Inhalt

Das Buch von Eva Daniels thematisiert außergewöhnliche Beziehungen neurotypischer Frauen mit Männern, die die Welt auf Grund ihres Asperger-Syndroms (einer Form des Autismus) anders wahrnehmen als sie selbst. Neun Partnerinnen von Asperger-Männern schildern ihre persönlichen Beziehungserlebnisse und gewähren mit großer Offenheit Einblicke in ihre offensichtlich andersartigen Partnerschaften. Die Beziehungen der ausgewählten Frauen sind (oder waren) dabei von sehr unterschiedlicher Dauer, Belastbarkeit und Dynamik. Die Autorin begnügt sich jedoch nicht mit der Schilderung der Beziehungserlebnisse. Sie versucht herauszufinden, warum sich Frauen von Asperger-Männern angezogen fühlen. Deshalb beleuchtet sie auch die persönlichen Lebensgeschichten, die Kindheit, die prägenden und die familiären Erfahrungen der Erzählerinnen.

Das Buch wäre kein echter Ratgeber, wenn es nicht noch einige andere Aspekte behandeln würde, die für die interessierten Leserinnen und Leser von Nutzen sein können. Obwohl die Autorin ihr Buch nicht als wissenschaftliches Fachbuch bezeichnet, kommen die neurophysiologischen Ursachen des Autismus und ihre mannigfaltigen Auswirkungen auf das Sozialverhalten darin nicht zu kurz. In separaten Kapiteln werden die autistische Wahrnehmung, das autistische Verhalten und die autistischen Kommunikationsformen anhand von eingängigen Beispielen verständlich gemacht und gedeutet ("Der Mann hinter der Mauer") . Ein eigenes Kapitel ist der Vermeidung und der Bewältigung von Beziehungsstress zwischen autistischem und neurotypischem Partner gewidmet. Ein weiteres dient der Selbstreflexion nach dem Motto "erkenne dich selbst" (ein spezieller Fragebogen im Anhang bietet Hilfestellung bei der Selbsteinschätzung). Und last but not least: was wäre ein Ratgeber in diesen ganz speziellen Herzensangelegenheiten ohne ein Kapitel über autistische Zuneigungsformen! Abgerundet wird das Buch durch "sieben goldene Regeln", die erfüllt sein müssen, damit eine tragfähige und dauerhafte Beziehung zwischen neurotypischer Frau und Asperger-Mann zustande kommen kann.

Das einführende Geleitwort steuerte der Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut Göran Hajak, bei. Er leitet im Bamberger Klinikum am Michelsberg die Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik.

Männer mit Asperger-Syndrom sind ...

Männer mit Asperger-Syndrom sind außergewöhnlich - Beziehungen mit ihnen erst recht. (Bild: TRIAS Verlag Stuttgart)

Intention und Zielgruppe

Die Autorin ist seit über 25 Jahren als Coach und Trainerin in der Organisationsentwicklung tätig und arbeitet seit 1992 selbstständig. Ihr Spezialgebiet sind Veränderungsprozesse im Bereich Teamentwicklung und Führungstraining. Der persönliche Kontakt zu Asperger-Persönlichkeiten motivierte sie, "das Verhalten dieser außergewöhnlichen Menschen verstehen zu lernen" (Zitat Eva Daniels). Mit dem vorliegenden Buch möchte sie für mehr Verständnis zwischen "normalen" Menschen und Asperger-Persönlichkeiten eintreten. Wie bereits im Geleitwort zutreffend angemerkt wird, handelt es sich nicht um ein Buch von Frauen speziell für Frauen. Der Beziehungsratgeber spricht durchaus auch männliche Asperger-Autisten oder Männer mit Hochfunktionalem Autismus an, die in einer heterosexuellen Partnerschaft leben oder die den Wunsch nach einer solchen verspüren. Angesprochen fühlen dürfen sich darüber hinaus auch Eltern, Verwandte und Freunde oder Bekannte von Menschen im Autismus-Spektrum, die etwas über die Gefühls- und Gedankenwelt autistischer Menschen in Erfahrung bringen möchten, jedoch ein wissenschaftliches Werk scheuen.

Aufbau und Gliederung

Das Buch ist in acht Kapitel unterteilt, die wiederum in mehrere Unterkapitel gegliedert sind. Die übersichtliche Inhaltsangabe erleichtert das Auffinden auch kleinerer Abschnitte ohne lästiges Blättern. Die zahlreichen Zitate in wörtlicher Rede sind in Kursivschrift gesetzt und schnell als solche erkennbar. Beispiele, Erläuterungen, Definitionen oder andere Hinweise sind optisch durch rosa unterlegte Kästchen hervorgehoben. Wichtige Schlussfolgerungen oder Ratschläge sind durch violette Umrahmung rasch aufzufinden. Der Verzicht auf plakativere Stilmittel kommt den Lesegewohnheiten vieler Autisten entgegen. Dafür lockern insgesamt zwölf, meist großformatige Farbfotografien (inklusive Titelbild) den Text auf. Im Anhang finden sich Literaturangaben, Tipps für weiterführende und ergänzende Literatur sowie ein ausführliches Stichwortverzeichnis.

Kritische Wertung

Die Autorin bezeichnet ihr Buch selbst als Ratgeber. Das 136 Seiten starke, beim TRIAS Verlag erschienene Buch unterscheidet sich jedoch wohltuend von zahllosen anderen, so genannten Ratgebern, deren simple Botschaften sich allzu oft in der banalen Empfehlung erschöpfen: "Wenn sie Erfolg haben wollen, dann müssen sie es machen wie ich". Ja, es ist ein Ratgeber, aber einer auf hohem Niveau und mit dem der Thematik angemessenen Tiefgang - auch wenn der Titel (aus beschränkter, männlicher Sicht) eher die Nähe zur Trivialliteratur suggeriert.

Die Stärke des Buches liegt in der subtilen Art und Weise, wie die Autorin neurotypische (weibliche)und autistische (männliche) Befindlichkeiten in realen Partnerschaften auslotet und entschlüsselt. Dass dies ausschließlich aus der weiblichen Perspektive geschieht, ist weder einseitig noch ein Mangel. Die ausgewählten Beziehungen sind vielfältig: vom relativ kurzfristigen Versuch mit anschließender Trennung bis zur langlebigen Ehegemeinschaft mit mehreren Kindern reicht die Palette. Die Einzelaussagen werden nie isoliert angeführt, sondern zueinander in Beziehung gesetzt und im Gesamtzusammenhang an den passenden Stellen platziert. Der Text ist gut strukturiert, leicht lesbar und auch für Laien verständlich geschrieben. Selbst im wissenschaftslastigen Teil beschränken sich die Fachbegriffe auf das absolut Notwendige und werden verständlich erklärt. Wer tiefer in die Materie eindringen will, dem sei das zwar knappe, aber gut sortierte Literaturverzeichnis empfohlen.

Das Buch klammert Probleme im Umgang miteinander und krisenhafte Situationen nicht aus, bietet aber auch Lösungswege und Strategien an, die helfen können, Missverständnisse und Enttäuschungen in dieser besonderen Art der Partnerschaft zu vermeiden oder zu überwinden. Die gut recherchierten Kapitel über autismustypische Zuneigungsformen, Kommunikation und Verhalten steuern zahlreiche, treffende Beispiele und wissenswerte Informationen bei, die - entsprechende Offenheit vorausgesetzt - den mitunter verstörenden Blick in die autistische Parallelwelt in ein staunendes Begreifen verwandeln. Dies gilt auch für den Blick männlicher Asperger-Persönlichkeiten in das neurotypische, weibliche Universum. In diesem Punkt wird das Buch seinem Anspruch als Ratgeber mehr als gerecht.

Die unsichtbare Barriere, die neurotypische Menschen von Asperger-Persönlichkeiten trennt, ist ein zentrales Thema des Buches. Die Metapher der "Mauer" zieht sich denn auch leitmotivisch durch die einzelnen Kapitel. Die biologischen Ursachen dieser Mauer zu verstehen, ihre Existenz zu akzeptieren und behutsam ein Tor zu öffnen, das den wechselseitigen, von gegenseitigem Respekt geprägten Zugang zu beiden Welten gestattet, ist das Hauptanliegen der Autorin. Diesem Anspruch wird das Buch voll und ganz gerecht.

Ebenfalls geglückt ist die sparsame, aber reizvolle Bebilderung durch die durchweg ansprechenden Fotografien von Silke Weinsheimer. Es lohnt sich, die Bildstrecke genauer zu betrachten. Auf der vorderen Einbandinnenseite überrascht zunächst die Gegenüberstellung zweier auf den ersten Blick themenfremder Abbildungen: ein mit roten Rosensträußen bedruckter und ein durch graue Streifen kariert gemusterter Stoff. In jedem Kapitel findet man zudem eine von einem jungen Paar zum jeweiligen Thema passend nachgestellte Szene. Wem es nicht schon beim Betrachten des Titelbildes aufgefallen ist, der wird feststellen, dass die Frau ein Kleid aus dem geblümten Stoff trägt, der Mann ein Hemd aus dem grau kariertem Textil. Das letzte Bild zeigt die Frau, wie sie das Hemd des Mannes über dem eigenen Kleid trägt. Es soll uns sagen: "So fühlt es sich in deinem Hemd an. – Wie fühlt es sich wohl in deiner Haut an?". Das "Einlassen auf die andere Kultur" ist gelungen, der "Kulturschock" überwunden. Wie zur Bestätigung stoßen wir auf der hinteren Einbandinnenseite wieder auf die beiden Stoffmuster. Doch nun hat das Kleid einen Teil seiner Buntheit an das ehemals farblose Hemd abgegeben…

Und was gibt es an Kritikwürdigem? Eigentlich nicht viel. Die Buch- und Internettipps hätten etwas weniger sparsam ausfallen können. Die Seite hält noch genügend weiße Fläche bereit. Im Bildnachweis ist im Zusammenhang mit Autismus von "der Krankheit" die Rede. Das und den medizinischen Terminus "Syndrom" (= Reihe von Symptomen; d. Verfasser) lesen einige Asperger-Persönlichkeiten nicht so gerne. Da der Bildnachweis eher vom Verlag formuliert wurde und die Autorin eine pathologisierende und defizitorientierte Wortwahl im Text vermeidet, kommen wir ohne Umschweife zum positiven

Fazit

"Geliebter Fremder" ist ein rundum gelungenes Buch, nicht nur für Frauen. Auch für Asperger-Männer dürfte es durchaus erhellend sein, etwas über die Befindlichkeiten ihrer neurotypischen Partnerinnen zu erfahren. Die kommende Generation von Asperger-Persönlichkeiten (und deren potenzielle Partnerinnen) kann von den Erfahrungen der Erzählerinnen und den kompetenten Kommentaren der Autorin ebenfalls nur profitieren.

 

Daniels, Eva: Geliebter Fremder. Wie Frauen ihren Asperger-Mann lieben und verstehen. TRIAS Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart 2015. 136 S., 6 Abb., Broschiert (KB), Preis 17,99 €. ISBN 978-38304-8292-5. Das Buch ist auch als eBook erhältlich [eISBN 978-3-8304-8294-9 (EPUB), eISBN 978-3-8304-8293-2 (PDF)]

Autor seit 10 Jahren
33 Seiten
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