Frühere Generationen haben um Sichtbarkeit gekämpft

Seit den Unruhen in der Christopher Street, und vermutlich schon lange vorher, haben Homosexuelle gegen Diskriminierung, Verfolgung und Kriminalisierung gekämpft. Es hat viele kleine Schritte gebraucht, um auf die eigene Situation aufmerksam zu machen, es mussten Niederlagen eingesteckt werden und so mancher Homo-Aktivist hat den langen Weg bis zur gesellschaftlichen Akzeptanz nicht leichtfüßig beschritten, sondern ihn im wahrsten Sinne durchlitten. Ohne die vielen engagierten Männer und Frauen wäre die weltweite schwul-lesbische Gemeinde heute nicht dort, wo sie ist. Das an die heutige Generation weitergereichte Erbe muss bewahrt und vor allem durch immer neues Engagement gewürdigt werden.

Schwulsein darf nicht Anpassung bedeuten

Inzwischen hat sich die Gesellschaft verändert, die Menschen sind offener und auch toleranter geworden. In vielen Bereichen konnte die LGBT-Gemeinde wertvolle Erfolge erzielen. Es gibt das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, die eingetragene Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare mit dem seit 10 Jahren existierenden Lebenspartnerschaftsgesetz und die Gleichstellung in steuerlichen Angelegenheiten. Homosexuelle können sich zudem heute sehr viel freier in der Öffentlichkeit bewegen, sind bei vielen Vermietern gern gesehen und an manchem Arbeitsplatz wird Homosexualität von den Kollegen als völlig normal angesehen. Man könnte also tatsächlich konstatieren, dass Schwule es in die Mitte der Gesellschaft geschafft haben. Dies ist aber eine oberflächliche Sichtweise, denn so schön ist die Mitte der Gesellschaft bei genauerem Hinsehen doch nicht. Um von der Gesellschaft toleriert zu werden, besteht eben in vielen Bereichen immer noch die Notwendigkeit, die eigene Homosexualität nicht selbstbewusst nach außen zu tragen, sondern im großen Strom still und leise mitzuschwimmen. Schürft man nämlich tiefer, so wird mehr als deutlich, dass viele Unternehmen Wert auf Diskretion legen oder sich hinter vorgehaltener Hand immer noch homophob präsentieren. Auch gibt es immer noch Vermieter, denen schwule Mietinteressenten am besten verschweigen, dass sie homosexuell sind, weil sonst die schon sicher geglaubte Wohnung urplötzlich vergeben ist. Man könnte hier noch zahlreiche Beispiele anführen, aber schon diese beiden machen deutlich, dass man sich wieder verstecken muss, will man in der Mitte der Gesellschaft bleiben.

Schwulsein heißt Profil zeigen

Die Frage stellt sich, ob der Preis für das Ankommen in der Mitte der Gesellschaft, nämlich die Unsichtbarkeit, das Abrutschen in die Anonymität und die damit verbundene Selbstaufgabe nicht zu hoch ist. Jeder Schwule hat doch von früheren Generationen den Auftrag erhalten, weiter für die Rechte von Homosexuellen einzutreten. Deshalb kann es nicht Ziel sein, der Toleranz wegen einfach in der Gesellschaft aufzugehen, sich eine rein private Welt zu schaffen und ansonsten nichts zu tun. Schwule Männer hatten der Gesellschaft schon immer, gerade aufgrund ihrer Homosexualität, etwas zu geben. Immerhin konnten viele große Dichter und Denker erst vor dem Hintergrund ihrer sexuellen Orientierung unvergängliche Werke schaffen. Dabei haben die meisten von ihnen unangepasst gelebt, sind mit ihrem Schwulsein in die Öffentlichkeit gegangen oder haben sich zumindest nicht versteckt und haben so Profil und Größe gezeigt, selbst wenn sie dadurch Nachteile erleiden mussten.

Schwule müssen als Schwule sichtbar bleiben

Viele Schwule haben heute mit dem Kampf früherer Generationen abgeschlossen und wollen nicht mehr Opfer der Gesellschaft sein. Das ist durchaus verständlich. Dennoch ist es wichtig, dass Schwule sich auch heute als Schwule zeigen, mit all ihren Vorzügen, Ängsten und Hoffnungen. Was geschieht, wenn Schwule nicht mehr als Gruppe wahrgenommen werden, mag folgendes Beispiel zeigen. Ein Szene-Verein stellte einen Antrag auf Fördergelder bei einer großen öffentlich-rechtlichen Stiftung und erhielt einen negativen Bescheid mit der Begründung, Schwule seinen nicht mehr förderfähig, da sie keine Randgruppe mehr seien. Hier hat das Ankommen in der Mitte der Gesellschaft in der Tat zu einem mehr als negativen Erfolg geführt. Wo man nicht mehr sichtbar ist und auf seine Nöte und Anliegen aufmerksam macht, da vergisst einen die Gesellschaft früher oder später, so dass man von vorne beginnen muss.

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