Das mangelhafte Krisenmanagement nach 2008

Nach Expertenmeinung ist die Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise, die im Jahr 2008 mit dem Zusammenbruch der Bank "Lehmann Brothers" begann, bisher nicht nur nicht bewältigt, sondern vielmehr mit kontraproduktiven Maßnahmen bekämpft worden. Und zwar muss dabei unterschieden werden zwischen der Geldpolitik der Notenbanken und den Krisenbewältigungsstrategien der Regierungen und des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Geldpolitik

GeldHauptmotiv bei der Geldpolitik der Notenbanken war das Bemühen, nicht die Fehler aus der Zeit nach dem großen Börsencrash von 1929 zu wiederholen. Dabei wurden diese Fehler vor allem darin gesehen, dass die Notenbanken seinerzeit nicht mit niedrigen Leitzinsen und einer expansiven Geldpolitik auf die Krise reagiert haben. Folglich haben die Notenbanken, so auch die Europäische Zentralbank (EZB), nach der Lehmann-Pleite den Finanzmärkten Kapital zu niedrigsten Zinsen zur Verfügung gestellt. Und zwar wurden 150 Milliarden Euro in den Geldmarkt gepumpt. Das Geld ist jedoch größtenteils nicht in die Wirtschaft geflossen, hat also nicht oder nicht in dem Maße die Wirtschaftstätigkeit belebt, wie es eigentlich erwartet worden war. Es ist vielmehr durch das Verbleiben des Geldes im Finanzsektor ein neues Problem entstanden, nämlich eine Liquiditäts- bzw. Vermögensblase.

Die Verselbständigung der Finanzmärkte

Hintergrund dieses Versagens der Geldpolitik ist eine zunehmende Abkopplung der Finanzmärkte von der realen Wirtschaft. Das heißt: Die Kapitalvolumina auf den Finanzmärkten sind um ein Vielfaches höher als die, die in der realen Wirtschaft im Umlauf sind, so dass ein virtueller Markt entstanden ist, der seinen eigenen Regeln folgt. Und mit dieser Verselbständigung der Finanzmärkte gegenüber der Sphäre der realen Wertschöpfung im Produktionsbereich ging die Etablierung einer neuen globalen Klasse, bestehend aus "Bankern" und Finanzspekulanten, einher, die in ihrem Handeln in erster Linie durch die Gier nach dem schnellen Geld angetrieben werden.

Die zwei Gesichter der Gier

GierEigentlich ist Gier  eine zutiefst menschliche Kraft, die jeder mehr oder weniger in sich hat. Sie kann also – positiv – definiert werden als ein archaischer Wunsch, ein elementares Verlangen, aus dem alle Leidenschaften und jedes Begehren hervorgehen. Hintergrund ist das grundlegende Bestreben des Menschen, sich einmalig zu machen, sich von seinen Mitmenschen abzuheben. Die Kehrseite der Gier ist folglich die Angst vor der Bedeutungslosigkeit. Insofern kann Gier als Mittel der Selbstbehauptung betrachtet werden. Das andere – hässliche – Gesicht der Gier ist die ihr innewohnende Tendenz zur "Selbstbezüglichkeit", also ihr Auftreten als "Erwartungslust" und damit als ein Begehren, das seine Befriedigung gerade nicht durch den Genuss eines Objekts erfährt. Die Lust der Gier liegt damit im Verlangen selbst. Gier wird zum Selbstzweck.

Gier als ökonomische Handlungsstruktur

Nach Expertenmeinung hat sich auf den modernen Finanzmärkten ein Verhaltensmuster, das das hässliche Gesicht der Gier zeigt, bei dem nämlich die Steigerung von Renditen um ihrer selbst willen mit dem Ziel der permanenten Gewinnsteigerung angestrebt wird, zu einer ökonomischen Handlungsstruktur und damit zu einem kollektiven Handlungsmuster entwickelt. Das heißt: Auf den heutigen Finanzmärkten ist die Maßlosigkeit der Gier gewissermaßen zum Geschäftsmodell avanciert. Charakteristisch für dieses Geschäftsmodell ist eine organisierte Blindheit gegenüber allem, was außerhalb der Logik der Gewinnsteigerung liegt, und damit eine kollektive Gleichgültigkeit gegenüber den Folgen des eigenen ökonomischen Handelns.

Die Renaissance des „Laisser-faire-Liberalismus“

FinanzjongleurIdeologische Basis des modernen Finanzmarktkapitalismus ist ein Wiederaufleben der Ideen des Laisser-faire-Liberalismus bzw. "Manchester-Liberalismus" in Gestalt einer neuen Form des Neoliberalismus, die man auch als Marktfundamentalismus umschreiben kann. Und zwar sind Marktfundamentalisten davon überzeugt, dass Märkte ein Gleichgewicht anstreben und dass dem Allgemeinwohl am besten gedient sei, wenn man den Marktteilnehmern erlauben würde, ihre Eigeninteressen zu verfolgen. Marktfundamentalisten gehen mit anderen Worten davon aus, dass freie, sich selbst regulierende Märkte am effizientesten arbeiten und Volkswirtschaften prosperieren lassen. Dem Marktfundamentalismus liegt also der Glaube an die "unsichtbare Hand des Marktes" zugrunde.

Die Vorstellung vom "schlanken Staat"

Der Glaube an die Magie des Marktes wird ergänzt durch die Vorstellung vom schlanken Staat. Das heißt: Der Staat soll sich darauf beschränken, die rechtliche Ordnung aufrechtzuerhalten, und alles andere den freien Märkten überlassen. Der Staat ist für Marktfundamentalisten mit anderen Worten das Feindbild Nummer eins. "Opfer" dieser Aversion gegenüber dem Staat wird folgerichtig auch der Sozialstaat. Die Marktfundamentalisten lehnen also nicht nur eine Regulierung marktwirtschaftlicher Prozesse durch den Staat ab, sondern auch die soziale Einbindung der Marktwirtschaft.

Kritik am "Raubtierkapitalismus"

RaubtierkapitalismusFür George Soros, selbst ein sehr erfolgreicher Börsenspekulant, und den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt ist das kapitalistische Wirtschaftssystem durch das Dominantwerden der Ideologie des Marktfundamentalismus bzw. Neoliberalismus zu einem Raubtierkapitalismus entartet, dessen Protagonisten die Lage auf den Finanzmärkten sowie ihre Einfluss- und Handlungsmöglichkeiten aufgrund ihrer ideologischen Verblendung völlig falsch eingeschätzt und dadurch fast einen neuerlichen Zusammenbruch der Weltwirtschaft verursacht hätten.

Herrscher ohne demokratische Legitimation

Nach Expertenmeinung hat der entfesselte Finanzmarktkapitalismus zu einer Entmachtung demokratisch gewählter Regierungen zugunsten der Finanzinvestoren und multinationalen Konzerne geführt. So kann heute keine Regierung handeln, ohne genauestens internationale Zwänge und Verpflichtungen zu beachten, und zwar vor allem die der Finanzmärkte. Das heißt: Blinder Gehorsam gegenüber Finanzinvestoren wird als das einzig rationale und verantwortliche Verhalten dargestellt, so dass mittlerweile "die Märkte" in noch nie da gewesener Weise diktieren, was angeblich souveräne, demokratische Staaten noch für ihre Bürger tun können und was sie ihnen verweigern müssen. Ein Paradebeispiel für die Macht, die die Finanzmärkte mittlerweile besitzen, ist die Fähigkeit der Banken, Staaten damit zu erpressen, dass sie zu groß sind, um sie scheitern zu lassen, dass sie also systemrelevant sind und deshalb staatlicherseits vor dem Bankrott gerettet werden müssen, und zwar, wenn es nicht anders geht, "auf Pump".

Eine Brüningsche Sparpolitik als Antwort auf die Schuldenkrise

SparpolitikWie sehr sich demokratisch gewählte Regierungen mittlerweile von den Finanzmärkten ihr Handeln vorschreiben lassen, zeigt auch der Umgang mit hochverschuldeten Mitgliedsländern in der Europäischen Union. So fordern in der EU die Geberländer sowie der Internationale Währungsfonds gemäß den Forderungen der Gläubigerbanken von den hoch verschuldeten Nehmerländern als Gegenleistung für Finanzhilfen drastische Sparmaßnahmen. Europa erlebt mit anderen Worten eine Neuauflage jener drakonischen Austeritätspolitik, mit der seinerzeit der deutsche Reichskanzler Heinrich Brüning das Deutsche Reich in den wirtschaftlichen und letztlich auch politischen Abgrund gestürzt hat. Kritiker fordern, statt im Interesse der internationalen Banken und der Stabilität des Euro jene Brüningsche Sparpolitik zu exekutieren, die noch nirgendwo neue Arbeitsplätze und höhere Steuereinnahmen geschaffen hat, den hochverschuldeten Ländern mit Schuldenschnitt und Teilinsolvenz wieder Luft zum Atmen zu verschaffen. Ferner wird plädiert für eine Ergänzung der Sparmaßnahmen durch Programme zur Ankurbelung von Wachstum und Beschäftigung.

Zügelung der Finanzmärkte

Wenn man davon ausgeht, dass einerseits eine wesentliche Ursache der Staatsverschuldung darin besteht, dass Banken vor der Pleite und letztlich die Finanzmärkte insgesamt vor dem Kollaps gerettet werden mussten, der drohte, weil sich hier die Akteure auf viel zu riskante Geschäfte und Wetten eingelassen hatten, und andererseits hochverschuldete Staaten durch Gläubigerbanken erpresst werden, ist ein weiterer wesentlicher Ansatzpunkt zur Überwindung der gegenwärtigen Krise eine Zügelung und Regulierung der Finanzmärkte. Und zwar müsste nach Expertenmeinung zunächst dafür gesorgt werden, dass die Finanzmärkte langsamer arbeiten, und zwar mit Hilfe einer Finanztransaktionssteuer. Zum anderen müssten die Finanzmärkte daran gehindert werden, ihre Gewinne zu privatisieren und ihre Verluste zu sozialisieren. Dabei könnte eine Trennung von Hausbank und Investmentbank helfen. Drittens müssten jene Gefahren reduziert werden, die von sehr großen, systemrelevanten Banken ausgehen, und zwar, indem sie ihre Systemrelevanz verlieren, also kleiner werden.

Fazit

Seit dem Fast-Zusammenbruch der Weltwirtschaft infolge der Lehmann-Pleite im Jahr 2008 wird viel über die Gefahr geredet, die von Großbanken für ganze Volkswirtschaften ausgeht, aber daran und an dem mangelhaften Risikobewusstsein der Banker hat sich nichts geändert, und nicht nur das: Die Finanzmärkte profitieren geradezu davon, die Demokratien durchs Kasino zu jagen. Das Raubtier Finanzmarkt ist also immer noch nicht gebändigt. Daraus kann gefolgert werden, dass die Hypothese sich selbst regulierender Märkte nicht haltbar ist, dass also eine wirtschaftsliberale Politik kein Garant für prosperierende Volkswirtschaften sein kann. Märkte sind mit anderen Worten nicht selbstregulierend, der Staat - oder vielmehr die Staatengemeinschaft - muss mitunter intervenieren.

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Alle Bilder: Pixabay.com

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