Die Visionen von Europa bei "Campact" und "WeMove.EU"

Für "Campact" ist die EU ein global einzigartiges Projekt, weil nirgendwo sonst sich Staaten darauf verständigt hätten, Souveränität in einer solchen Dimension zu teilen, um Probleme lösen zu können, für die jeder einzelne Staat zu klein geworden ist, wobei es sich außerdem um Staaten handele, die sich nach Jahrhunderten kriegerischer Auseinandersetzungen miteinander versöhnt hätten. Ferner ist "Campact" zufolge ein geeintes Europa die einzige Chance, die Macht der Konzerne und der Finanzmärkte zu begrenzen.

Man dürfe sich jedoch nicht auf dem Erreichten ausruhen, sondern Europa müsse grundlegend weiterentwickelt und reformiert werden. Das heißt: Europa müsse sich so verändern, das es die Herzen der Menschen wieder erreicht und sie begeistert. Für "Campact" geht es hier um ein Europa der Solidarität statt nationaler Egoismen, ein Europa der Menschenrechte statt Abschottung, ein Europa der Regulierung statt Konzernmacht, ein Europa der Ökologie statt Klimakrise, ein insgesamt sozialeres Europa.

Ähnlich setzt sich "WeMove.EU" - wie es im Gründungsmanifest heißt - für ein besseres Europa ein, nämlich für eine Europäische Union, die sich gesellschaftlicher und ökonomischer Gerechtigkeit verpflichtet fühlt, die für ökologische Nachhaltigkeit und bürgernahe Demokratie steht. Im Einzelnen geht es hier um die Vision eines Europas, das 1. demokratisch ist, das also allen Bürgerinnen und Bürgern die Teilnahme an den EU-Entscheidungsprozessen ermöglicht, das 2. für soziale Gerechtigkeit, also Steuergerechtigkeit und Chancengleichheit sorgt, das sich 3. für den Schutz des Planeten einsetzt, also umweltfreundliche Energieerzeugung und eine ökologisch nachhaltige Landwirtschaft fördert, das 4. für Bürgerrechte steht, das also gegen Diskriminierung ist und Vielfalt begrüßt sowie frei ist von Korruption, und das 5. global verantwortlich ist, das also sein Gewicht in der Welt nutzt, um Frieden zu stiften, die Menschenrechte zu stärken und die globale Armut zu bekämpfen.

Die europäische Union und der Klimaschutz in Gefahr?

"Campact" und "WeMove.EU" hatten der Europawahl am 26. Mai mit großer Sorge entgegengesehen, weil in vielen Prognosen ein weiteres Erstarken der Rechtspopulisten vorausgesagt worden war und damit der politischen Kräfte, die eine Renaissance des Nationalismus betreiben und das geeinte Europa in der Form, wie es existiert, rundheraus ablehnen, so dass auch, wenn diese Kräfte das Sagen hätten, die dringend notwendigen Reformen der Europäischen Union, die von "Campact" und "WeMove.EU" skizziert worden sind, keine Chance zur Verwirklichung hätten, weil diese ja auf ein "mehr" und nicht auf ein "weniger Europa" hinauslaufen.

So wollten Europas Rechtsextreme, wie es bei "Campact" heißt, mit weit mehr Abgeordneten als bisher das EU-Parlament handlungsunfähig machen und Europa von innen zerstören. Brüssel und Straßburg sollten ihnen als Plattform dienen, um gegen Minderheiten zu hetzen und das Klima einer offenen Gesellschaft zu vergiften. Die vergangenen Jahre hätten ja gezeigt, wie schnell sich dadurch der ganze gesellschaftliche Diskurs nach rechts verschiebt. Ferner hätten die rechten Parteien schon mit 20 Prozent der Sitze im Europaparlament giftige Allianzen, z.B. mit der Europäischen Volkspartei, schmieden und progressive Mehrheiten verhindern können. Die anderen Parteien hätten auch versucht sein können, sich auf faule Tauschgeschäfte mit den rechten Parteien einzulassen, um überhaupt noch irgendetwas durchsetzen zu können.

Bei "WeMove.EU" stand die Befürchtung im Vordergrund, dass die rechten Parteien, wenn sie bei der Europawahl starke Stimmengewinne erzielen, die europäische Klimaschutzpolitik blockieren, weil sie den Klimawandel anzweifeln und leugnen, dass wir Menschen die Erderwärmung zu verantworten haben. Angesichts dieser Gefahren für unsere Zukunft, die nach einem erfolgreichen Abschneiden der Rechtspopulisten bei der Europawahl gedroht hätten, hatten "Campact" und "WeMove.EU" eine beispiellose Mobilisierung der europäischen Zivilgesellschaft in Gang gesetzt, die am 19. Mai in Massendemonstrationen in vielen europäischen Städten gegen Nationalismus und für die Vision eines besseren Europas eingemündet war, eines Europas, das kooperativ, demokratisch, weltoffen ist und das der Klimakrise entschlossen entgegentritt.

Das Ergebnis der Europawahl

Am Tag nach der Europawahl herrschte bei vielen Bürgern Erleichterung, denn die Rechnung der rechtsextremen und nationalistischen Parteien, dass es den anderen Parteien nicht gelingen würde, ihre Wähler zu mobilisieren, dass es also eine niedrige Wahlbeteiligung geben würde, von der sie hätten profitieren können, weil sie viele Stammwähler haben, war nicht aufgegangen. Die Wahlbeteiligung war die höchste seit 20 Jahren, in Deutschland stieg sie von 48 auf über 61 Prozent. Auch auf EU-Ebene stimmten mit 50,5 Prozent so viele Menschen ab wie seit 20 Jahren nicht mehr. Den Rechten gelang der Erfolg nur in wenigen Ländern. Hervorzuheben sind hier Frankreich und Italien. Ihr Traum von einem Drittel der Sitze erfüllte sich nicht. Für "WeMove.EU" war dieser weitgehende Misserfolg der Rechten bei der Europawahl auch ein Resultat der Mobilisierung der Zivilgesellschaft vor der Wahl.

Für "Campact" war die Europawahl eindeutig eine Klimawahl. Das heißt: Die Frage, wie es welche Partei mit dem Klima hält, habe die Wahl entschieden. Tatsächlich war für 48 Prozent der deutschen Wählerinnen und Wähler der Klimaschutz das wahlentscheidende Thema. Entsprechend waren in Deutschland die Grünen die großen Gewinner dieser Wahl. Sie erreichten 20,5 Prozent und haben damit ihr Ergebnis im Verhältnis zur letzten Europawahl fast verdoppelt. Bei den 18-bis 29-Jährigen wurden die Grünen sogar mit 31 Prozent klar stärkste Kraft. Auch in elf weiteren europäischen Ländern erzielten die Grünen ein zweistelliges Ergebnis und bilden im neuen Europaparlament die viertgrößte Fraktion. Die Rechtspopulisten landeten nur auf dem sechsten Platz.

Wie geht es jetzt weiter mit Europa?

Für "Campact" kann die diesjährige Europawahl der Start für eine andere Politik sein, in deren Mittelpunkt der Klimaschutz steht. So müsse die Politik jetzt endlich konsequent handeln, damit die Erderwärmung nicht die kritische Schwelle von 1,5 Grad übersteigt. Für Deutschland bedeute dies null CO2-Emissionen bis 2035.

"Campact" zufolge kann dieses Ziel durch ein Bündel von Maßnahmen erreicht werden, nämlich 1. durch einen Kohleausstieg bis allerspätestens 2030 sowie eine Abschaltung der Hälfte der Kraftwerke bis Ende nächsten Jahres, 2. durch einen Preis auf alle Treibhausgasemissionen, der schnell 180 Euro pro Tonne CO2 beträgt, 3. durch ein Verbot der Neuzulassung von PKW-Verbrennungsmotoren bis 2025 und massive Investitionen in eine gute Fahrrad-Infrastruktur sowie in attraktive öffentliche Verkehrsmittel, ergänzt um Elektroautos, 4. durch den Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energieversorgung bis 2035, 5. durch öffentliche Milliarden-Investitionen in eine Dämmoffensive für den Gebäudebestand und den Ausbau der solaren Wärme-Erzeugung, 6. durch eine Agrarwende hin zu einer ökologischen und bäuerlichen Landwirtschaft mit einer regionalen Erzeugung von guten Lebensmitteln.

Gleichzeitig schlägt "Campact" Maßnahmen vor, die verhindern sollen, dass durch den Klimaschutz Arme in Form höherer Preise und Mieten überproportional belastet werden. "Campact" plädiert mit anderen Worten für eine sozial-ökologische Transformation, bei der Ökologie und Soziales zwei Seiten einer Medaille sind. Gleichzeitig könnte, wenn eine solche Transformation auf europäischer Ebene gelingt, Europa damit zu einem Vorreiter auf globaler Ebene werden, denn lt. "WeMove.EU" ist die EU der weltweit drittgrößte CO2-Emittent und auch der größte Wirtschaftsraum, so dass Lösungen, die sich hier durchsetzen, die Richtung für die Welt weisen würden.

Bevor allerdings die Sacharbeit beginnt, müssen zunächst auf EU-Ebene zahlreiche Personalentscheidungen getroffen werden. So müssen ein neuer EU-Kommissionspräsident, ein neuer EU-Ratspräsident, ein neuer Präsident des EU-Parlaments, ein neuer Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) und ein neuer EU-Außenbeauftragter gewählt werden. Nach Ansicht von "We.Move.EU" wird das neue EU-Parlament flexibler werden müssen. Das heißt: Es werde zu wechselnden Mehrheiten kommen, und damit stiegen die Chancen, den anvisierten Wandel hin zu einem besseren Europa in Gang zu setzen.

Insgesamt gesehen sind also "Campact" und "WeMove.EU", was die Zukunft der Europäischen Union und den Klimaschutz betrifft, nach der Europawahl wesentlich optimistischer als vor der Wahl.

Quellennachweis:

https://blog.campact.de/2019/03/europawahl-1-europa-fuer-alle/

https://blog.campact.de/2019/05/radikal/

https://www.wemove.eu/de/gr%C3%BCndungsmanifest

https://www.ak-gewerkschafter.de/2019/04/09/wemove-eu-fordert-zur-europa-wahl-2019-ein-nein-zum-hass-ein-ja-zum-wandel-ein-europa-fuer-alle/

 

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