Veränderungen der schwulen Szene in Deutschland

Es gibt die alte Weisheit "panta rhei" (griechisch: πάντα ῥεῖ), was soviel heißt wie "alles fließt" oder in die heutige Sprache übersetzt "alles verändert sich, ist im Wandel". Dass Veränderung stattfindet, sich alte Sicht- und Verhaltensweisen auflösen und neue gebildet werden, muss auch die schwule Szene zur Kenntnis nehmen.

Entsolidarisierung der schwulen Szene schreitet voran

Eine bewundernswerte Eigenschaft des Menschen ist es, dass er sich in Notzeiten mit anderen zusammentut und gegen die Not kämpft. Dieses Verhalten haben auch schwule Männer an den Tag gelegt, als es vor über vierzig Jahren darum ging, sich gegen Diskriminierung und Intoleranz zu wehren und für Gleichberechtigung und Akzeptanz der schwulen Lebens- und Liebesform Stellung zu beziehen. Aus diesem Kampf um gesellschaftliche Akzeptanz ist die schwule Szene gestärkt hervorgegangen, konnte viele Erfolge erzielen und die Situation für schwule Männer dadurch grundlegend verbessern. Heute können Schwule zwar nicht immer, aber doch viel öfter ohne Furcht vor Repressalien leben, haben in vielen Bereichen fast die gleichen Rechte, wie Heterosexuelle und die Zeiten, in denen sie sich aus Angst vor Anfeindungen verstecken mussten, sind vorbei. Diese neue Situation trägt aber auch dazu bei, dass viele Schwule es nicht mehr als notwendig erachten, sich weiterhin für die Anliegen schwuler Männer zu engagieren. Dies führt zu einer Entsolidarisierung innerhalb der schwulen Szene und zum Auseinanderbrechen alter Strukturen.

Kommunikationswege verändern sich

Waren früher die schwulen Kneipen und Bars die Kontaktbörse schlechthin, so sind es heute die zahlreichen Internetplattformen für Schwule (z.B. gayromeo, gay-parship, gay-chat). Man(n) lernt sich nicht mehr an der Theke kennen oder vereinbart Dates, sondern sitzt zuhause am Computer und chattet miteinander. Als Folge dieser neuen Kommunikationswege müssen immer mehr schwule Bars und Kneipen schließen und die klassischen, schwulen "Wohnzimmerkneipen" mit ihrer so heimeligen Atmosphäre gehen verloren. Auch das Kaufverhalten hat sich mit der Entwicklung des Internet stark verändert. Die klassischen schwulen Läden (Buchläden, Mode, Lifestyle) müssen Umsatzeinbußen hinnehmen oder gar schließen, weil viele Schwule zunehmend den Weg ins Geschäft durch das bequeme Shoppen in Online-Stores ersetzen. Durch diese neue Entwicklung sind inzwischen ganze Stadtviertel, die früher als schwul oder schwul-lesbisch galten, in ihrer Existenz bedroht. Ein Beispiel hierfür ist das Münchner Glockenbachviertel, das sich inzwischen aufgrund dieser Veränderungen und einer fortschreitenden Gentrifizierung vom schwul-lesbischen Viertel in ein typisches In-Viertel verwandelt hat. Immer öfter ist dort zu hören, dass das Glockenbachviertel schön wäre, wenn die Schwulen nicht wären.

Verändertes Ausgehverhalten bei Schwulen

Dass Schwule gerne Party machen und sich in Diskotheken zum Feiern treffen, ist kein Geheimnis. Aber auch hier hat sich einiges gewandelt. Früher wurden schwule Bars, Kneipen und Diskotheken als Schutzraum wahrgenommen, in denen man mit Gleichgesinnten angstfrei feiern und flirten konnte. Heute gibt es zwei Tendenzen, wenn es um das Ausgehverhalten schwuler Männer geht. Einerseits erleben schwule Party-Events einen echten Aufschwung, andererseits gehen vor allem junge Schwule aufgrund der veränderten, gesellschaftlichen Gegebenheiten sehr viel lockerer mit ihrem Schwulsein um und wollen bzw. brauchen sich nicht mehr verstecken. Darum treffen sie sich nicht selten in (eigentlich) heterosexuellen Clubs, Bars und Diskotheken, um einen schönen Abend mit Freunden zu verbringen. In die schwule Szene gehen sie nur noch, wenn solche speziellen Events anstehen.

Die schwule Szene muss auf Veränderungen reagieren

Es wäre sicher ein Fehler, auf die Veränderungen nicht zu reagieren und nur die alten Zeiten zu beweinen. Vielmehr sollten die Veränderungen wahrgenommen, analysiert als Chance gesehen werden. Ein altes Sprichwort sagt, dass dort, wo eine Tür zugeht, sich eine andere öffnet. Deshalb wird es eine Aufgabe der schwulen Szene sein, sich neu zu positionieren, die heutigen Bedürfnisse schwuler Männer aufzugreifen und daraus Angebote zu entwickeln. Auf diese Weise bleibt die schwule Szene am Puls der Zeit und die Schwulen werden es ihr danken.

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