Ehe für alle -- ein Stück mehr Normalität
Was heute im Bundestag beschlossen wurde, wird in der Praxis zu mehr Normalität führen und einen Anachronismus aufheben, der schon zu lange bestand.Liebe darf nicht reglementiert werden
Vorab, ich bin heterosexuell, lebe in einer glücklichen Partnerschaft mit einer Frau und bin von dem neuen Gesetz persönlich nicht betroffen. Und doch applaudiere ich und finde es überfällig.
Mann und Frau dürfen heiraten, Mann und Mann sowie Frau und Frau nicht, von Transgendern ganz zu schweigen. So war die Gesetzeslage bis heute. Doch wo blieb hier die Gleichheit vor dem Gesetz? Wer bestimmt, was erlaubt ist, und wer hat das Recht, andere Tatsachen zu verurteilen und gar gesetzlich ins Aus zu stellen? Ist eine Liebe zweier Männer oder zweier Frauen weniger wert als die klassische Liebe von Frau und Mann?
Was heute im Deutschen Bundestag beschlossen wurde, schafft lediglich mehr Normalität in Deutschland. Es beseitigt eine nicht nur rechtliche Ungleichbehandlung. Es stellt per Gesetz gleichgeschlechtliche Liebe der heterosexuellen Liebe gleich. Per Gesetz, im Alltag wird dieser Prozess der Normalisierung noch lange dauern.
Doch dieses Gesetz ist notwendig, um Ungleichbehandlung zu beenden. Denn Liebe darf nicht reglementiert werden. Und wer sich liebt, sollte auch heiraten dürfen. Der Staat als Hüter der Moral? Und es sei die Frage gestattet, wessen und welcher Moral? Endlich wahrt der Staat in dieser Frage die gebotene und notwendige Neutralität.
Warum die klassische Ehe weder besser noch schlechter ist
Die Ehe von Frau und Mann stand bisher unter dem besonderen Schutz des Staates. Und wofür braucht es dann bis heute Frauenhäuser, in denen Frauen Schutz vor ihren gewalttätigen Männern finden?
Schon diese Frage zeigt, wie realitätsfremd die bisherige Regelung war. Denn der besondere Schutz des Staates existierte nur auf dem Papier.
Als Coach kenne ich mehrere Beispiele, in denen der Mann seine wirtschaftliche, finanzielle und auch körperliche Macht ausspielt und seine Frau unterdrückt und erniedrigt. Denn wie eine Beziehung gestaltet wird, entscheiden und leben nur die beiden Partner. Und solange, nur mal als Beispiel, Frauen weniger verdienen als Männer, haben diese eine mächtige Waffe in der Hand, ihre Frauen in Abhängigkeit zu halten. Warum also soll die klassische Ehe besser sein als die Ehe zwischen zwei Frauen oder zwei Männern? Denn Liebe als ein universelles Gefühl ist unabhängig vom Geschlecht. Und die Ehe als eine staatlich bestätigte Verbindung zweier Menschen ist es nun, endlich, ebenso.
Neue Horizonte
Es wird spannend sein, zu erleben, wie viele gleichgeschlechtliche Paare diese neue Möglichkeit der Eheschließung nutzen.
Noch spannender wird die Frage, wie diese "neue Ehe" auf die gesellschaftliche Einstellungen wirken werden und welche neuen Probleme sich daraus ergeben. Wie hoch wird die Zahl der Gewalt in der Ehe bei diesen Paaren sein? Welche Konfliktpotentiale wird es in diesen Ehen geben? Werden sie vielleicht sogar als Vorbildfunktion, was den harmonischen und gelassenen Umgang der Partner miteinander betrifft, für die klassische Ehe dienen?
Auf jeden Fall, davon bin ich überzeugt, ist die Ehe für Alle eine Bereicherung für die Gesellschaft. Und die 75 Unionsabgeordneten, die dafür stimmten, haben meinen Respekt dafür, ihre eigene Meinung vertreten zu haben.
Der Autor ist Systemischer Coach mit der Spezialisierung auf Menschen mit Angsterkrankungen, Phobien und Panikattaken. Er lebt und arbeitet in Berlin.
http://www.angstberatung-berlin.de/
Fotos by: pixabay.com
Bildquelle:
Perlov Anton Dmitrievich
(Physiologie der Liebe)
Verlag rot & licht, Berlin
("Hautgeflüster" - eine Rezension)