Festspiele auf der Clingenburg: Open-Air mit Flair
26 Jahre waren die Clingenburg-Festspiele in der Rotweinstadt Klingenberg am Main ein Anziehungspunkt. West Side Story (2018) und Rocky Horror Show (2019) waren die Hauptstücke.Kostproben von »Cabaret« bei der feierlichen Eröffnung der Clingenburg-Festspiele im Rosengarten von Klingenberg (Bild: Ruth Weitz)
Cabaret - Amüsement und Betroffenheit halten sich die Waage
Mit dem Musical Cabaret hatte sich Intendant Marcel Krohn in der Saison 2017 an ein anspruchsvolles Musiktheater gewagt, das neben Tanz und Gesang eine hochpolitische Aussage hat. In der Inszenierung sind der Zeitgeist der 30er-Jahre in Berlin und die frivolen Vorstellungen der Revue-Theater verpackt, aber auch der von den Nationalsozialisten angeheizte Antisemitismus, der bis in die Unterhaltungstempel schwappt und die Menschen mit braunem Gedankengut infiziert. Mit einem kleinen, spielfreudigen Ensemble hat Krohn die Kernaussage der literarischen Vorlage gut getroffen. Es war das Hauptstück in 2017. Bis auf die Musik und die tänzerischen Elemente keine leichte Kost.
Was spritzig und ein bisschen frivol beginnt, mündet vor der Pause in den Hitlergruß, so dass das Publikum sichtlich betroffen nur mäßig klatscht. Im zweiten Teil wird klar, wie schnell Menschen manipuliert werden können und wie sie auf eine veränderte politische Konstellation reagieren, um selbst nicht zermahlen zu werden. Auf ein Happy End wartet der Zuschauer vergeblich. Im wahrsten Sinne: Ein starkes Stück. Herausragend und zu Herzen gehend: Claus Wilcke als Herr Schulz und Franziska Krumwiede als Fräulein Schneider, die selbst die Hauptdarsteller an die Wand spielen.
Mit hinreißender Dynamik agieren die Schauspieler. (Bild: Ruth Weitz)
Aladin - eine Adaption des Märchens aus 10001 Nacht - war das Kindertheater-Stück 2017 auf der Clingenburg. Die Theatervorlage stammt von Samuel Renken, Thomas Klischke hat sie in Szene gesetzt und eine bunte, temporeiche und mit musikalischen Akzenten bereicherte Aufführung geschaffen. Wie im Märchen muss Aladin viele Abenteuer bestehen, bevor er das Einverständnis des Sultans erhält, die schöne Prinzessin Jasmin zu heiraten. Es ist ein Spiel im Spiel und mit Begriffen aus der Jugendsprache in die Gegenwart gesetzt.
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Keine Frage, die Darsteller überzeugen mit Authentizität und lebendigem Spiel. Auch an den musikalischen und tänzerischen Darbietungen ist nichts auszusetzen. Larius Phoulivong in der Titelrolle des zielstrebigen Aladin und Sandra Leitner als kecke Prinzessin Jasmin geben ihren Rollen Witz und Spritzigkeit. Sie setzten Beharrlichkeit und Spitzfindigkeit ein, um die Wunderlampe zu ergattern, die ihnen die monetäre Grundlage für die Eheschließung liefern soll. Günther Brenner als naiver Sultan, Vater von Jasmin, Franziska Lißmeier als Aladins Mutter Nesra ergänzen sich in ihren charakterlichen Gegensätzen. Hier der behäbig agierende Vater mit urplötzlich aufblitzendem Humor und dort die ihren Sohn führende und dominante Mutter. Diese Rollen werden sehr klar nachgezeichnet.
Im Theater kommt es nicht selten vor, dass die Nebenrollen durch die Schauspieler besonderen Glanz erhalten. Susanne Anders in der Darstellung des Ringgeistes und Mini-Dschinnie ist so ein Beispiel. Die Gelenkigkeit, mit der sie sich wie ein Schlangenmensch verbiegt und über Hindernisse Purzelbäume schlägt, ist eine eindrucksvolle akrobatische Leistung und animiert durch die anmutende Leichtigkeit zum Lachen. Dazu gesellt sich die wie aus der Pistole geschossene Schlagfertigkeit, mit der sie ihre Fehlschläge bei der Zauberei kommentiert: »Ich bin ein Ringgeist, der noch in der Ausbildung ist...«
Wunderbar witzig ist Maik Eckhardt als sächselnder Zauberer Al Kamil, im Märchen ein Unsympath, im Theaterstück eine Figur, die das Pech gepachtet hat und trotz aller Bemühungen scheitert. Er bekommt weder die Prinzessin noch die Wunderlampe, muss zum Schluss auch noch aus dem Spiel ausscheiden.
Eine Stunde dauerte das Kinderstück, das musikalisch mit einem Potpourri aus umgetexteten Schlagern und Melodien aus der Werbung flankiert ist. Hier begegnen den Zuschauern Gassenhauer, die zum Schmunzeln anregen, weil sie prima zu den Szenen passen. So wurde der fliegende Teppich von Sandra Leitner mit Reinhard Meys »Über den Wolken« besungen. Sie begleitet sich dabei selbst an der Gitarre. »Aladin«, ein kurzweiliges und phantasievolles Theater, das nicht nur Kindern Spaß machte. Laut Veranstalter war es für Kinder ab vier Jahren geeignet.
Im Münchner Hofbräuhaus zu sitzen, ist eine Herzensangelegenheit für Alois Hingerl (Günther Brenner, rechts). (Bild: Ruth Weitz)
»Der Münchner im Himmel und in der Hölle« ist eine krachlederne Komödie, die Alfons Schweiggert auf Basis der Satire »Ein Münchner im Himmel« von Ludwig Thoma mit Motiven aus »Der Brandner Kasper« von Franz von Kobell ergänzt und zu einem witzigen, aber auch tiefgängigen Theaterstück zusammengefasst hat. Die putzmunteren Schauspieler schlüpfen zur Freude des Publikums einer Metamorphose gleich in ihre Rollen und bieten kurzweiliges Theater der besten Art.
Gleich zu Beginn nahmen die Zuschauer die Botschaft mit, dass der Mensch eigentlich nicht zum Arbeiten geboren ist, sonst wäre er ja nicht so schnell müde 😂. Zumindest sagt dies Dienstmann Alois, als er im Hofbräuhaus sitzt und keinen Bock hat, seinem Tagwerk nachzugehen, stattdessen lieber mehrere Maß Bier trinkt und mit der Kellnerin Kathi (Ramona Schmid) scherzt. Übrigens ist Günther Brenner in dieser Rolle brillant und scheut sich nicht die Bohne, seine Hüllen bis auf Unterhose und Hemd fallen zu lassen, um in die Engels-, beziehungsweise Teufelskluft zu steigen.
Die Moral von der Geschichte ist eigentlich jedem bekannt. Vom lieben Gott hat Alois einen weißen Umschlag mit göttlichen Ratschlägen für die bayerische Staatsregierung mitbekommen, von der unterirdischen Fraktion mit Hörnern und Pferdefuß einen Umschlag mit Ratschlägen für die Opposition. Wie's ausgegangen ist, wird an dieser Stelle nicht verraten.
Eine Tanzszene aus der Rocky Horror Show 2019 auf der Clingenburg (Bild: Ruth Weitz)
Für jeden Geschmack etwas dabei!
Die oben beschriebenen Stücke wurden von mir persönlich gesehen, weshalb eine Beleuchtung der Aufführungen aus der journalistischen Perspektive möglich ist. Alle anderen Programmpunkte, die nicht in Augenschein genommen wurden, sind bereits Makulatur. Dafür gab es in 2018 neue Produktionen, die für jeden Geschmack etwas boten. Fulminant war die Aufführung der West Side Story. Es war die letzte Intendanz von Marcel Krohn auf der Clingenburg. Er hatte angekündigt, dass er sich 2019 einer neuen Aufgabe widmen will. Im Jahr 2019, der 26. Saison, war erstmals Wolfgang Hofmann für die Intendanz verantwortlich. Als Hauptstück gab es die »Rocky-Horror-Show«, das Jugendstück war »Tschick« und für die Kinder wurde »Das Sams - eine Woche voller Samstage« geboten. Eine romantische Komödie für Erwachsene war die Aufführung des Stücks Shakespeare in Love. Die zwei Gastspiele in dieser Saison waren »Echos« - eine Hommage an Pink Floyd und ein Konzert der »Beatles Revival Band«. Leider blieb der Kartenverkauf hinter den Erwartungen zurück, so dass zwar die Schauspielcrew und die Beteiligten hinter der Bühne bezahlt werden konnten, danach aber eine finanzielle Lücke blieb. Die Konsequenz: Es kam zur Insolvenz. Das für 2020 ins Auge gefasste Programm konnte nicht realisiert werden. Ein schwacher Trost ist, dass die Corona-Pandemie die geplanten Vorstellungen sowieso vereitelt hätte...
Hier die Zusammenfassung der Saison 2019 auf der Clingenburg.
Bildquelle:
NDR-Tatort Der letzte Patient
(Was eine Tatort-Kommissarin mit der Rotweinstadt Klingenberg am Mai...)
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)