Griechenland ist überall! Teil I: Der Tatbestand
Kommt jetzt der weltwirtschaftliche Mega-Gau? Die beunruhigenden Nachrichten an der Finanzfront wollen nicht abreißen. Immer mehr Staaten werden zahlungsunfähig.Eine notwendige einleitende Bemerkung
Apokalyptische Szenarien sind sehr unbeliebt. Die meisten Menschen wollen Kassandra-Rufe nicht hören. Verdirb uns nicht die gute Laune, sagen sie. Und scheinbar haben sie sogar Recht: Es wird schon irgendwie weiter gehen, weil es bis jetzt ja immer irgendwie weiter gegangen ist. Die Welt kann nicht untergehen, jedenfalls erleben wir das nicht mehr.
Diese bestechend simple Logik des Verdrängens ist gefährlich, weil sie nämlich falsch ist. Irgendwann muss Quantität zwingend in Qualität umschlagen. Die Frage dreht sich nicht ums Ob, sondern ums Wann. Und wir wollen auch wissen, wie schlimm es werden kann.
Gewalttätige Proteste in Griechenland
Die letzten Ereignisse
Griechenland steht exemplarisch für das Problem der unlösbaren Staatsverschuldung. Deshalb trägt der Artikel auch die obige Überschrift. Doch das Problem besteht global. In Europa - speziell in der Eurozone - standen Portugal und Irland schon kurz vor dem Kollaps. Auch um Italien und Spanien muss man sich Sorgen machen. Ein Sorgenkind ganz eigener Art darf man nicht unerwähnt lassen: Deutschland. Dazu komme ich später noch.
Das Schwergewicht unter den Bankrotteuren bilden jedoch die USA. Der noch immer wichtigsten Wirtschaftsnation der Welt droht erstmals die Zahlungsunfähigkeit. Die zur Abwendung des GAUs notwendige Anhebung der Höchstverschuldung (14,3 Billionen US$) kann im Parteienstreit nicht durchgesetzt werden. Die Notenbank warnt vor eíner Katastrophe. In Japan, auch eine führende Wirtschaftsnation, hat die Staatsverschuldung die Rekordhöhe von 205% des Bruttoinlandsproduktes erreicht, die Folgen von Fukushima ziehen zusätzliche Belastungen nach sich. Die Währungen leiden unter chronischer Überschuldung und der Erfolglosigkeit bisheriger Sanierungsbemühungen. Über allem lastet die Ungewissheit, welche Nationen als weitere Absturzkandidaten damnächst hinzukommen. Die politischen Unruhen in der arabischen Ölregion, obwohl noch voll im Gange, geraten da schon fast zur Fußnote. Der heimliche Höhenflug der gefühlten Inflation ist schon lange kein Thema mehr.
All das ist Sprengstoff in Unmengen. Die Alarmglocken sollten schrillen. Und was tut die Börse? Die Aktienkurse steigen oder stagnieren noch immer. Der Absturz will nicht kommen. Vielleicht ist ja doch alles nicht so schlimm. Verantwortungslose Panikmache von Journalisten oder Zweckpessimismus von Politikern, um die Bürger auf weitere Fastenkuren einzustimmen?
Schwarzer Freitag, New York 1929
Vertrauen und konzentrierte Liquidität
Realwirtschaft und Börse entwickeln sich im wechselseitigen Bezug, aber zeitlich nicht im Gleichlauf. Es ist auch nicht so, dass die Börse ein zuverlässiger Frühindikator für bevorstehendes Ungemach gelten kann. Die Immobilienblase in den USA, der die Börsencrash und Bankenkrise in 2008/09 folgten, war im möglichen Ausmaß bereits spätestens im Jahr 2003 erkennbar. Die Märkte reagierten erst fünf Jahre später, als es schon lichterloh brannte. Weshalb? Vor allem wegen der Verdrängung, die sich - ebenso wie Panik - kollektiv äußert, im größtvorstellbarer Dimension, also global. Das hat mit Psychologie zu tun und nur mit Psychologie. Das blinde Vertrauen erweist sich stärker als der Realismus.
Ist es tatsächlich nur die Psychologie? Nein. Ein weiteres Element im gefährlichen Cocktail bildet die Liquidität, also die Menge ungebundenen Geldes, das nach Anlagemöglichkeiten sucht. Auch wenn es für den Normalbürger kaum vorstellbar ist: Die Geldmenge war noch nie so hoch wie heute, vor allem dank der unermüdlich arbeitenden amerikanischen Notenpresse. Und das Geld war noch nie so ungleich verteilt wie heute. Die Allermeisten haben fast nichts, wenige haben fast alles. Und die Wenigen werden gemanagt von den Großbanken und ihren Fonds. Sie machen den Boom. Und sie sorgen im Zusammenspiel mit Rating-Agenturen dafür, dass es hin und weiter mal zu Einbrüchen und Kaufgelegenheiten, vulgo: Schnäppchen-Angeboten kommt.
Liquidität und Vertrauen sorgen also dafür, dass die seit Anfang 2009 an den Aktienbörsen bestehende Aufwärtsbewegung weiter anhält. Die unbestreitare Verunsicherung auf der Währungsseite bildet sogar noch einen zusätzlichen Grund, das Geld zu "retten" - durch Flucht in die Substanz, in Aktien, Immobilien, Edelmetalle, Rohstoffe, Energie- und Wasserrechte. Das in der Substanz gebundene spekulative Geld (keinesfalls nur aus Privatvermögen, auch staatliche Gelder) fehlt den Staatshaushalten. So schließt sich der Kreis. Und weil der dahinter stehende Prozess der Umverteilung (denn um nichts anderes handelt es sich) in Kontinuität seit Jahrzehnten anhält, befinden sich die Staatsfinanzen der größten westlichen Wirtschaftsnationen am Rande des Abgrunds.
Von Krise zu Krise: Chronische Problemverschleppung
Der Börsenboom hat sich also regelrecht von der düsteren Wirtschafts- und Währungsrealität entkoppelt. Das kann natürlich nicht endlos so weiter gehen. Spätestens dann, wenn das liquide Geld vollständig gebunden ist, spätestens dann muss es zum Kollaps, zum Crash kommen. So war es jedenfalls in bisherigen Börsenzyklen.
Die bereits erwähnte Ausweitung der Geldmengen, durch die Notenbanken regelmäßig praktiziert (was zu dosierter Geldentwertung, also Inflation führte) hatte in der Vergangenheit allzu scharfe Einbrüche abgefedert. Doch die reale Wertschöpfung wuchs nicht in gleichem Umfang mit. Ein Trugbild wurde erzeugt - unter tatkräftiger Mithilfe der Statistik. Und mit diesem Trugbild leben wir auch heute. In Wirklichkeit wurde (und wird) der finale Zusammenbruch, eigentlich längst überfällig, von Krise zu Krise, von Zyklus zu Zyklus weiter aufgeschoben, die Schuldenlast der Staaten immer weiter aufgehäuft. So geschah es auch bei der letzten Krise. Gift wurde mit Gift bekämpft.
Kann der überschuldete Staat seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen, weil seine liquiden Mittel nicht mehr ausreichen, um fällige Zinsen zu zahlen, ist das Spiel aus. Wir erleben einen big bang oder eine Stunde der Wahrheit, in der das Geld schlagartig nichts mehr wert ist. Die Illusion platzt. Griechenland ist ein relativ kleines Land, aber die Vorgänge dort haben modellhaft gezeigt, was in globaler Dimension ablaufen könnte.
Machen wir uns nichts vor: Auch das griechische Problem wurde nicht gelöst, sondern vertagt. Es ist unlösbar. In spätestens einem Jahr wird es uns erneut beschäftigen, wahrscheinlich in drastischer Zuspitzung. Wenn aber das kleine Griechenland offenbar nicht gerettet werden kann von den viel stärkeren Euro-Nationen, wer soll dann das Weltwirtschaftssystem auffangen, wenn es kollabiert?
Und was bleibt dann von unserer Welt übrig? Darüber möchte ich im nächsten Artikel schreiben.