Die ganze Stadt ist zerstört

(Bild: Sammlung Michael A. Wahle/ Dr. Ingeborg Schlömer)

Kindheit in der Nachkriegszeit - Fotografien 1945-1955

Das Probstei Museum in Schönberg hat bis zum 31. Oktober täglich von 14 bis 17 Uhr geöffnet, an allen Tagen außer Montags. Danach ist nur noch am Wochenende geöffnet. Noch bis zum 26. November 2017 kann man diese wunderbare Ausstellung besuchen. Sie zeigt beeindruckende Fotos von Kindern und Jugendlichen, die während der Nachkriegszeit von den Alliierten und den Pressefotografen aufgenommen werden, sie sollen dokumentieren. Die ausgewählten Bilder stammen aus der Sammlung von Michael Andreas Wahle, der sie aus amerikanischen Archiven zusammenträgt. Die Bilder zeigen den mühsamen Weg aus großer Not nach dem Krieg bis hin zu ersten Verbesserungen. Auch der Wiederaufbau und der beginnende Wohlstand ist zu beobachten. Hier zeigen die Aufnahmen die Kinder als schuldlose Opfer der Situation nach dem Krieg. Lange Jahre ist diese Sichtweise überlagert vom Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Das unter den Deutschen auch viele Opfer dieses Regimes sind und unter ihnen besonders die Kinder, das kann man erst Jahrzehnte nach dem Krieg anerkennen. "Mehr als 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges hat sich die Generation, die damals im Kindesalter war, zu Wort gemeldet. An diesen Kindern, die angeblich nichts mitbekommen haben sollen, weil sie noch zu klein gewesen seien, hat der Krieg deutliche Spuren und seelische Verletzungen hinterlassen, die bei diesen Menschen erst jetzt im Alter Probleme machen." so der Text auf der inzwischen eingerichteten Internet-Seite der Kriegskinder

Nichts zu essen, aber viele hungrige Menschen

(Bild: Sammlung Michael A. Wahle/ Dr. Ingeborg Schlömer)

Die Sicht der Siegermächte

Die Sammlung der Fotos zeigt eine ganz besondere Sicht auf die Menschen, nämlich die Sicht der Siegermächte. Diese amerikanischen Berichterstatter sind Freund, Helfer beim Wiederaufbau und vor allem bei der anstehenden und dringend notwendigen Demokratisierung. Abgerundet wird die Ausstellung durch einzelne Erinnerungsobjekte, Fotos und Zitate von verschiedenen Zeitzeugen aus der Probstei, die eine persönliche Sicht auf diese Zeit beschreiben. Vieles wird den Besuchern, wenn sie denn etwas älter sind, vertraut sein. So zum Beispiel der viereckige Hocker, unter dessen Sitzfläche sich, wenn sie hochgeklappt wird, eine Emaille-Waschschüssel befindet. Diese vielen Erkundungen vor Ort entstehen im Rahmen einer Bachelorarbeit von Mareike Runge, die 2016/17 im Probstei Museum als Praktikantin tätig ist. Sie studiert Europäische Ethnologie an der Christian Albrechts Universität Kiel und versteht die Ausstellung als Beitrag zur Anregung für eine wichtige Erinnerungskultur. Denn die Zeiten nach 1945 sind wirklich nicht einfach. Nicht nur die Kinder leiden, auch die Erwachsenen tun sich schwer. Viele Soldaten, die aus dem Krieg zurückkehren, haben neben den körperlichen auch psychische Leiden, über die in diesen Jahren nicht oder kaum geredet wird. Sie können sich an den Frieden und ihre veränderte Rolle in der Familie mit den starken Frauen nicht gewöhnen. So kommt es nach 1945 zur großen Scheidungswelle, die bis 1950 anhält.

Die Nachkriegsgesellschaft ist eine reine Frauengesellschaft

Die Nachkriegsgesellschaft ist eine Frauengesellschaft.1945 leben sieben Millionen mehr Frauen als Männer in Deutschland. Es gibt 3,7 Millionen alleinstehende Frauen zwischen 20 und 40 Jahren, die keine Aussicht haben, einen männlichen Partner zu finden. Männermangel ist an der Tagesordnung und verwitwete oder nach Scheidung auf sich alleine gestellte Frauen sind zahlreich. Für sie ist das Arbeiten eine wirtschaftliche Notwendigkeit, um ihre Familienangehörigen zu versorgen. Für das Rollenbild in den Familien ist es entscheidend, dass diese Millionen von Frauen sich selbst und ihre Kinder ohne männlichen "Ernährer" und Familienvorstand durchbringen müssen. Viele wollen dann niemanden mehr an ihrer Seite haben, der sich als "Familienoberhaupt" versteht, das alles alleine entscheidet. Diese Frauen haben es gelernt, für sich und ihre Kinder selber verantwortlich zu sein. 

Zum Schweigen erzogen worden

Die Kinder der Nachkriegszeit müssen lernen, tapfer zu sein, Trennungen zu bewältigen, Hunger zu ertragen, Einsamkeit und Verlustängste für sich zu behalten und über das alles zu schweigen, denn Gefühle sind in diesen Jahren nur hinderlich beim Wiederaufbau. Vor allem die Männer dieser Jahre lernen, dass ein "echter Junge nicht weint". So kann eine ganze Generation die schrecklichen Erlebnisse nur schwer verarbeiten. Die Wissenschaft rechnet später die "Kriegskinder" von den Jahrgängen 1928 bis 1950. Also auch die mit der "Gnade der späten Geburt" haben deutlich viele Schäden aus dieser Zeit mitbekommen. Hier haben sowohl die Eltern als auch die Kinder mit ihren unterschiedlichen Traumata zu kämpfen. Viele schleppen ihr Leben lang diese belastenden dunklen Erinnerungen mit sich herum. Viele stellen sich den verdrängten Gefühlen gezwungenermaßen erst im hohen Alter. Psychologen halten es für möglich, dass Probleme wie Entscheidungsunfähigkeit, Unfähigkeit zu emotionalen Bindungen, Depressionen, emotionale Versteinerung und ähnliches aus dieser Zeit resultieren und dass diese Probleme in einigen Familien sogar über die Generationen hinweg weitergegeben werden. Einige Menschen schreiben über diese Zeit. Und wenn es nur im Tagebuch ist. Weitergehende Lektüre: "Marjellchen" von Gabriele Schreib M.A. 

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