Zwischen Genugtuung und leichtem Schauder

Wer diesen Aggressionsmonolog hält, ist Thomas Wodianka, der sich in einen Rausch der Ablehnung hineinredet, scharf, gnadenlos und gespickt mit Invektiven. Der Stachel muss tief sitzen, sonst hätte ihn Falk Richter, provokationsbereit und äußerst offensiv gestimmt, nicht so aufdrehen lassen. Bei der tatenlosen Angela Merkel ist der Ton noch recht moderat, aber bei Ilse Aigner, kinderlos, noch nie verheiratet und beziehungsinkompatibel, wird es schärfer. Eine weitere Steigerung geschieht angesichts von Erika Steinbach, verantwortlich für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe in der Unionsfraktion. Die Zuschauer erleben eine hysterische Auflehnung und die Forderung nach sofortigem Rücktritt. Die Anklage nimmt einen beleidigenden Charakter an, manch einer mag zwischen insgeheimer Genugtuung und leichtem Schauder hin- und herpendeln. Ah, welch Erfrischung sind diese ressentimentgeladenen Schüsse nach oben, und dennoch fragt man sich, ob der Regisseur nicht seine Kräfte überstrapaziert und zu weit geht. Nun, immerhin leben wir in einer Hochburg gedanklicher Freizügigkeit, woanders ginge das gar nicht.

 

Tschaikowsky trotz Putin

Putin ist ein Mann, bei dem man so nicht sprechen kann. Selbstverständlich bekommt er auch sein Fett weg, genauso wie Anna Netrebko, die für ihn Werbung machte, aber trotzdem beim Komponisten Boris Tschaikowsky mitmischte, und zwar nicht nur als raumfüllender Dekor. Die Russen! Endlich erfahren wir, dass dieses Volk oftmals aus niederen Beweggründen denkt und handelt, weil die politische Steuerung nicht stimmt. Die Russen sind...Eine Aufzählung mit verbaler Brachialgewalt. Anscheinend merkt Richter nicht, dass er ebenso intensiv diskriminiert wie die zum Gegner Auserkorenen. Wie gesagt, tief sitzt der Stachel, und wer seine Verletzungen herausbrüllt, wird eher gehört und verletzt auch gern. Hauptsache, nie mehr Mensch 2. Klasse.

 

Eine masochistische Geschäftsfrau

An diesem Abend geschieht auch noch anderes. Lea Draeger legt einen starken Auftritt hin, vollgepumpt mit Energie und verstecktem Charme. Leider hat sie in der Berliner Schaubühne fast nur Nebenrollen erhalten, abgesehen von Richters "Kabale und Liebe", doch wenn sie mehr in den Vordergrund rückt, kann sie auch mehr brillieren. Sie spielt eine masochistische Geschäftsfrau, die sich nach einem erfolgreichen Waffendeal gerne demütigen lässt und das auch ausführt. Niels Bormann hingegen agiert als ein 43-Jähriger, den die Stadt fertig macht, der endlich eine feste Beziehung haben möchte und vom Spießerleben träumt. Sein Partner wird von Mehmet Ateşçí dargestellt, der ihn aus einigermaßen verständlichen Gründen nicht bei der Hochzeit seiner Schwester präsentieren möchte. Der Deutsche fühlt sich unterdrückt, dabei hat sein Bettkollege nur Angst vor den peinlichen Folgen eines Bekenntnisses.

 

Betörende Achseln

Da beim Film die Schlussszene selten am Schluss gedreht wird, sei hier die Introduktion an den Schluss gestellt. Zwei Männer (Aleksandar Radenković, Thomas Wodianka) konkurrieren um die Macht der Schwänze, ergehen sich in Erinnerungen über einschneidende Bettgefechte, lange Schwänze, das Blasen und über saftige, betörende Achseln. Die sprachliche Direktheit mag ein wenig schockieren, aber man ist mittlerweile abgehärtet. Für musikalische Intermezzos sorgt den ganzen Abend über Mehmet Ateşçí, der beim Titelsong Small Town Boys nicht die hohen Töne trifft, ansonsten aber mit seinem auditiven Gestöber für Belebung sorgt. Obwohl die Inszenierung keinerlei Ästhetik bietet, wundert man sich am Ende über die eigene Faszination. Prall, hart und konsequent ist diese Inszenierung, dazu kommt eine verbale Schlagkraft, die beeindruckt. Verführerisch ist das Ganze an einem Ort der Toleranz. Vielleicht wird auch nur die poetische Leere von den Schauspielerleistungen betäubt und niedergehalten.

Small Town Boy
von Falk Richter
Regie: Falk Richter, Bühne und Kostüme: Katrin Hoffmann, Musik: Matthias Grübel, Dramaturgie: Jens Hillje / Daniel Richter.
Mit: Lea Draeger, Aleksandar Radenković, Mehmet Ateşçí, Niels Bormann, Thomas Wodianka.

Maxim Gorki Theater

Premiere am 11. Januar 2014, Kritik vom 12. Januar 2014

Dauer: 125 Minuten, keine Pause

Bildnachweis: © Beek100/Wikipedia

 

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