Die Odyssee hat doch recht

Moderne Archäologen haben immer wieder verblüfft festgestellt, dass die Erzählungen Homers teilweise sehr akkurat sind. Auch das alte Pylos haben sie gefunden und einen Palast ausgegraben, etwa um 1300 v. Chr. gebaut, in dem der Herrscher dieses Landes regiert hat. Der Palast liegt an der Südwestküste des Peloponnes, in der Nähe des kleinen Städtchens Chora (Richtung Pylos, drei Kilometer), und wird folgerichtig der Palast Nestors genannt.

König Nestor opfert einen Stier

Nestor, King of Pylos and a former warrior in the Trojan War, sacrifice of bulls to Neptune (Bild: 6091283)

Homer zufolge landete Telemachos in der Bucht von Navarino, wo Nestor gerade 81 schwarze Stiere opferte. Aber Homer zufolge wurde Telemachos auch von Pallas Athene begleitet, die sich in seinen Lehrer Mentor (ja, er hieß so) verwandelt hatte. Ihr hatte er diese zufällige Begegnung zu verdanken.

Wahrscheinlicher ist es also, dass er sich die zwölf Kilometer vom Strand bis zu Nestors Palast bemühen musste, der auf einem Hügel inmitten der Ebene stand. 1939 wurde das Bauwerk entdeckt und von 1952 bis 66 ausgegraben.

Der Palast des Königs Nestor - Der Palast wird gefunden

Tholos-Grabstelle bei Nestors PlIn der Umgebung des Hügels Epano Englianos hatte Dr. Kourouniotis im frühen 20. Jahrhundert einige Gräber mit runden Kuppeln gefunden, die er für Königsgräber hielt. Folgerichtig hatte man begonnen, nach dem Palast zu suchen, in dem diese Könige vor ihrem Tod und folgendem Begräbnis gewohnt haben mussten.

Blick von Nestors Palast auf die Bucht von NavarinoDer Hügel Epano Englianos bietet eine wunderbare Aussicht in alle Richtungen, auch auf die Bucht von Navarino, wo Telemachos an Land gegangen war. Dr. Kourouniotis und Carl Blegen begannen Probegrabungen auf der Hügelkuppe mit ihrem flachen Plateau. Schon am ersten Tag fanden sie Steinwände, Reste von Fresken, Stuck, mykenische Töpferwaren und beschriebene Tontäfelchen.

Heute ist der gesamte Palast freigelegt. Die erhaltenen Mauern sind etwa einen Meter hoch und bieten einen guten Überblick über den Bauplan des ursprünglichen Gebäudes.

 

Telemachos in Nestors Palast

Der Prinz von Ithaka betrat den Palast König Nestors durch den einzigen Zugang an der Schmalseite; rechts von ihm ragte ein rechteckiger Turm auf, der allerdings - wie der ganze Palast - nur zwei Stockwerke gehabt hat und eher der guten Aussicht als der Verteidigung diente.

Blick in Nestors PalastVor diesem Eingang stand ein Wachposten, ein weiterer im Flur; denn links befanden sich die Büros der königlichen Schreiber. Zu denen muss manch einer Zutritt gehabt haben, der nicht unbedingt auch vor dem König willkommen war. Das betraf Telemachos nicht, also ging er weiter und stand als nächstes in einem Lichthof (Bild links), auf drei Seiten von Galerien umgeben. Vom Obergeschoss, in dem die königliche Familie wohnte, konnte man über eine Brüstung in diesen Lichthof hineinsehen.

Nebenraum mit WartebänkchenDie Besucher wurden nach links geführt in einen Warteraum, der neben einer tönernen Bank auch einen ebensolchen Tisch enthielt, beide ursprünglich verputzt und bemalt, ebenso wie die Wände sämtlicher Innenräume. Auf dem Tisch standen zwei große Amphoren. Der angrenzende Raum enthielt sehr viel einfaches Geschirr. Vermutlich bot man den Besuchern, die hier auf ihre Audienz warten mussten, Wasser oder Wein an.

Wenn man sich im Lichthof nicht nach links wandte, sondern nach rechts, dann gelangte man in das königliche Badezimmer. Im Palast des Königs Nestor steht heute noch die Badewanne aus Terrakotta mit der tönernen Trittstufe davor. Auch Telemachos bekam nach Aussage Homers ein Bad angeboten.

Nestors BadewanneDiese Badewanne ist zu kurz, um sich darin lang auszustrecken. Telemachos hat also darin gesessen, gehockt oder gekniet, während er mit Wasser übergossen wurde. Auch hier wurde ein tönerner Tisch mit zwei Amphoren gefunden, außerdem mehrere einfache Trinkschalen. In den Archiven des Palastes werden die Gehälter von Badefrauen aufgelistet.

Homer meint, Nestors jüngste Tochter, Polykaste die Schöne, habe Telemachos eigenhändig gebadet, mit duftendem Öl massiert und angekleidet. Eine Legende will es, dass die beiden später geheiratet haben und Homer ihr gemeinsamer Sohn ist. Diese Badewanne hat also literaturgeschichtliche Bedeutung!

 

Das Megaron - der Thronraum

Wenn Telemachos im Lichthof weiter geradeaus gegangen ist, dann ist er durch einen schmalen Vorraum direkt in Nestors Thronraum gelangt, das Megaron.

Herdstelle in Nestors MegaronDen Mittelpunkt dieses Raumes nahm nicht der Thron ein, sondern die zeremonielle Herdstelle (Foto; im Vordergrund die Basis einer Säule), neben der ein Tischchen stand für die Opfergaben an die Götter. Könige hatten in mykenischen Zeiten auch eine priesterliche Funktion.

Vier Säulen um diese Herdstelle herum trugen die Decke zum Obergeschoss, in dem wieder Geländer das Herabschauen möglich machten. Zwischen den Säulen blieb die Decke offen. Ein Dach mit tönernen Ofenrohren war erhöht; zum einen, um die Würde dieses Raumes zu betonen, zum anderen, um den Rauch abziehen zu lassen.

An der rechten Seite des Saales stand der Thron.  Die Wände waren mit Fresken bemalt, die unter anderem ein festliches Gelage zeigen, einen Lyraspieler, rechts und links des Throns je einen Greifen und einen Löwen. Der König von Pylos beherrschte ungefähr das Gebiet der heutigen griechischen Provinz Messenien.

 

Nestors goldener Becher

Nestor's Cup, Mycenae, circa 1550-1500 BC (Bild: 1343294)

Homer erzählt weiter, der König Nestor habe mit Telemachos Wein aus goldenen Bechern getrunken und ihn reichlich bewirtet.

Redselig ließ der alte König noch einmal seine Freundschaft mit Odysseus und den Aufbruch von Trojas Ufern Revue passieren. Auch die Morde Klytämnestras an ihrem Mann Agamemnon und der ihres Sohnes Orest an seiner Mutter, das Tratschthema der Zeit, blieben nicht unkommentiert.

Aber über den Verbleib von Telemachos' Vater wusste Nestor leider auch nicht mehr. König Menelaos von Sparta, meinte er, der könnte vielleicht Informationen haben.

Und so brach Telemachos am nächsten Morgen auf, verließ den Palast von König Nestor und reiste mit Nestors jüngstem Sohn - vermutlich über den Langada-Pass, eine der spektakulärsten Passstraßen Griechenlands - nach Sparta weiter.

Besichtigung mit dem Kindle
Zu Besuch bei König Nestor
Homers Odyssee
Odyssee

Das Ende einer Ära

Die Helden von Troja waren die letzten der mykenischen Kultur. Um 1200 vor Christus ist ihre Welt untergegangen. Man weiß nicht genau, was der Grund dafür war. Klimaveränderungen sind der Kandidat der Wahl, anhaltende Dürreperioden etwa, verbunden mit sozialen Aufständen. Es folgten vier finstere Jahrhunderte. Die griechische Kultur hat nie wieder die Leichtigkeit und unbeschwerte Lebensfreude zurückgewonnen, die sie in minoischen und mykenischen Zeiten gehabt hat.

Tönerne Gefäße aus Nestors Palast im Museum von ChoraNestors Palast ist um das Jahr 1200 herum abgebrannt. Da er zwischen den Mauern reichlich Fachwerkbalken enthielt und außerdem große Mengen Öl darin gelagert waren, sind nur die Grundmauern geblieben, die Töpferwaren, Teile der Wandmalereien. Sie sind heute ausgestellt im Museum von Chora. Wer den Palast besucht, sollte auch dieses Museum besuchen - und umgekehrt. Beide sind jeweils bis 15 Uhr geöffnet, Montags geschlossen.

Der sensationellste Fund aber, den man in Nestors Palast machte, sind etwa 2000 beschriebene Tontäfelchen.

Tontäfelchen aus Nestors Palast im Museum von ChoraDie Buchhalter Nestors benutzten für ihre Arbeit Ton, aber sie haben die Tafeln nicht gebrannt. Die waren nicht dazu bestimmt, aufbewahrt zu werden. Nach Ablauf des Jahres wurden sie weggeworfen; was für das neue Jahr wichtig war, wurde auf die Täfelchen des neuen Jahres übertragen. Durch das Feuer aber, das im Palast wütete, ist ein kompletter Jahrgang zufällig gebrannt worden und liefert reichlich Aufschlüsse über die mykenische Verwaltung und das Alltagsleben - wie beispielsweise die Badefrauen. Wir wissen jetzt, dass sie keine Sklavinnen waren, sondern Angestellte, und ihren Lohn in Gerste und Feigen ausbezahlt bekamen.

Autor seit 12 Jahren
26 Seiten
Laden ...
Fehler!