Die Hitler-Tagebücher sind entdeckt

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Meldung, dass der "Stern" für den 25. April 1983 die internationale Presse zu einer riesiges Aufsehen verursachenden Pressekonferenz in sein Stammhaus eingeladen hatte, weil er Hitlers 62-bändige Tagebücher entdeckt, in seinen Besitz gebracht und der staunenden Weltöffentlichkeit präsentieren konnte. Der Einladung folgten 27 Fernsehteams und rund 200 Reporter. Mit einen "V"-Victoryzeichen hielt Stern-Reporter Gerd Heidemann einige Bände der Tagebücher hoch und verwies auf die restlichen vor ihm liegenden Exemplare der insgesamt 62 Bände.

Der "Stern" boomt...

Ab dem 28. April veröffentlichte der "Stern" Auszüge aus den Tagebüchern unter dem Titel "Hitlers Tagebücher entdeckt". Die Veröffentlichung dieser Weltsensation brachte dem Presseorgan trotz einer Preiserhöhung für das Magazin eine Auflagensteigerung von 400.000 Exemplaren pro Ausgabe. In seinen einführenden Worten zu den veröffentlichten Auszügen bemerkte der damalige Chefredakteur Peter Koch, die Geschichte des "Dritten Reiches" müsse aufgrund des Inhalts der Tagebücher in großen Teilen neu geschrieben werden.

...und muss seinen Fehler ausbaden

Die Tagebücher waren inhaltlich und optisch so geschickt aufbereitet, dass sich selbst seriöse Experten wie der britische Historiker Hugh Trevor-Roper zwei Wochen lang täuschen ließen. Aber am 6. Mai 1983 wurden die Tagebücher Hitlers als Fälschungen entlarvt; nicht wegen des Inhalts, sondern wegen des Papiers, auf dem die Tagebücher geschrieben waren. Eine chemische Papieranalyse des Bundesarchivs in Koblenz brachte die Fälschung ans Licht. Sie ergab, dass alle 62 Bände gefälscht waren, weil das Papier erst nach Ende des zweiten Weltkriegs hergestellt worden war. Nach der Entlarvung der Fälschung musste die Chefredaktion des Magazins "Stern" zurücktreten, und die Auflage des Magazins sank für einige Monate sehr stark. Der Verlag musste sich öffentlich entschuldigen. Heidemann wurde entlassen.

Wer war Täter, wer war Opfer der Fälschung?

Über offen bekennende Altnazis kam Kujau in Kontakt mit dem Hamburger Reporter Gerd Heidemann. Über diesen Kontakt verkaufte Kujau 62 Bände sogenannter Hitler-Tagebücher für 9,3 Millionen DM an den "Stern".

Konrad Kujau und Gerd Heidemann mussten sich später in Hamburg vor Gericht verantworten. Kujau wurde nach seinem Geständnis, die Bücher selbst geschrieben zu haben, wegen Betruges und Urkundenfälschung zu vier Jahren und 6 Monaten Haft verurteilt. Bei der Bemessung des Strafrahmens wurde mildernd für Kujau ein erhebliches Mitverschulden von Redaktion und Verlag festgestellt. Wegen einer Krebserkrankung wurde Kujau nach drei Jahren Haft entlassen.

Der einstige Starreporter Heidemann mit einem Monatsgehalt von über 10.000 DM in den 80er-Jahren, der gegenüber seinem Arbeitgeber seine Quellen nicht genannt hatte, erhielt vier Jahre und acht Monate Haft, da das Gericht zu der Überzeugung gelangt war, er habe einen Teil des Kaufpreises unterschlagen. Der "Stern" hatte Heidemann insgesamt 9,3 Millionen DM überantwortet. Kujau hatte stets beteuert, er habe nur einen Teil des Geldes erhalten.

Gerd Heidemann sieht sich noch heute als Sündenbock für den Medienskandal.

Kujau nutzte seinen "Ruhm"

Seinen "Ruhm" aus den vermeintlichen Hitler-Tagebüchern nutzte Kujau später, um in seinem eigenen Atelier "original Kujau-Fälschungen" zu verkaufen. Nach der Barschel-Affäre in Schleswig-Holstein trat Kujau als Fälschungs-Experte bei "Spiegel-TV" auf. Später kandidierte Kujau anläßlich der Bundestagswahl 1994 als Abgeordneter für die Autofahrerpartei. 1996 kandidierte Kujau für die Wahl zum Oberbürgermeister der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart und erhielt 901 Stimmen. Bis zu seinem Tod im Jahre 2000 lebte Konrad Kujau von den im eigenen Atelier hergestellten offiziellen Konrad-Kujau-Fälschungen.

Fehler bei der Fälschung und Veröffentlichung

Die Gier nach Geld und Ruhm war Wegbereiter des größten Medienskandals der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Suche nach einer journalistischen Sensation ließ die Presse über handwerkliche Fehler bei der Fälschung und vor allen Dingen bei der Präsentation der Fälschungen hinwegsehen.

Kujau hatte in seinen Tagebüchern Wendungen und Formulierungen verwendet, die so gar nicht zu dem Bild Adolf Hitlers und seinem Wortschatz passten. Rudolf Augstein, damals Chef des Konkurrenz-Blattes "Der Spiegel", äußerte schon nach dem Erscheinen der ersten Passagen, dass es sich um Fälschungen handeln müsse.

Aus Sensationslust wurden dieTagebücher vorab veröffentlicht, obwohl das Bundeskriminalamt und die Bundesanstalt für Materialprüfung im Begriff waren, die Echtheit und das Alter des Papiers, auf dem die angeblichen Tagebücher geschrieben wurden, zu prüfen. Am 6. Mai stand fest, dass das Papier erst nach dem 2. Weltkrieg hergestellt worden war. Am nächsten Tag wurde Kujau, der stets unter dem Namen "Fischer" gehandelt hatte, enttarnt.

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