Gorki Theater Berlin: Kritik von "Angst essen Seele auf" – Hakan Savaş Mican
Premiere des Fassbinder-Films von 1974. Ausländer-Phobie macht sich breit: Eine Putzfrau lässt sich mit einem marokkanischen Liebhaber ein, der 20 Jahre jünger ist.Plakat der Aufführung (Bild: © Esra Rotthoff)
Man hält zusammen
Fast die ganze Zeit über strömt von oben ein weißer Konfettiregen herab, der auf dem Boden zu Asche zerstäubt. Irgendetwas muss die Putzkolonne – Emmis Kolleginnen – ja zu tun haben. Das Herabfallen der feinen Partikel ist ein probates, aber abgegriffenes Theatermittel, das wegen des häufigen Einsatzes allmählich zum Klischee verkommt. In dieser Inszenierung wird der Regen als ein transparenter Vorhang, als eine Art Schleier verwendet. In der Version von Hakan Savaş Mican ist die Welt freundlicher als im Original, trotz der fremdenfeindlichen Attacken der Nachbarn und Familienangehörigen. Der Schwiegersohn Eugen (Aram Tefreshian) beispielsweise wird ausfällig, aber das ungewöhnliche, Generationen überspringende Paar wird dadurch umso intensiver zusammengeschmiedet. Das liegt vor allem an Ruth Reinecke, die ihre Emmi nicht im biederen Schabracken-Stil von Brigitte Mira hinlegt und das aufgebaute Oma-Image vollständig abstreift. Und Taner Şahintürks Ali reagiert auf Anfeindungen teilweise souverän und selbstbewusst, allerdings mit inneren Schwankungen.
Die offene Konfrontation
40 Jahre sind nach Fassbinders Film verstrichen, und der Regisseur Mican tat gut daran, die theatrale Neuauflage der Zeit anzupassen. Das Original ist nur zu verstehen als eine Darstellung kleinbürgerlicher Enge und Beschränktheit, in einer Atmosphäre, wo wie in einer dörflichen oder bezirklichen Gemeinschaft jeder jeden kennt. Wer aber in einer deutschen Großstadt heutiger Prägung lebt, kann sich in einer Anonymität verschanzen, in die niemand einzudringen vermag. Mittlerweile sind die wildesten, exotischen Lebensentwürfe möglich, ohne dass jemand etwas mitbekommt, und man kann auch ohne die "anderen" leben, was freilich mit privaten Ausschlüssen und Abgrenzungen einhergeht. Ein Sichverkriechen ist möglich, doch die meisten Menschen wollen die offene Konfrontation, man ist schließlich ein Nachbar und Familienmensch. Ein gelungener Coup: Je aggressiver die Außenwelt wird, desto enger schließt sich das ungleiche Paar zusammen. Als die Akzeptanz der einst Feindseligen wächst und in Annehmung umschlägt, lockert sich die Bindung und Ali geht fremd, fremd mit der Wirtin Barbara, die von Mareike Beykirch relativ resolut gespielt wird.
Das Umfeld erkennt die Brauchbarkeit
Die Nebenrollen der von Daniel Kahn musikalisch begleiteten Inszenierung sind stark besetzt, Dimitrij Schaad etwa stellt die verschiedensten Typen dar, so auch den Krämer Angermayer, der in der Vorlage vom Ober-Bayer Walter Sedlmayr gespielt wird. Nach anfänglicher vehementer Ablehnung wird Ali als Geldeinnahmequelle akzeptiert, auch die Nachbarn erkennen die Brauchbarkeit von Ali. Sie befühlen seine Muskeln und stellen fest, dass er sich entgegen der Vorurteile sogar wäscht: Sein Gebrauchswert steigt. Viele Vorverurteilungen werden revidiert - und es kündigt sich ein Happy-End an. Gebrochen wird das Unterfangen davor von einer skurrilen Szene: Anastasia Gubereva legt Dimitrij Schaad einen Gürtel um den Hals und schleift ihn wie einen Hund davon. Was diese Szene soll, weiß wohl nur der Regisseur, der seine sprunghaft aufsteigenden Fantasien in die Tat umsetzt. Herausgekommen ist letztlich eine Inszenierung wider die Fremdenfeindlichkeit. Ein beinahe fröhliches Ende: Shiny happy people.
Angst essen Seele auf
nach Rainer Werner Fassbinder
Regie: Hakan Savaş Mican, Bühne: Sylvia Rieger, Musik: Daniel Kahn, Kostüm: Pieter Bax, Licht: Carsten Sander, Dramaturgie: Irina Szodruch.
Mit: Mareike Beykirch, Taner Şahintürk, Tamer Arslan, Ruth Reinecke, Dimitrij Schaad, Aram Tafreshian, Anastasia Gubareva, Sema Poyranz, Daniel Kahn.
Premiere vom 6. Juni 2014
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)