Ein Naturwunder als Symbol für die Unterdrückung eines Volkes
Alle Versuche der "weißen Eroberer", die australischen Ureinwohner, die Aborigines, und ihre Kultur auszulöschen, sind gescheitert am Überlebenswillen dieses viele Tausend Jahre alten Volkes.Die Vorfahren der Aborigines als erste Einwanderer
Neuen Studien zufolge erreichten die Vorfahren der Aborigines von Afrika aus über Südostasien, genauer: Indonesien, die Küste Australiens. Und zwar begann diese frühe menschliche Besiedlungswelle vor etwa 70.000 Jahren und ereignete sich somit schätzungsweise 24.000 Jahre früher als die Völkerwanderungen nach Europa und Ostasien. Australische Aborigines stammen daher direkt von dem Volk ab, das sich als erstes auf die Wanderschaft machte, dabei zunächst Südostasien erreichte und schließlich vor etwa 50.000 Jahren Australien. Das heißt: Im Gegensatz zu den Vorfahren der heutigen Europäer und Asiaten haben sich die Vorfahren der australischen Aborigines rasch in unbekanntes Terrain vorgewagt und haben damit großen Wagemut bewiesen.
Und sie mussten auch sofort einen großen Überlebenswillen an den Tag legen, denn die neue "Heimat" bestand zu einem großen Teil aus Wüste und Steppe, es war sehr heiß, und es gab viele gefährliche Tiere, nämlich hochgiftige Schlangen, bis zu drei Meter große fleischfressende Kängurus und riesige Echsen, wobei es sich bei letzteren, wie mündliche Überlieferungen und Zeichnungen von Aborigines sowie Knochenfunde nahelegen, wahrscheinlich um Exemplare verschiedener Dinosaurierarten gehandelt hat, die auf dem 5. Kontinent überlebt haben.
Lebensweise, Kultur und Sozialstruktur der Aborigines
Die Aborigines waren von jeher ein recht kleines Volk, das zahlenmäßig vermutlich nie die Millionengrenze erreicht hat, und es ist aufgeteilt in kleinere Stämme bzw. Clans. Seit vielen Tausend Jahre leben die Aborigines als steinzeitliche Jäger und Sammler, an den Küsten als Fischer. Sie betreiben keinen Ackerbau, Pfeil und Bogen sind ihnen genauso fremd wie Werkzeuge aus Metall. Privateigentum existiert nicht, es werden keine Vorräte angelegt.
In einem eigentümlichen Gegensatz zu ihrer einfachen Lebensweise steht die vielfältige Kultur der Aborigines. So gibt es hier zwar keine Schrift, aber eine Vielzahl von Sprachen, nämlich zwischen 200 und 300. Und diese Sprachen sind grammatikalisch hoch entwickelt und beinhalten einen großen Wortschatz. So gebrauchen die Aborigines z.B. Dutzende von Ausdrücken, um die Tageszeiten anzugeben. Die Wörter sind vielsilbig und dadurch sehr lang.
Sozusagen als Ersatz für die Schrift dienen auch die Malkünste der Aborigines. Das heißt: Bildende und darstellende Kunst sind wichtige "Medien", um mündlichen Aussagen Nachdruck zu verleihen und dienen auch der Erinnerung an die Gruppengeschichten und religiöse Traditionen. Gemalt wird auf Felsen, Höhlenwände und auf Baumrinde, und zwar vorwiegend in Erdfarben. Hier können zwei Stilrichtungen unterschieden werden, nämlich zum einen eine Reduktion auf Punkte und Striche, sozusagen ein früher Pointillismus, und der Röntgenstil. Bei letzterem werden Personen und Tiere als transparente Körper mitsamt Organen und Skelett wiedergegeben. Sehr wichtig sind auch geometrische Muster, die einen engen Bezug zur Mythologie der Aborigines haben.
Die Kultur der Aborigines ist zudem – und das steigert noch die Vielfalt - nicht homogen, sondern es gibt beträchtliche kulturelle Unterschiede zwischen den Volksgruppen im Landesinneren, im heißen Norden und im kühleren Südosten. Außerdem hat jede Volksgruppe einen speziellen Namen. Insgesamt ist nach Ansicht vieler Forscher die Kultur der Aborigines die älteste Kultur der Menschheit, die noch heute gepflegt wird. Entsprechend hat ihre Kunst die älteste, nicht unterbrochene Tradition auf der ganzen Welt. Das für die Musik der Aborigines so wichtige Didgeridoo, das aus von Termiten ausgehöhlten Ästen und Zweigen hergestellt wird, ist vermutlich das älteste Musikinstrument überhaupt.
Auch die Regeln des Zusammenlebens in den Stämmen, das hier geltende Recht und Gesetz, sind sehr komplex. Bei manchen Stämmen sind diese Regeln so akribisch ausgearbeitet, dass es für jedes mögliche Ereignis eine genaue Verhaltensanweisung gibt. Ferner gibt es in den Gemeinschaften eine Art "Gerontokratie". Das heißt: Wenn Entscheidungen getroffen werden müssen, die die ganze Gruppe betreffen, ist der Rat der "Stammesältesten" in der Regel entscheidend und damit derjenigen, die mutmaßlich über das meiste Wissen verfügen. Diese haben auch das Recht, "Übeltäter" zu bestrafen.
Die Aborigines haben sich ferner außergewöhnliche und umfassende Kenntnisse über Pflanzen und deren Nutzung angeeignet und damit ein großes Wissen bezüglich Naturheilverfahren und ökologischer Zusammenhänge angesammelt.
Die Mythologie der Aborigines – Reisen in die Traumzeit
Bei allen kulturellen Differenzen gibt es eine bestimmte Vorstellung von der Entstehung der Welt, die alle Stämme der Aborigines eint. Danach wurden das Land, die Sprachen und die Menschen von Schöpfungswesen geschaffen, die den Menschen das Land anvertrauten. Und mit jeder Region und Sprache wurde eine andere Gruppe Menschen betraut - so erklären sich die Aborigines den Ursprung der verschiedenen Stämme und Sprachen. Und zwar geschahen diese Schöpfungsakte in der sogenannten Traumzeit. Insofern ist die Traumzeit die Schöpfung, die vor vielen Millionen Jahren den Anfang der Zeit bestimmte. Sie ist die Zeit der Entstehung aller Dinge, wobei die Welt erschaffen, "erträumt" worden ist als eine Ganzheit, als ein allumfassendes Wesen, bei dem alles miteinander in Verbindung steht. Genau genommen sind es drei Welten, die miteinander verknüpft sind: die Welt der Ungeborenen, der Lebenden und der Toten.
In diesem Gründungsmythos spielt der Uluru eine besondere Rolle. Denn dem Mythos zufolge war der Berg in der "Traumzeit" Schauplatz einer kriegerischen Auseinandersetzung sowie die Heimat der mystischen Regenbogenschlange, der wichtigsten Schöpfungsgestalt der Aborigines. Das heißt: Glaubt man der Mythologie der Aborigines, dann war es die Regenbogenschlange, die in der Traumzeit die Landschaft Australiens formte.
Die Traumzeit bezieht sich jedoch hauptsächlich nicht auf etwas Vergangenes, sondern sie ist den Aborigines allgegenwärtig als eine Art metaphysischer Parallelwelt. Denn indem sie Rituale und Zeremonien abhalten, die ihnen von ihren Ahnen mündlich überliefert wurden, können sie sich jederzeit in die spirituelle Energie der Schöpfungszeit hineinversetzen. Aus dem Abhalten überlieferter Rituale und Zeremonien gewinnen die Aborigines also die Energie der Ahnen, damit sie die Traumzeit fortführen können. Dabei hört die Welt der Dualität von Geist und Materie auf zu existieren und der Traum beginnt sich im Leben zu manifestieren. Und zwar beschwören die Aborigines mit Gesängen, Tänzen und mit dem Spielen des Didgeridoo die Geister. Vor allem das Didgeridoo vermittelt zwischen Schöpfungswesen, Menschen und Natur.
Uluru (Bild: falco/pixabay.com)
Uluru (Bild: falco/pixabay.com)
Der Versuch, das Volk der Aborigines und seine Kultur zu zerstören
Nach der Ankunft der weißen Konquistadoren im Jahre 1788 verschlechterte sich die Situation der Aborigines zunehmend. Viele Aborigines starben an Krankheiten, die von den Weißen eingeschleppt worden waren, oder kamen bei gewaltsamen Auseinandersetzungen mit weißen Siedlern ums Leben. Schließlich wurden sie vollends ihrer Lebensgrundlagen beraubt und in Reservate eingepfercht.
Der traurige Höhepunkt der Unterdrückung aber war ein beispielloser Kinderraub, der unter der Bezeichnung "Stolen Generations" in die Geschichte eingegangen ist. Und zwar wurden zwischen 50.000 und 100.000 Aborigine-Kinder ihren Eltern weggenommen. Sie wurden als Adoptivkinder in australischen Familien, in Heimen oder Missionen nach "weißen Wert- und Moralvorstellungen" großgezogen und später als billige Arbeitskräfte missbraucht. Jede dritte Familie ist dadurch auseinandergerissen worden.
Den in den Reservaten lebenden Aborigines wurden ihre traditionellen kulturelle Gebräuche und Gepflogenheiten verboten, und sie durften teilweise nicht einmal ihre eigene Sprache sprechen. Hinzu kam die Zwangsverheiratung von Aborigines mit Weißen. Innerhalb von drei Generationen sollten so die Aborigines zu Weißen "umgezüchtet" werden. Erst 1969 rückte die australische Regierung offiziell von dieser Politik ab und gestand den Aborigines die gleichen Bürgerrechte zu wie den Weißen.
Nach Expertenmeinung beruhte die Aggression der weißen Einwanderer gegenüber den Aborigines auf einem Kulturkonflikt. Das heißt: Die Ureinwohner sehen sich als integrierten Bestandteil der Natur, so dass materielle Güterwirtschaft und Sesshaftigkeit für sie nicht den gleichen Stellenwert haben wie für die europäisch geprägten Einwanderer. Die weißen Siedler brauchten also für Ihr Verständnis von Existenz Landbesitz, raubten aber damit den Aborigines ihre Lebensgrundlagen.
Hinzu kam, dass die weißen Siedler sich gar nicht erst darum bemühten, die Kultur der Aborigines zu verstehen, sondern sie von vornherein abwerteten. Resultat dieser Missachtung war, dass die Aborigines als zum Aussterben verurteilte Rasse primitiver Nomaden gesehen, deklariert und folglich auch so behandelt wurden. Somit können auch das Einpferchen in Reservate und der Kindesraub als Versuche betrachtet werden, ein Volk und seine Kultur systematisch zu zerstören. Doch die Aborigines passten sich nicht an und starben auch nicht – wie erwartet – aus.
Die heutige Lage der Aborigines
Was die Lage der Aborigines in der Gegenwart betrifft, so ist zunächst festzustellen, dass die zwei Jahrhunderte systematischer Diskriminierung und Unterdrückung, die die Aborigines erleiden mussten, natürlich tiefe Spuren hinterlassen haben. So hat ein Großteil der "Stolen Generations" traumatische Erlebnisse hinter sich, die ihren weiteren Lebensweg negativ prägen. Viele sind kulturell entwurzelt und führen ein Leben im sozialen Abseits. Generell ist aufgrund von schweren chronischen Erkrankungen und von Drogenmissbrauch die Lebenserwartung der Aborigines viel geringer als die der weißen Australier. Auffällig sind auch die hohe Kriminalitätsrate bei Aborigines sowie ihre geringe schulische und berufliche Bildung und die damit verbundenen Nachteile am Arbeitsmarkt.
Ganz hoffnungslos ist die Lage der Aborigines jedoch nicht. So wird der australischen Gesellschaft allmählich bewusst, welch großes Unrecht den Aborigines generell und vor allem den "Stolen Generations" und ihren Familien angetan worden ist. Der bisherige Höhepunkt dieses Bewusstseinswandels war, dass sich die australische Regierung 2008 bei den Opfern der Entführungen und ihren Angehörigen entschuldigt hat. Anlass zur Hoffnung, dass die Aborigines doch noch ihren Platz in der australischen Gesellschaft finden können, gibt auch, dass immer mehr weiße Australier die kulturellen Eigenheiten der Aborigines respektieren oder sich sogar mit ihnen solidarisieren und gemeinsam mit ihnen für deren Rechte demonstrieren. Die Aborigines bekommen dadurch Rückhalt bei ihren Bemühungen, sich gerichtlich gegen erlittenes Unrecht zu wehren und Entschädigungszahlungen zu bekommen.
Hinzu kommt, dass die Aborigines mit Tourismusprojekten jährlich Hunderte Millionen Dollar erwirtschaften, und dass ihre Kunstszene weithin anerkannte Maler, Musiker und Schriftsteller hervorgebracht hat. Bemerkenswert ist auch, dass viele Schulen die Sprachen der Aborigines in ihren Lehrplan aufgenommen haben.
Inzwischen haben die Aborigines auch wichtige Stammesterritorien zurückerhalten, und es gibt eine Aboriginebewegung, die die traditionelle Lebensweise wieder pflegt. Ein Beweis für das gestiegene Selbstbewusstsein der Aborigines ist zudem die Aborigine-Flagge mit den für die Aborigines wichtigen Farben Schwarz, Rot und Gelb. Und zwar steht Rot für die Mutter Erde und den Ocker, der für Zeremonien benutzt wird. Gelb ist die Sonne, die beständige Spenderin und Erneuerin des Lebens. Schwarz ist die Traumzeit, in der alles entstanden ist. Zusammen symbolisieren die Farben die Grundlagen des Lebens der Aborigines.
Schlussbemerkung
Vielleicht sind die australischen Ureinwohner, die Aborigines, das bemerkenswerteste Volk, das jemals auf der Erde gelebt hat. Jedenfalls haben sie uns meiner Meinung nach, was ihre angestammte Lebensweise und ihre Kultur betrifft, eine Menge zu sagen und können uns in mancherlei Hinsicht sogar als Vorbild dienen.
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