Christoph Hohmann, Katrin ...

Christoph Hohmann, Katrin Hauptmann, Philipp Mauritz (Bild: © HL Böhme)

Gefesselt an einen primitiven Plastikstuhl

Das 1991 von Ariel Dorfman geschriebene, in London uraufgeführte Theaterstück wurde auf etlichen Bühnen ein großer Publikumserfolg. Roman Polańskis Verfilmung von 1994, unter anderem mit Ben Kingsley, erntete viel Kritikerlob. Dem in Potsdam sein Debüt absolvierenden Regisseur Christian von Treskow bleibt angesichts der 3er-Besetzung nichts anderes übrig, als ein Kammerspiel daraus zu machen. Das Stück spielt ausschließlich in einer Strandvilla der Escobars, die sich ein herrschaftliche Anwesen als gemütliches Idyll und Bollwerk gegen die Außenwelt ausgesucht haben. Das Bühnenbild (Kristina Böcher) zeigt ein karges Wohnzimmer mit Couch und einer Schaukel zum Austoben. Einige Treppen führen zu einem Glasfenster, das, gelegentlich von einem weißen Vorhang verhüllt, wie ein großes Kaufhaus-Schaufenster installiert ist und den Blick freigibt auf eine Grünfläche und sanft wogendes Wasser. Was wir nicht sehen: Gerardo (Philipp Mauritz) und Miranda (Christoph Hohmann) haben sich schlafen gelegt. Paulina (Katrin Hauptmann) schlägt den schlafenden Miranda nieder und fesselt ihn an einen primitiven Plastikstuhl, der sich bestenfalls für die Terrasse eignet. Was wir sehen, ist Paulina, die den gefesselten und geknebelten Miranda vom unsichtbaren Gang auf die Bühne schiebt. Sie hat einen Revolver in der Hand – Gerardo ist entsetzt, zumal er als Kommissionsmitglied der Verbrechensaufklärung legal vorgehen muss und Selbstjustiz nicht dulden kann. Und überhaupt: Paulina hat Miranda nie zu Gesicht bekommen und eine Entlarvung allein durch die Täterstimme reicht vor Gericht nicht aus.

 

Private Rachejustiz

Private Rachejustiz (Bild: © HL Böhme)

Unter dem Druck der Verhältnisse

Der Regisseur von Treskow begeht nicht den Fehler, die Inszenierung ins Komödiantische zu ziehen und Sätze einzuflechten, die zum Lachen wie geschaffen sind. Immerhin hat er mit Mauritz und Hohmann zwei Akteure im Programm, die sich bestens für die Darstellung von Karikaturen empfehlen. Der einzige Weg ist der der Seriosität – und von Treskow geht ihn zu Ende. Gegen die impulsive, streitbare Paulina wirkt ihr Gatte Gerardo wie ein Weichling, der sich mit der Staatsjustiz, dem Humanismus und den Geschäften der Diplomatie arrangiert hat, ohne mit dem richtigen Durchsetzungsvermögen ausgestattet zu sein. Aber Paulina will, um es harmlos auszudrücken, außerjuristische ausgleichende Gerechtigkeit, und fuchtelt ungestüm mit der Pistole herum mit dem Zweck, Miranda ein Geständnis abzupressen. Das Aufnahmegerät steht bereiht, aber der Arzt gesteht gar nichts. Als er nach den Überredungkünsten von Gerardo doch im Schein gesteht, glaubt Paulina, ihn trotzdem aufgedeckt und entschleiert zu haben. Doch vielleicht ist es nur der Schleier der Maja. Und wenn es doch wahr ist, was er sagte – hatte er damals, unter dem Druck der Verhältnisse, nicht legal gehandelt? Und das soll heute illegal sein? Kurz, er musste. Das klingt wie ein überpolitisches, metaphysisches Gesetz, das in Deutschland schon immer gut funktionierte, man denke etwa an die vielen Mitläufer und Mittäter des Dritten Reichs, die im Nachhinein als Zeitzeugen nur eine Entschuldigung anführten: Ich musste, wir alle mussten. Diesmal gibt es im Hans Otto viel Stoff zum Nachdenken. Und noch einige Worte zum Neuzugang Katrin Hauptmann, die für die nächsten zwei Spieljahre engagiert wurde. Sie legt als personifizierte Anklagebank ein beinahe sensationelles Debüt hin. Dieses Oszillieren zwischen Anspannung, fast heil'gem Gerechtigkeitszorn, Erinnye, Sensibilität und psychischer Fragilität muss man erst einmal hinbekommen. Von wegen gut gebrüllt, Löwe. Hauptmann favorisiert eine Art Soft-Brüllen, ein lautes Herausschleudern der Worte, klar, bestimmt und resolut. Noch nie wurde auf einer deutschsprachigen Bühne so gut gebrüllt, in einem Maße, dass ein Widerhall im Innern stattfindet. Eine feine Sache, diesmal in Potsdam.

 

Der Tod und das Mädchen

Von Ariel Dorfman

Deutsch von Ulli Stephan und Uwe B. Carstensen

Regie: Christian von Treskow, Bühne & Kostüme: Kristina Böcher, Dramaturgie: Katja Hess.

Es spielen: Katrin Hauptmann, Christoph Hohmann, Philipp Mauritz.

Hans Otto Theater Potsdam, Reithalle, Premiere vom 1. Juni 2017

Nettodauer: 1 Stunde, 50 Minuten

 

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