Die Giraffe steht für Mitgefühl und Großherzigkeit

(Bild: © clker.com)

"Wolfssprache" und "Giraffensprache" – was soll das heißen?

Wer von der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) nach Marshall Rosenberg schon gehört hat, der kennt wahrscheinlich vor allem die beiden Begriffe der "Wolfssprache" und der "Giraffensprache".

Wir alle sprechen manchmal in der "Wolfssprache", wenn wir in einem Gespräch unsere Wünsche durchsetzen möchten, wenn wir uns ungerecht behandelt oder angegriffen fühlen.

Das klingt dann ungefähr so:

 "Du lässt mich immer hängen! Schon wieder musste ich die ganze Arbeit alleine machen!"

Die Wolfssprache ist anklagend, manchmal auch aggressiv. Sie setzt Druck und Forderungen ein.

Sie ist – nach dem Konzept der GFK – "gewaltvoll".

Typisch sind Formulierungen wie "du hast" oder "immer" oder "schon wieder".

"Wolfssprache" bringt uns nicht weit …

Nutzen wir die "Wolfssprache" in unserer Kommunikation, dann lösen wir beim anderen Schuld, Scham oder Angst aus. Dass das nicht besonders effektiv sein kann, ist eigentlich logisch. Denn mit dieser Strategie kommen wir in der Regel nicht weit – zumindest nicht auf Dauer.

Wer reagiert auf eine Aussage wie "Du lässt mich immer hängen! Schon wieder musste ich die ganze Arbeit alleine machen!" schon positiv, enthusiastisch oder gar mit der Motivation, den anderen von nun an tatkräftig zu unterstützen?!

Der Amerikaner Marshall Rosenberg, ausgebildeter Psychologe und Begründer der Nonviolent Communication (Gewaltfreien Kommunikation), meint:

Die "Wolfssprache" liegt uns Menschen nicht im Blut. Wir können auch ganz anders! Nämlich "Giraffensprache" sprechen.

Warum "Giraffe"?

Die Giraffe hat, im Gegensatz zum Wolf, einen viel längeren Hals – und deshalb auch viel mehr Überblick über die ganze Situation. Sie erkennt alle Aspekte, be-achtet sich selbst und auch den anderen.

Noch wichtiger: Die Giraffe ist das Landtier mit dem größten Herzen. Ihr Kommunikationsstil ist deshalb mitfühlend, verständnisvoll, also "gewaltfrei".

"Wolfssprache" trennt. "Giraffensprache" verbindet.

Sprechen wir "Giraffensprache", dann gibt es in unserer Kommunikation und in unseren Beziehungen niemanden, der gewinnt und vor allem niemanden, der verliert.

 

Wir alle sind von Natur aus "Giraffen"

Wir alle sind im Grunde daran interessiert, friedlich mit unserem Gegenüber umzugehen, meint Marshall Rosenberg.

Und wir alle möchten, dass unsere Wünsche und Bedürfnisse befriedigt werden.

Ein unerfülltes Bedürfnis steckt hinter jeder problematischen Kommunikation.

Bedürfnisse können zum Beispiel sein: Das Bedürfnis nach Akzeptanz, Ehrlichkeit, Geborgenheit, Harmonie, Nähe, Vertrauen, …

Wie die Gewaltfreie Kommunikation funktioniert

In vier praktischen Schritten:

  1. Die Situation darstellen - so wie sie ist, ohne Urteil, ohne Wertung und ohne Interpretation (Das erinnert ein bisschen an die sachlichen W-Fragen, die man aus dem Journalismus kennt: Was? Wer? Wo? Wann? Wie?)

  2. Gefühle äußern ("Dabei fühle ich mich …")

  3. Bedürfnisse äußern ("… und dann wünsche ich mir / brauche ich / hätte ich gerne...")

  4. Bitte oder Wunsch äußern – in einer lösungsorientierten, konkreten und machbaren Sprache ("Könntest du …? / Wärst du bereit …?)

     

    Ich sehe … / Ich höre … / Die Situation ist: …

    Dann fühle ich …

    Mein Bedürfnis ist … / Weil ich gerne hätte … / Ich wünsche mir … / Ich brauche …

    Ich bitte dich … / Bist du dazu bereit, …?

     

    Auf den anderen bezogen:

     

    Wenn du siehst … / hörst …?

    Was fühlst du dann?

    Was brauchst du?

    Was ist dein Wunsch / deine Bitte an mich?

     

    Wichtige Regel:

    Die Gewaltfreie Kommunikation verzichtet auf Worte wie "du bist", "immer" oder "nie".

Die Gewaltfreie Kommunikation hilft uns, mit Vorwürfen, Kritik und Anklagen besser umzugehen

Denn Vorwürfe, so Marshall Rosenberg, sagen immer etwas über die Bedürfnisse des Sprechers aus, niemals über den Empfänger.

Durch Vorwürfe und Anklagen können wir also mehr über die eigentlichen Bedürfnisse des Sprechers erfahren. Das hilft uns, effektiver und verständnisvoller zu kommunizieren.

Beispiele für die Anwendung der Gewaltfreien Kommunikation im Alltag

"Du kommst immer zu spät! Man kann sich nie auf dich verlassen."

Was ist das Bedürfnis, das ich hinter dieser "Wolfssprache" verstecke?

 

"Ich warte seit einer halben Stunde am verabredeten Treffpunkt." (Situation)

"Wenn ich länger als eine halbe Stunde warten muss, fühle ich mich ärgerlich und enttäuscht." (Gefühl)

"Denn meine Zeit ist mir wichtig und ich würde sie gerne sinnvoll nutzen." (Bedürfnis)

"Deshalb bitte ich dich, mir nächstes Mal Bescheid zu geben, wenn du die Verabredung nicht pünktlich einhalten kannst. Ist das möglich?" (Bitte)

 

"Du sitzt ja schon wieder vor dem Fernseher! Immer muss ich alles alleine machen …"

 

"Der Rasen müsste gemäht werden. In der Küche steht der unerledigte Abwasch. Der Boden wurde nicht gefegt." (Situation)

"Ich fühle mich kraftlos, müde und auch frustriert, wenn ich die ganze Arbeit sehe, die zu erledigen ist." (Gefühl)

"Ich brauche Hilfe und Unterstützung, weil ich das nach einem langen Arbeitstag nicht alles noch selbst bewältigen kann." (Bedürfnis)

"Bist du bereit, eine dieser Aufgaben zu übernehmen? Können wir uns die Arbeit aufteilen?" (Bitte)

Unsere Gefühle haben nichts mit dem anderen zu tun, sondern mit uns selbst

"Ich fühle mich verletzt, weil ich gerne mehr Zeit mit dir verbringen würde."

anstatt:

"Ich fühle mich verletzt, weil du mich immer hängen lässt."

Was Gewaltfreie Kommunikation nicht bedeutet

Gewaltfreie Kommunikation bedeutet nicht...

  • ...die  eigenen negativen Gefühle zu verdrängen und zu verleugnen, um die Harmonie in einer Beziehung aufrecht zu erhalten – denn auch die eigenen Bedürfnisse sollen wahrgenommen und ausgedrückt werden!

  • ... nur dem anderen Mitgefühl und Verständnis zu schenken - wir brauchen das auch von uns selbst!

  • ... den Gesprächspartner mit "logischen" Argumenten von der eigenen Position zu überzeugen

  • ... immer und überall alle Bedürfnisse zu befriedigen – wenn wir den anderen um etwas bitten, sind wir immer auch offen für ein "Nein"

  • ... die Erfüllung unserer Bedürfnisse als unser oberstes Ziel zu sehen

  • ... uns für unsere Bedürfnisse und Wünsche rechtfertigen zu müssen – wenn wir uns rechtfertigen, begeben wir uns in eine Position der Schwäche

  • ... dass wir darum kämpfen und betteln müssen, von anderen beachtet und akzeptiert zu werden – das steht uns zu, ganz ohne Bedingungen

  • ... eine Bitte zu äußern und zu erwarten, dass der andere sie erfüllt – er kann sie erfüllen, er muss es aber nicht (eine Bitte ist eben keine Forderung)

Gewaltfreie Kommunikation (GFK) ist für alle geeignet – besonders für Kinder

Begründer Marshall Rosenberg hat die Gewaltfreie Kommunikation u.a. in Schulen und Kndergärten eingesetzt, er hat kriegerische Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Straßengangs geschlichtet und mit Strafgefangenen gearbeitet.

Schon vierjährige Kinder können die "Gewaltfreie Kommunikation" verstehen und anwenden, deshalb wird sie mit viel Erfolg auch in Kindergärten geübt.

In Israel gibt es ca. 300 Trainingsgruppen, in denen israelische und palästinensische Kinder gemeinsam lernen, in der "Giraffensprache" miteinander zu kommunizieren.

Mehr zum Thema "Gewaltfreie Kommunikation" nach Marshall Rosenberg:

Zentrum für Gewaltfreie Kommunikation

PDF der Polizei Bayern: Gewalt durch Kinder: Ideen für den Unterricht zur Förderung einer "Kultur der Anerkennung"

PDF von Klaus-Dieter Gens: "Gewaltfreie Kommunikation nach Dr. Marshall Rosenberg" (www.gewaltfreiforum.de)

Wikipedia-Eintrag: Marshall B. Rosenberg - Marshall Rosenberg unterzieht seine Methode der Gewaltfreien Kommunikation einem ganz besonderen Test: Kann er als Amerikaner jüdischer Abstammung auch Mitgefühl für Hitler empfinden?

Online-Kurs (Video): Gewaltfreie Kommunikation

Kleine Schlussbemerkung: Tipps, Feedback und Erfahrungen sind willkommen!

Ich bin selbst keine Expertin in Gewaltfreier Kommunikation.

Im Gegenteil - ich lerne noch, finde das Thema einfach spannend und interessant. Sollten sich in diese Darstellung Fehler eingeschlichen haben, freue ich mich über konstruktive Vorschläge zur Verbesserung.

Feedback, Erfahrungen und Anmerkungen sind immer willkommen!

Die Gewaltfreie Kommunikation ausführlich und angemessen darzustellen ist in diesem begrenzten Rahmen leider nicht möglich. Wer mehr darüber erfahren möchte, findet in ganz Deutschland Seminare und Workshops zum Thema - oft zum Beispiel angeboten von den Volkshochschulen.

Michaela, am 04.10.2012
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