Wissenschaften, der Literatur und der neuen Publizistik erzeugte eine Flut von Gedrucktem; man musste sich auf dem ­Laufenden halten. Die hohen Preise der Publikationen machten es nur wenigen möglich, sich eine Zeitung zu abonnieren und so bildeten sich Lesegemeinschaften.

Das Hohenzollernschloss in Sigmaringen (Bild: © Monika Hermeling)

Beim Bürgerverein konnten auch Frauen mit machen

1825 gründete sich in Sigmaringen, als zweite Lesegemeinschaft, die Museumsgesellschaft (Museum abgeleitet aus dem griechischen Musaion/den Musen gehörig, ein den Künsten und Gelehrsamkeit gewidmeter Ort) mit dem Ziel der Unterhaltung und Belehrung. Zehn Jahre später 1835 wurde der Bürgerverein gegründet. Zu ihm hatten auch Frauen Zugang. Zusätzlich pflegte man außerdem die Geselligkeit untere einander. Die Lesegemeinschaften wirkten, ohne direkte Absicht politisch und verstanden sich nicht als Gegensatz zum Staat, denn in der zuerst gegründeten gehörte auch der Fürst Anton Alois und später sein Sohn Fürst Leopold, der zu allen Zeiten die Museumslesegesellschaft unterstützte. Diese hielten zunächst örtliche, dann auch überregionale Zeitungen, die nach einem ausgetüftelten System ausgeliehen wurden.

Der Mittelstand erwirbt durch Bildung mehr Macht

Die neue Schicht hatte einen sozialen Aufstieg hinter sich. Es waren belesene Leute, die auch im kulturellen Bereich völlig neue Interessen entwickelten. Ein Fortschrittsglaube herrschte vor, dass jeder Mensch durch Freiheit und Bildung weiter zu entwickeln sei. War den Bürgerlichen bisher durch den Adel die Teilnahme an jeglicher Fortbildung und Kultur verweigert worden, traten sie nun auf ökonomischem und politischem Gebiet in Konkurrenz mit demselben und zeigte auch ein gesteigertes Verlangen nach Information aus allen Bereichen des Lebens. Auch die Träger der neuen Ökonomie waren fleißige Nutzer. Dadurch waren sie in der Lage den Markt zu beobachten. 1818 gründete Fürst Anton Alois das erste fürstliche Gymnasium. ln dieser Zeit entfaltete sich auch das Ausbildungswesen. 1839 beklagte ein Artikel im "Schwäbischen Humoristen: "Es besteht zwar schon seit geraumer Zeit eine Buchhandlung dahier, die aber keineswegs den Bedürfnissen entspricht, sodass es beinahe jedermann vorzieht, die Bücher selbst von auswärtigen Orten zu beziehen." So ergab sich die Notwendigkeit, in Sigmaringen eine städtische Leihbücherei zu gründen.

Quelle: Die Museuemsgesellschaft und der Bürgerverein in Sigmaringen.

Die Entwicklung zweier Lesegesellschaften im 19. Jahrhundert. Von Andreas Zekom/Tübingen

Das Medienangebot der Städischen Bibliothek ist gewachsen

Die Stadtbibliothek Sigmaringen teilt sich im Jahr 2015 das Gebäude der "Alten Schule" mit der Musikschule, die sich im oberen Bereich befindet. In den beiden unteren Etagen stehen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen etwa 32.000 Medien zur Ausleihe zur Verfügung. Es sind Sachbücher und Ratgeber aus allen Wissensbereichen, Romane für Erwachsene und eine große Auswahl von Kinder- und Jugendliteratur. Dieses Buchangebot wird durch eine große Anzahl von Hörbüchern, Musik CDs und Spielfilmen auf DVD, für Kinder und erwachsene, ergänzt. Wissbegierigen stehen rund 50 Zeitungen- und Zeitschriften, die im Abonnement gehalten werden, teilweise zum Lesen vor Ort oder zum Ausleihen, zur Verfügung. Ebenso eine große Auswahl von Brett- und Kartenspielen. Über das Internet können weitere digitale Medien heruntergeladen und ausgeliehen werden. Weiter erwähnenswert ist, dass die Stadtbücherei barrierefrei erreichbar und ein dem entsprechendes WC vorhanden ist.

Eine Übersicht über die Medien und ein Lageplan der Örtlichkeiten

Die Stiftung lesen zeigt auf, warum das Lesen wichtig ist.

Buchtipp von Monika Hermeling
Sigmaringen - Auf den Spuren einer Stadt

Christina Thormann, die Bibliotheksleiterin gibt bekannt:

Frau Thormann, wie war die Entwicklung der Bibliothek, in Zahlen gesehen?

Für das Gründungsjahr 1988 mit der Eröffnung im November liegen keine aussagekräftigen Zahlen vor. Betrachtet man das Jahr 1989 als erstes volles Ausleihjahr im Normalbetrieb, so waren es damals zum 31.12.1989 insgesamt 2127 aktive Leser (das heißt Personen, die mindestens einmal im Jahr ein Medium entliehen haben) und 46 800 Entleihungen bei einem Bestand von etwa 13 000 Medien, damals noch nur Bücher, Zeitschriften, Kassetten und Spiele. 1997 wurde dann der Medienbestand in einer Datenbank erfasst und die Ausleihverbuchung über die EDV eingeführt.
Außerdem wurden die beengten Räumlichkeiten der Stadtbibliothek um eine Fläche im Untergeschoss von 270 auf 490 m² erweitert. Im Laufe der Jahre wurde das Medienangebot entsprechend der Entwicklungen der Medienlandschaft erweitert und die Nutzungszahlen stiegen kontinuierlich an. Neben der Kernaufgabe der Medienvermittlung gewannen die Maßnahmen der Leseförderung immer weiter an Bedeutung. Ein abwechslungsreiches Veranstaltungsangebot für Kinder und eine enge Zusammenarbeit mit den Kindergärten und Schulen im Kreis Sigmaringen sind hier die wichtigsten Mittel.
Im Jahr 2005 wurde dann das erste Mal die Marke von 100 000 Ausleihen überschritten. Und zum 31.12.2013 dann auch die 200 000 Ausleihen. Die Zahl der aktiven Leser liegt inzwischen bei ca. 3 500, davon sind 20 Prozent Kinder bis 12 Jahre.
Die Stadtbibliothek bietet seit 2012 auch digitale Medien zur Ausleihe an. Auch dieses Angebot wird gut genutzt. 2014 haben 10 Prozent der aktiven Leser auch digitale Medien genutzt. Es wurden über 5000 Titel im Jahr entliehen.

Wo in Sigmaringen Bücher entliehen werden können

Zusätzlich zur städtischen Bücherei in Sigmaringen, wo Bücher auch online bezogen werden können stehen auch in den Ortsteilen Buchausleihen zur Verfügung. Dazu die Bibliothek der Hochschule Sigmaringen, die Fürstlich Hohenzollernsche Hofbibliothek und das Staatsarchiv Sigmaringen. 

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