Gorki Theater Berlin: Kritik von "Die Übergangsgesellschaft" – Lukas Langhoff
Vor 25 Jahren erregte Thomas Langhoff viel Aufsehen mit dieser Inszenierung. Nun versucht sein Sohn Lukas, die Haltbarkeit des Stückes zu veranschaulichen. Eine abenteuerliche Angelegenheit.Volker Braun 1981 (links)
Die Visionen sind erstickt
Das Stück ist zwischen obsoletem Sozialismus und beschleunigtem Kapitalismus angesiedelt. Die 1982, also noch vor der Glasnost-Ära geschriebene Komödie behandelt einen Aufbruch, der noch in weiter Ferne liegt. Damals befanden sich widerspenstige Existenzen in einem inneren Aufruhr – übriggeblieben im Jahr 2013 ist eine Horde von Nihilisten, die tatenlos aufbegehrt, als läge der einzige Sinn in einer Totalverweigerung. Kein amor fati taucht auf am dunklen Horizont, nicht einmal der selbstgenügsame Rückzug ins private Refugium. Wer das Wortgedröhn von Sebastian Brandes hört, wähnt sich im tiefsten Osten, genauer: in Sachsen oder Sachsen-Anhalt. Seine Figur ist ein Produkt einer gut geölten Sozialismusmaschine, sie verbohrt sich in eine Staatshörigkeit. In Lukas Langhoffs Version sind die Visionen erstickt, es wird nicht aufgebaut, sondern zertrümmert. Aus Holz wird Kleinholz. Wir sehen, wie eine mit dem Beil bearbeitete Tür zu Bruch geht, sehen zwei Stühle mit zerfetztem Stoff. Unnötig, darüber zu reflektieren, dass wieder einmal völlig überflüssig ein paar Steuergelder verpulvert werden. In einer Aufwallung von Aggression haut Mascha (Sesede Terziyan) den Intelligenzbolzen des Stückes. Wenn gerade Zeit zum Nachdenken ist: Die Brille – ist das Material aus Horn oder Kunststoff?
Sie glotzen und brüllen
Es ist nicht etwa so, dass die Zuschauer durch die Sitzordnung ins Museale entlassen werden oder eine – wie auch immer geartete – Gesellschaft bilden. Ausgestellt wird niemand, es gibt keine vertauschten Rollen, es findet lediglich ein Frontwechsel statt. Und die Schauspieler hängen auf ihren Sitzen, glotzen, streiten sich oder brüllen. Ein wenig wie ein erratischer Block wirkt Marleen Lohse, die, ausgestattet wie eine Night-Club-Queen, unausgesetzt lächelt, als sei sie permanent zu Streichen aufgelegt. Im Vordergrund steht eindeutig Till Wonka, der auch gern mal lauter wird. Falilou Seck, sicherlich eine Bereicherung für das Ensemble, spielt einen wehmütigen Spanien-Kriegsveteranen: Ein Geist, der alles verneint und Parolen bis zur Uferlosigkeit wiederholt. Eins ist klar: Lukas Langhoff wollte nicht interpretieren, er wollte irritieren. Vielleicht hat er sich an eine These von Kafka erinnert, die besagt, dass wir Texte brauchen, die stechen und beißen. Immerhin: Hier sticht und beißt es gewaltig. Aber für ein positives Stechen im Sinne von Aufrütteln ist einfach zu wenig dabei herausgekommen. Das Publikum sieht ein Theater, das sich selbst thematisiert und etliche Fragezeichen zurücklässt.
Die Übergangsgesellschaft
von Volker Braun
Spielfassung von Lukas Langhoff und Holger Kuhla
Regie und Bühne: Lukas Langhoff, Mitarbeit Bühne: Justus Saretz, Kostüme: Ines Burisch, Dramaturgie: Holger Kuhla, Musik: Volkan T.
Mit: Falilou Seck. Sesede Terziyan, Tamer Arslan, Till Wonka, Mareike Beykirch, Elizabeth Blonzen, Sebastian Brandes, Simon Brusis, Marleen Lohse, Taner Şahintürk, Volkan T..
Premiere am 13.12.2013, Kritik vom 19.12.2013
Dauer: 90 Minuten
Foto 1: © Peter Heinz Junge/Wikipedia
Foto 2: © Steffen Kassel
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)