Kinder der Sonne

Kinder der Sonne (Bild: © Gorki Theater)

Verbesserung der Welt

Zu Beginn fegt die Hausmutter Antonowna (Sema Poyraz) eine Schicht Dreck weg und summt mit dem Besen in der Hand, um aus der verlotterten Bühne eine richtige Bühne zu machen. Die ist mit einem großen und zwei kleineren Kronleuchtern ausgestattet, Symbole einer gutsituierten Bildungselite. An der Bühnenwand hängt ein übergroßer, gekrümmter Spiegel, der die Gestalten nur verschwommen zurückwirft. In der Bühnenmitte stellt Protassow (Thomas Wodianka) drei Pflanzen ab, flankiert von zwei Gartenstühlen. Der Biochemiker fühlt sich als Herrscher über die Natur, glaubt an die Verbesserung der Gene und letztlich an eine verbesserte Welt: Hurra, wir sind die Kinder der Sonne! Bei den selbsternannten Sonnenkindern handelt es sich, um der Wahrheit die Ehre zu geben, eher um Kinder der Verzweiflung. Ob Protassow den bildungsfernen Schlosser Jegor (Falilou Seck) auch zu den Sternenkindern rechnet, ist fraglich. Sein proletarischer Freund ist gleichzeitig ein Gegenspieler, der gerne seine Frau extrem hart rannimmt. Jegor lebt nach dem Motto: Wer seine Frau nicht schlägt, liebt sie auch nicht. Schließlich ist sie kein Mensch und er wurde früher auch geprügelt.

 

Umsonst investierte Gefühle

Feinsinnig differenzierte Gespräche finden in Nurkan Erpulats Inszenierung leider nicht statt, die Gedankenaustausche bleiben auf einem überschaubaren Niveau. Von einer sogenannten Bildungselite, die geistige Höhen erklimmt und einen Hang zu espritreichen Verstiegenheiten verspürt, ist hier merklich wenig zu spüren. Die Intellektualität wird nur behauptet, aber nicht eingelöst. Die kleine Gesellschaft verkriecht sich ins eigene Schneckhaus, beschäftigt sich weitgehend mit privaten Emotionen, registriert allerdings das Pulverfass draußen, die Vorboten der russischen Revolution von 1905. In diesem Jahr hat auch Maxim Gorki das Drama geschrieben, als er wegen des "Petersburger Blutsonntags" in Festungshaft saß. Immerhin ist das der Bildungsgruppe nicht entgangen, auch die draußen wütende Cholera dringt durch zu ihren teilweise verstopften Ohren. Die Schickeria-Frau Melanija (Mareike Beykirch) lebt vollkommen in der – verweigerten – Liebe, und auch Wagin (Bernhard Conrad), ein Bohemien par excellence, verbohrt sich in eine Liebe zu Protassows Frau Jelena (Sesede Terziyan). Für sie ist das nur ein Flirt gegen die Langeweile, aber die Gefühle von Wagin, dem heimlichen Poeten, der das Milchgesicht-Stadium hinter sich gelassen hat, sind hartnäckig, unerschütterlich und unaufschiebbar.

 

Gipfel der Entfremdung

Gemäß Tschechow werden innerhalb des kleines Kreises massiv unkontrollierbare Emotionen investiert. Boris (Till Wonka) liebt Lisa (Marina Frenk), wird aber abgewiesen und erhängt sich. Als er dann tot ist, fällt Lisa ihre - zwischenzeitlich vergessene- Liebe zu ihm wieder ein – und sie bekommt einen Nervenzusammenbruch. Insgesamt ist diese partiell degenerierte Bildungselite, die mitunter den Spaßfaktor sucht, der Gipfelpunkt der Entfremdung. Soziale Konflikte sind für sie nur ein geistiges Phänomen, das, als die Wirklichkeit ungestüm hereinbricht, in sich zusammenfällt. Gefährlich wird es, als Jegor, der ungestüme Schlosser, mit einer bewaffneten Arbeiterbrigade in das Pseudo-Idyll hereinströmt. Ein spannendes Finale, aber kein grandioses – die Truppe zieht wieder ab. Außerhalb der kleinen Gemeinschaft schwelt die Revolution, aber es wird weiter über Nichtigkeiten reflektiert. Warum es so kommen musste, wie es kam, kann Erpulat leider nicht auf der Bühne erzählen – dafür ist die Vorlage zu dünn. Der Inszenierung fehlt der Zug ins Große. Sie ist nichts zum Sinnieren und Weiterspinnen, aber gut goutierbar.

Kinder der Sonne

Von Maxim Gorki

Regie: Nurkan Erpulat, Bühne: Magda Willi, Kostüme: Pieter Bax, Musik: Imre Lichtenberger-Bozoki, Moritz Wallmüller, Licht: Hans Leser, Dramaturgie: Susanne Abbrederis, Daniel Richter.

Es spielen: Sesede Terziyan, Falilou Seck, Mehmet Yilmaz, Thomas Wodianka, Bernhard Conrad, Marina Frenk, Sema Poyraz, Till Wonka, Mareike Beykirch.

Gorki Theater Berlin

Premiere vom 21. Januar 2014

Dauer: 1 Stunde, 50 Minuten, keine Pause

Bildnachweis: Bild 1 © Gorki Theater

Bild 2 © Wikimedia


 

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