Die Friedensfahrt bis 1989

Das zu seiner Zeit wahrscheinlich bedeutendste und härteste Amateurrennen der Welt geht auf die voneinander unabhängigen Ideen polnischer und tschechischer Journalisten zurück. 1948 fanden zunächst zwei Veranstaltungen statt: Ein Straßenrennen von Warschau nach Prag wurde zwischen dem 1. Mai und dem 5. Mai ausgetragen. Vom 1. Mai bis 9. Mai dauerte ein Radrennen in Gegenrichtung, also von Prag nach Warschau.

Danach wurde daraus eine einzige Tour, genannt "Internationale Friedensfahrt", versehen mit einem Logo, welches der berühmten Friedenstaube von Picasso entlehnt war. 1952 stieß die DDR als drittes Veranstaltungsland hinzu. Diese drei Staaten bildeten das künftige Kerngebiet des Amateurrennens. Ausnahmen davon gab es nur selten, beispielsweise 1969. Infolge des Prager Frühlings und des Einmarschs "befreundeter" Truppen auf ihr Staatsgebiet im Jahr zuvor, war die Tschechoslowakei offiziell kein Mitveranstalter der Tour. Dennoch führte ein kurzer Streckenabschnitt über tschechoslowakisches Gebiet. Dort soll es übrigens zu zahlreichen Reifenpannen durch herumliegende Nägel und Reißzwecken gekommen sein…

1986 wiederum startete das Rennen in der Ukraine, wo sich wenige Tage zuvor das Reaktorunglück von Tschernobyl ereignet hatte. Viele westliche Fahrer sagten daher ihre Teilnahme ab. Auf die Tour-Ergebnisse hatte dies vermutlich geringen Einfluss, denn das Rennen wurde grundsätzlich durch die Ostblockländer dominiert. Deren Amateure waren staatlich gefördert, beispielsweise als Armeeangehörige oder als so genannte Sportstudenten.

Dennoch wäre es falsch, von einer Ostblockveranstaltung zu sprechen. Es gab Teilnehmer aus der ganzen Welt. Neben den Staatsamateuren aus dem Ostblock konnte man im Hauptfeld daher durchaus spanische, italienische, westdeutsche, brasilianische oder französische Sportler antreffen, ebenso wie chinesische Fahrer oder einen Feuerwehrmann aus Finnland…

Die Friedensfahrt nach 1989

Mit dem völligen Umbruch des Ostblocks zum Jahresende 1989 stand auch die Internationale Friedensfahrt vor neuen Herausforderungen. Zahlreiche Spitzenfahrer aus Osteuropa wechselten, häufig erfolgreich, ins Profilager. Dass Organisation und Finanzierung bisher ausschließlich staatlich gelenkt waren, erwies sich nun als hinderlich.

Viele Sportler und Sportbegeisterte engagierten sich zunächst dennoch für eine Fortsetzung des Radrennens. Ein Förderverein wurde gegründet, und die Friedensfahrt öffnete sich 1995 auch für Profisportler. Letzteres schadete aber vermutlich dem Nimbus der Veranstaltung. Ab den 2000er Jahren wurden die Schwierigkeiten immer offensichtlicher. Marketing, Sponsorensuche, Klassifizierung, Lizenzrechte und weitere organisatorische Hürden erschwerten die regelmäßige Ausrichtung der Friedensfahrt. Wenig hilfreich war in diesen letzten Jahren sicherlich auch das bekanntgewordene Mitwirken eines ehemaligen Stasi-Offiziers. 2006 endete mit der 58. Auflage die lange Tradition der Friedensfahrt. Seitdem gab es immer einmal wieder Anläufe zur Wiederbelebung. Auch wenn das Radrennen selbst vermutlich Geschichte ist, sein Mythos fasziniert immer noch viele Menschen.

Die ostdeutschen Helden der Friedensfahrt

Sportler der DDR galten zu allen Zeiten als ernstzunehmende Athleten. Dies allein auf das Thema Doping zu schieben, greift deutlich zu kurz. Kein Dopingmittel der Welt ersetzt Training, Anstrengung, Talent und Selbstüberwindung. Um internationales Ansehen zu erlangen, bot die DDR ihren Sportlern aber kostspielige und ausgezeichnete Trainingsmöglichkeiten. Auch im Radsport ging diese Strategie auf. Die Geschichte der Friedensfahrt kennt deshalb viele erfolgreiche DDR-Sportler wie Axel Peschel, Klaus Ampler, Manfred Weißleder oder die für Erfolge und Sportsgeist gleichermaßen geachtete Legende Gustav "Täve" Schur.

In den 1980er Jahren dominierten ostdeutsche Fahrer schließlich vollends die Tour. Unvergessen sind unter Sportfans bis heute Namen wie Andreas Petermann, Thomas Barth, Lutz Lötzsch, Bernd Drogan, Falk Boden und natürlich das Radsport-Spitzentrio der späten DDR: Uwe Raab, Uwe Ampler sowie Olaf Ludwig. Auch bei Weltmeisterschaften, Olympia und anderen internationalen Rennen bewiesen diese Fahrer ihre sportlichen Qualitäten und errangen Siege.

Mit Ausnahme der Jahre 1984 und 1985 gingen alle Gesamtsiege zwischen 1982 und 1989 an Fahrer aus der DDR. Ähnlich stark schnitten die ostdeutschen Teilnehmer in der Mannschaftswertung und unter den einzelnen Trikotgewinnen ab. Im Prinzip bildeten die 1980er Jahre ein fortwährendes Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Sowjetunion und DDR.

Nicht immer ging es zwischen Sowjets und Ostdeutschen hinter den Kulissen aber so friedlich zu, wie es der Titel des Rennens eigentlich suggerierte. 1961 beispielsweise behinderte Juri Melichow angeblich Manfred Weißleder mit unfairen Mitteln, woraufhin dieser ihm eins mit der Luftpumpe übergezogen haben soll.

Legendär sind auch die Sprintduelle zwischen Olaf Ludwig und seinem sowjetischen Konkurrenten Dschamolidin Abduschaparow. Beide Ausnahmetalente respektierten sich gegenseitig und waren einander ebenbürtig. Abduschaparow pflegte allerdings einen häufig kritisierten Fahrstil. Mit ausladenden Bewegungen und großen Schwankungsbreiten brachte er neben ihm befindliche Fahrer nicht selten in Bedrängnis oder sogar zum Sturz. 1989 wurde der Usbeke wegen Dopings nach der siebenten Etappe ausgeschlossen. Ungefähr gleichzeitig wurde über einen Etappensieg von Olaf Ludwig gestritten, weil dieser schon vor der Ziellinie die Arme zum Jubel vom Lenker genommen haben soll…

Olaf Ludwig erreichte bei der Friedensfahrt 1989 die Trikots für den vielseitigsten und den aktivsten Fahrer. Für einen Mann mit seinen Fähigkeiten vermutlich eher eine durchwachsene Bilanz. Ein bisschen ging dabei unter, dass Ludwig gleichzeitig zum unumstrittenen Rekordhalter unter den Friedensfahrt-Etappensiegern avanciert war. In ihren späteren Profikarrieren begegneten sich Olaf Ludwig und Dschamolidin Abduschaparow übrigens erneut und wurden schließlich Freunde. Sportsgeist ist eben stärker als Ideologie…

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