Die Ukraine "fordert" Waffenlieferungen

Angesichts des Aufmarschs russischer Truppen an ihrer Grenze fordert die Ukraine vom Westen - wohlgemerkt: sie fordert - die Lieferung von "Defensivwaffen" zur Selbstverteidigung. Nun muss man der Ukraine zugestehen, dass sie mit Russland, vor allem wenn man an die Annexion der Krim durch Russland denkt, "trübe Erfahrungen" gemacht hat, was den harschen Ton rechtfertigen könnte. Es stellt sich aber das Problem, dass die meisten Waffen nicht nur zur Verteidigung, sondern auch zum Angriff genutzt werden können.

Hinzu kommt die Frage nach der Sinnhaftigkeit. So wies Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn daraufhin, dass die Lieferung von Defensivwaffen das große russische Übergewicht im Falle eines Angriffs nicht aufwiegen könne. Man müsste also – diese Schlussfolgerung ziehe ich daraus - in großer Zahl Angriffswaffen liefern und letztlich sogar, "um völlige Waffengleichheit herzustellen", Atomwaffen. Aber das wird sicherlich niemand wollen, und ich hoffe, auch niemand in der Ukraine.

Die Affäre um Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach

Für große Aufregung haben Äußerungen des Inspekteurs der Deutschen Marine, Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach zum Ukraine-Konflikt gesorgt. So hatte Schönbach bei einem Besuch in Indien Befürchtungen, Russland wolle in die Ukraine einmarschieren, um sich ukrainisches Territorium anzueignen, als "Nonsens" bezeichnet und Verständnis für den russischen Präsidenten Wladimir Putin gezeigt. Putin wolle vor allem Respekt, und diesen Respekt habe er auch verdient. Und Schönbach hatte für ein Bündnis des Westens mit Putin gegen China plädiert. Für die Ukraine hatte er noch die Botschaft, sie müsse sich mit dem Verlust der Halbinsel Krim abfinden. Ferner würde die Ukraine auch nicht den Mitgliedskriterien für die Nato entsprechen.

Nach diesen Äußerungen musste Schönbach als Inspekteur der Marine "seinen Hut nehmen". Während allerdings in Deutschland die Kritik an Schönbachs Aussagen in Duktus und Ton der Sachlage angemessen und nicht überzogen war, sprach Andrij Melnyk, der ukrainische Botschafter in Deutschland, von einem Scherbenhaufen und sah die internationale Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit Deutschlands massiv in Frage gestellt. Die Aussagen Schönbachs hätten "die gesamte ukrainische Öffentlichkeit in einen tiefen Schock versetzt".

Melnyk setzte dann noch einen drauf, indem er einen Vergleich zur Zeit des Nationalsozialismus zog und betonte, die Ukrainer fühlten sich bei der herablassenden Attitüde Schönbachs unbewusst auch an die Schrecken der Nazi-Besatzung erinnert, als die Ukrainer als Untermenschen behandelt worden seien. Er sprach außerdem von einer "zynischen Verharmlosung der völkerrechtswidrigen Krim-Besetzung" und einem mit Hochnäsigkeit vorgetragenen Bezweifeln der Souveränität der Ukraine. Ferner waren die Äußerungen Schönbachs zu Putin und China für ihn Ausdruck von deutscher Arroganz und Größenwahn. Neben dieser vernichtenden Kritik zeigte sich Melnyk auch unzufrieden damit, dass Schönbach "nur" entlassen worden war.

Was läuft hier schief?

Am meisten beunruhigt mich bei der Ukraine-Krise die Rückkehr eines Denkens in den Kategorien des Kalten Krieges mit seinem ausgeprägten Freund-Feind-Denken. Das heißt: Die Welt ist wieder eingeteilt in zwei Lager, wobei dem jeweils eigenen Lager die "Guten" und dem anderen Lager die "Bösen" angehören. Dazu gehört, dass man allem, was aus dem eigenen Lager kommt, unkritisch und wohlwollend gegenübersteht, während alles, was aus dem gegnerischen Lager kommt, gleich auf heftige Kritik und Ablehnung stößt. Alles ist mit anderen Worten schwarz oder weiß, für differenzierte Betrachtungen ist kein Platz. Dass der Gegner mit seiner Einschätzung der Lage möglicherweise recht haben könnte, gilt als undenkbar.

Deshalb ist es auch verpönt, dass jemand aus dem eigenen Lager Verständnis für die Vorstellungen zeigt, die im gegnerischen Lager vorherrschen – diese Erfahrung musste Admiral Schönbach machen. Wahrscheinlich würden ihn etliche Zeitgenossen sogar als "Verräter" bezeichnen. Für so ein Denken ist auch bezeichnend, dass in den Verhandlungen, die bisher zwischen den beiden Lagern geführt worden sind, um die bestehenden Differenzen auszuräumen, konsequent aneinander vorbeigeredet wurde und kein wirklicher Dialog stattgefunden hat, denn dieser würde ja ein gegenseitiges Geben und Nehmen bedeuten, d.h., die Fähigkeit zum Kompromiss. Stattdessen prallten hier nur Maximalpositionen aufeinander.

Was will Putin?

Ein Ausweg aus der verfahrenen Situation, die wir in der Ukraine-Krise erleben, könnte meines Erachtens darin bestehen, dass man versucht, nachzuvollziehen, was den russischen Präsidenten Putin umtreibt, warum er also diese Drohkulisse aufgebaut hat. Dabei bin ich mir bewusst, dass "Putinversteher" längst zu einem Schimpfwort geworden ist, so als ob man denjenigen, die sich um eine Aufklärung über seine Beweggründe bemühen, unterstellt, sie würden damit sein Handeln billigen oder zumindest herunterspielen. Hier handelt es sich also um eine – unzulässige – Gleichsetzung von "Verstehen" und "Gut heißen".

Ich glaube, dass Putin gerade versucht, die Verluste, die Russland seiner Meinung nach als "Verlierer" des Kalten Krieges erlitten hat, wettzumachen oder zumindest in Grenzen zu halten. Er will mit anderen Worten von der Weltmacht USA wieder als gleichrangiger Partner und nicht als "Regionalmacht" - zu der der amerikanische Präsident Barack Obama Russland degradiert hatte – wahrgenommen und respektiert werden. Insofern ist meines Erachtens die Einschätzung von Admiral Schönbach richtig. Deshalb wird Putin auch nicht seine Truppen wieder von der Grenze zur Ukraine zurückziehen, ohne eine Gegenleistung dafür zu erhalten. Er wird nicht einseitig Schritte zur Deeskalation einleiten, wie es die NATO von ihm verlangt.

Dabei ist natürlich für die NATO sehr problematisch, dass Putin den Verzicht der Ukraine auf eine Mitgliedschaft in der NATO fordert. Diesbezüglich wird ja argumentiert, dass jedes Land frei wählen kann, welchem Bündnis es beitritt. Vielleicht könnte man - als Ausweg aus dieser Lage - der Ukraine zunächst den Status eines neutralen Landes anbieten, in der Hoffnung, dass es in Russland auch einmal eine Zeit nach Putin geben wird. Und gibt es dazu überhaupt eine Alternative? Manchmal scheint es fast so, als wollte man Putin so sehr provozieren, dass er tatsächlich seine Soldaten in die Ukraine einmarschieren lässt, damit es endlich "klare Fronten" gibt und man die Sanktionen, die man ihm androht, verhängen kann. Das wäre allerdings meiner Meinung nach ein gefährliches Spiel, da Russland nun mal Atommacht ist und man nicht weiß, wie Putin auf weitere Demütigungen, auch wenn er sie selbst herbeigeführt hat, reagieren wird.

Eine Rückkehr zur Entspannungspolitik?

Vielleicht sollte sich die Nato in ihrem Verhalten gegenüber Russland auch auf eine politische Strategie zurückbesinnen, die in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts vor allem vom damaligen Bundeskanzler Willi Brandt konzipiert und in die Tat umgesetzt worden ist und die als "Entspannungspolitik" bzw. "Ost-Politik" in die Geschichte eingegangen ist.

So warb – im Einklang mit diesem Politikansatz - der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich in einem Interview mit der "taz" um Verständnis für die Angst Russlands vor einer "Einkreisung" durch die NATO, und der frühere SPD-Parteivize Ralf Stegner, der ehemalige Brandenburger Ministerpräsident Matthias Platzeck und Mecklenburg-Vorpommerns Landeschefin Manuela Schwesig sehen Sanktionen kritisch. Allerdings heißt es dazu aus Kreisen der Koalitionspartner der SPD ein wenig spöttisch, die ältere Generation der SPD sei immer noch "beseelt" von der Ost-Politik Willy Brandts.

Mal davon abgesehen, dass man Manuela Schwesig sicherlich nicht zu dieser älteren Generation zählen kann, wird hier die Ost-Politik Willy Brandts als ein Politikansatz betrachtet, der nicht in die heutige Zeit passt. Damit wird man aber der Bedeutung der Entspannungspolitik meines Erachtens in keinster Weise gerecht, denn diese Politik hat mit ihrem Prinzip des "Wandels durch Annäherung" bekanntlich zum Ende des Kalten Krieges, zur Auflösung des Warschauer Pakts und zur Wiedervereinigung Deutschlands geführt. Sie war deshalb meiner Meinung nach die effektivste politische Strategie, die es je gegeben hat und die auch heute noch die Politik inspirieren sollte.

Man wollte ja ursprünglich diese Strategie auch noch weiterführen und eine gesamteuropäische Friedensordnung unter Einbeziehung der USA und Russlands schaffen. Dass diese Friedensordnung aber faktisch nicht existiert, weil man Russland offensichtlich dabei "vergessen hat", zeigen die zunehmenden Spannungen zwischen Russland und der NATO, die es in den letzten Jahren gegeben hat und die nun in der Ukraine-Krise eskaliert sind, auch wenn die Aufrechterhaltung der NATO und die Aufnahme der osteuropäischen Staaten in dieses Bündnis heute als eine solche Friedensordnung "verkauft wird". Derzeit kann man nur hoffen, dass alle relevanten politischen Akteure in der Ukraine-Krise einen "kühlen Kopf behalten".

Quellennachweis:

https://web.de/magazine/politik/ukraine-krise/marine-chef-schoenbach-tritt-umstrittenen-putin-aussagen-zurueck-36537676

https://web.de/magazine/politik/ukraine-haelt-ruecktritt-deutschen-marine-chefs-unzureichend-36538206

https://web.de/magazine/politik/kritik-fehlender-geschlossenheit-deutschlands-ukraine-konflikt-36540796

 Bild: pixabay.com

 

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