Charlotte Roches Bestseller

Alle paar Jahre erscheint ein Buch, an dem niemand vorbeikommt. Ein Buch, das die Meinungen spaltet, für Diskussionen sorgt, die Leser gleichen den Kritikern entzweit und Gesprächsstoff für unzählige Talkshows liefert. Thilo Sarrazins Sachbuch "Deutschland schafft sich ab" war 2010 ein solcher Bestseller.

Zwei Jahre zuvor gelang der ehemaligen Viva-Moderatorin Charlotte Roche gleich mit ihrem Debütroman "Feuchtgebiete" ein ähnliches Kunststück. Weit über eine Million Exemplare gingen über die Ladentische und sorgten - no pun intended – für erregte Gemüter.

Umso verwunderlich ist es, dass es fünf Jahre bis zur Verfilmung dauerte. Am 22. August 2013 ist es endlich so weit: Dann wird auch die große Leinwand zur Projektionsfläche diverser Masturbations- und sonstigen Sex-Phantasien der in England geborenen Moderatorin.

Der Teaser-Trailer zu "Feuchtgebiete" gewähnt, nun ja, tiefere Einblicke in die Verfilmung.

Verfilmt von David Wnendt

Große Überraschungen bei der Verfilmung durch David Wnendt (bekannt für sein preisgekröntes Drama "Kriegerin") sind wohl nicht zu erwarten. Der Film "Feuchtgebiete" dürfte sich eng an den Debütroman von Charlotte Roche halten. Wer sich bereits von der Literaturvorlage angeekelt fühlte, wird somit auch dem Film kaum etwas abgewinnen können. Interessanter scheint indes die Frage, ob die Visualisierung der erotischen (oder doch vielmehr "perversen"?) Phantasien nicht für Ernüchterung sorgen wird. Bekanntlich ist die pure Vorstellung meist erquickender als die schnöde Realität, was gerade im Falle von derlei Kopfkino-Literatur für Enttäuschung sorgen könnte.

übersexualisierte Gesellschaft: Ende von Tabus?

Kulturpessimisten, die in "Feuchtgebiete" einen neuerlichen Tiefpunkt abendländischer Literatur zu erkennen glaubten, mögen sich bangen Herzens eine andere Frage stellen: Kann der Hype aus dem Jahr 2008 wiederholt werden? Werden Millionen Deutsche in die Kinos stürmen, um sich hernach angeekelt, amüsiert, schockiert oder doch befriedigt über die Verfilmung des Romans zu unterhalten, wobei die Systemmedien ihren kräftigen Beitrag am künstlichen Hochköcheln vermeintlicher Skandale leisten?

Feministin Charlotte Roche wollte "Feuchtgebiete" unter anderem alsProtest wider das in Medien und Werbung propagierte Frauenbild verstanden wissen. An der diesbezüglichen Darstellung von Frauen hat sich in der Zwischenzeit wenig geändert, an der öffentlichen Rezeption von "Skandalen" jedoch so einiges. Was 2008 bei vielen Lesern und noch mehr Leseverweigerern für Empörung sorgte, ist in einer übersexualisierten Gesellschaft kein Verona-Feldbuch-Blubbern mehr wert. Die Eskapaden rund um Protagonistin Helen Memel – von der Schweizerin Carla Juri verkörpert – werden keine großen Wellen mehr schlagen.

Ende der Tabus: Feuchtgebiete

Es scheint, als wäre alles gesagt, was einst hinter vorgehaltener Hand geflüstert werden musste. Allzu freizügige Darstellungen sorgen meist für Augenrollen, statt für Empörung – die klassischen Tabu-Themen sind versiegt. Ironischerweise kann nur noch das Aufbrechen längst zugeschüttet geglaubter Fronten für mediales Interesse sorgen: Seien es Themen im Fahrtwasser von Sarrazins "Deutschland schafft sich ab" oder die aus Sicht radikaler Feministinnen schändliche Weigerung mancher Frauen, sich dem angeblich demütigenden Hausfrauendasein oder dem Berufswunsch Friseurin zu entsagen.

Charlotte Roche trug mit "Feuchtgebiete" gewiss ihren Teil dazu bei, verschämt oder gar nicht diskutierte Sexualpraktiken einem breiteren Publikum eröffnet zu haben. Freilich: Jahre später locken Gedankenspielereien über Sinn und Unsinn von Schamhaarentfernung nur noch senile Hunde hinterm Ofen hervor. Kurzum: Das Tabu ist gebrochen und eine Wiederholung des Hypes deshalb unwahrscheinlich.

Shades of Grey: Spießig?

Der Erfolg von "Shades of Grey" gründet sich nicht auf dem Bruch irgendwelcher Tabus, sondern ist Ausdruck einer neuen Spießigkeit, die einem früher verpönten Thema wie SM zwar Platz im Refugium der erotischen Phantasien einräumt, sich dabei aber nie von den Ufern bekannter Klischees entfernt. Im Grunde genommen ist "Shades of Grey" somit ein Unterhaltungsroman für Leute der Marke: "Danke, ich schau mich nur mal um!". Literatur eben, die nur augenzwinkernd und liebevoll liebkost, statt dem Leser die Peitsche übers Gehirn zu jagen.

In einer solchen enttabuisierten Welt vermag die Verfilmung von "Feuchtgebiete" natürlich kaum noch für Aufsehen zu sorgen. Schade eigentlich, zählt doch das Brechen von Tabus zu den Freuden eines Provokateurs. Aber vielleicht wiederholt sich ja Geschichte tatsächlich und eine neue Spießbürgerlichkeit hält samt liebgewonnener Tabus Einzug. Schamhaare wachsen bekanntlich nach und lassen sich öfter als nur einmal rasieren...

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